Wirtschaft

Václav Klaus (l.) und Hans-Peter Schmidt diskutierten mit prominentem Publikum in der Nürnberger Akademie über Europa. (Foto: Schweinfurth)

21.01.2011

Dem freien Markt eine Chance geben

Der tschechische Staatspräsident Václav Klaus präsentiert in Nürnberg sein neues Buch über Europa

„Super, das ist die beste Buchpräsentation seit Langem – mit Vorlesung!“, schwärmt Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD), als der tschechische Staatspräsident Václav Klaus in Nürnberg sein neues Buch „Europa?“ vorstellt. Hans-Peter Schmidt, der Aufsichtsratsvorsitzende der Nürnberger Versicherungsgruppe, hat ihn in seiner Eigenschaft als Honorarkonsul der Tschechischen Republik in Nordbayern in die Nürnberger Akademie eingeladen. Dort skizziert Klaus seine Kritik an Europa. Doch Raum für die Darstellung seiner Ideen für eine besseres, bürgernäheres Europa blieb leider nicht. Zu sehr dominierte der politisch korrekte Reflex des hochkarätigen Auditoriums, beim in Wirtschaftswissenschaften habilitierten Staatspräsidenten nach Lösungsvorschlägen zu bohren. Diese wäre er durchaus auch bereit zu erläutern, doch kontert er die Aufforderung, dies zu tun, mit der Bitte um eine weitere Einladung nach Nürnberg, um genug Zeit dafür zu haben. Denn Europa lässt sich eben nicht mal schnell im Talkshow-Format retten.
Demokratie ist kaum mehr zu spüren
Mehr Bürgernähe wird von Politikern gefordert. Klaus entlarvt dieses Postulat in seinem Buch aber als Floskel. Längst habe sich die Brüsseler Bürokratie zu einem Perpetuum mobile einer fast diktatorisch agierenden Administrative entwickelt, der die Exekutive nichts entgegenzusetzen weiß. Von Demokratie sei kaum mehr etwas zu spüren und die Stimmen der Bürger Europas würden immer leiser werden bzw. sich in radikalen Positionen manifestieren. Klaus ist kein Europaskeptiker, sondern nach eigenem Bekunden Europarealist. Und das stimmt auch. Er ist ein unbequemer Mahner, der alle seine zehn Finger in die Wunden Europas legt. Das mag manchem brutal erscheinen, doch ist es der einzige Weg, um die Probleme dieser Staatengemeinschaft lösen zu können.
Freier Markt, Deregulierung und vox populi sind – vereinfacht zusammengefasst – die Forderungen des tschechischen Staatspräsidenten. Zurecht verweist der Volkswirt auf die zweistelligen Wachstumsraten Chinas oder Indiens. Auch ihm ist durchaus bewusst, dass beide Länder von einem niedrigen Niveau kommen, viel aufzuholen haben und während ihres Wachstums ökologische Sünden begangen haben. Ein Umdenken ist jetzt im Gange und wird wohl sehr schnell zu effektiveren Lösungen führen als in Europa.
Aber selbst auf dem alten Kontinent ist man noch weit von einer Marktsättigung entfernt. Höhere Wachstumsraten sind durchaus möglich. Man braucht sich hierzulande nur die marode öffentliche Infrastruktur (Ämtergebäude mit postkommunistischem Charme, Schlaglochpisten quer durchs Land) anzusehen, das miese Wagenmaterial der Deutschen Bahn oder die im Durchschnitt acht Jahre alten Autos. Da wird schnell klar, dass es auch in Deutschland zu erheblichem Wirtschaftswachstum reichen könnte, wenn die Steuer- und Abgabenlast dies zuließe. Doch dazu müsste die Politik ihre interventionistische und paternalistische Haltung aufgeben, alles für die ihnen unmündig erscheinenden Bürger regeln zu wollen. Denn diese müssen nicht vor sich selbst geschützt werden.
Der größte Irrglaube in Europa ist laut Klaus die Ansicht, dass der Staat alles besser könne als der Markt. Als Paradebeispiel für diese These werde die jüngste Wirtschaftskrise herangezogen. Dass der Turbokapitalismus versagt hat, ist unbestritten. Doch auch ein kommunistischer Gegenentwurf würde nicht zum Erfolg führen. Denn bisher gab es niemals in der Geschichte der Menschheit den Versuch, einen freien Markt wirklich die Bedürfnisse der Menschen regeln zu lassen. Stets greift der Staat regulierend ein. Also kann niemand für sich die Behauptung reklamieren, ein freier Markt könne nicht funktionieren.
Insgesamt kann man jedem, dem die Freiheit der Bürger Europas am Herzen liegt, das Buch von Klaus nur empfehlen. Er fragt kritisch, was man einer supranationalen Ebene wie der EU-Kommission an Entscheidungsbefugnissen einräumen darf und was nicht. Er zeigt auf, dass die Identität und Integrität der Menschen in Europa, die alle untrennbar mit ihren Nationalstaaten verbunden sind, nur in einem vielfältigen Europa gelingen kann. Eine wie auch immer geartete Vision der Vereinigten Staaten von Europa wäre nicht erstrebenswert. Nicht jedes Detail steht schwarz auf weiß in Klaus’ Buch. Doch zwischen den Zeilen kommt es deutlich zum Vorschein.
Bayerns ehemaliger Ministerpäsident Günther Beckstein (CSU), Bayerns amtierende Europaministerin Emilia Müller (CSU), Erlangens Oberbürgermeister Siegfried Balleis (CSU), der Nürnberger SPD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Bundesminister für Europaangelegenheiten, Günter Gloser, der CSU-Euopaabgeordnete Martin Kastler aus Schwabach, Nürnbergs Wirtschaftsreferent Roland Fleck (CSU) und viele Wirtschaftsvertreter kamen zu der Veranstaltung mit Václav Klaus. Sie alle wollten verständlicherweise schnelle und pragmatische Lösungen präsentiert haben, wie Europa zu retten sei. Doch dazu müsste Klaus die Möglichkeit erhalten, tiefer in die Materie einzusteigen. Er lehnt die Brüsseler Institutionen nicht ab, wie viele ihm unterstellen. Doch er will sie an ihrem Platz mit ihren Aufgaben versehen wissen. Und nicht als gefräßiger Krake, der sich immer mehr Kompetenzen einverleibt, um die Bürger Europas zu unfreien Menschen zu machen.
(Ralph Schweinfurth)

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