Wirtschaft

Joachim Herrmann bedauert die geplante Kürzung bei der Städtebauförderung, weil sie zu über 70 Prozent dem ländlichen Raum zugute kommt. (Foto: Schweinfurth)

10.09.2010

„Dem ländlichen Raum droht Abwanderung“

Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ist besorgt über die Kürzung der Bundesmittel für die Städtebauförderung

In Bayern wird künftig weniger gebaut werden können. Denn die Sparbeschlüsse der Bundesregierung treffen sowohl die Programme für den Straßen- und Hochbau als auch die Städtebauförderung. War 2009 und ist das laufende Jahr 2010 noch geprägt von den Konjunkturpaketen des Bundes, so drohen jetzt massive Kürzungen. Wir sprachen mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) über die konkreten Folgen für den Freistaat. BSZ Herr Herrmann, wie viele Autobahnkilometer können denn nächstes Jahr in Bayern gebaut werden?
HERRMANN Das ist schwer zu sagen, denn für 2011 sind die Bundesmittel für den Straßenbau auf 5,8 Milliarden Euro reduziert worden. Und wir wissen bis jetzt nicht, wie groß der Anteil für den Freistaat sein wird. BSZ Wie groß war er bisher?
HERRMANN Im Straßenbau hatten wir letztes Jahr dank der Konjunkturpakte eine gute Situation. Von den 7,2 Milliarden Euro Bundesmittel flossen 1,2 Milliarden nach Bayern. BSZ Davon konnte man doch einige bauen.
HERRMANN Ja, aber es stand nicht der gesamte Betrag für Neubauten zur Verfügung. Denn auch der Straßenbetriebsdienst, also zum Beispiel das Schneeräumen im Winter, und der Straßenunterhalt musste davon finanziert werden. Somit blieb nur ein Teil von den 1,2 Milliarden Euro für den echten Neu- und Ausbau von Straßen übrig. BSZ Wie viel kann der Freistaat in den nächsten Jahren für den Straßenbau ausgeben?
HERRMANN Das können wir leider nicht exakt sagen. Das Bundesverkehrsministerium hat uns vor Kurzem den Einplanungsrahmen für Bayern mitgeteilt. So sieht die mittelfristige Finanzplanung des Bundes bis 2014 für den Freistaat zwischen 130 bis 170 Millionen Euro für die Maßnahmen des Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen pro Jahr vor. BSZ Reicht das?
HERRMANN Niemals. Denn ohne dass wir Mittel zu Lasten der Bestandserhaltung umschichten, würden wir noch 36 Jahre brauchen, um allein die neuen Straßen im Freistaat zu bauen, die im so genannten vordringlichen Bedarf des 2004 aufgestellten und immer noch gültigen Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen aufgelistet sind. Wir haben aber noch viele wichtige Projekte im weiteren Bedarf mit Planungsrecht, die mit aktuellen Kosten von über 2,1 Milliarden Euro zu Buche schlagen würden. BSZ Welche Straßen müssen in Bayern ganz besonders dringend gebaut werden?
HERRMANN Zum Beispiel die Autobahn A 94 von München nach Passau, einige dreispurige Abschnitte und Ortsumgehungen an Bundesstraßen und der sechsspurige Ausbau der Autobahn A 3 zwischen Erlangen und Aschaffenburg sowie der sechsspurige Ausbau der Autobahn A 6 zwischen Nürnberg und der baden-württembergischen Landesgrenze und der sechsstreifige Ausbau der A 8 zwischen Rosenheim und der Bundesgrenze zu Österreich. BSZ Wie hoch ist der Investitionsbedarf bei den Staatsstraßen in Bayern?
HERRMANN Für unser rund 13 600 Kilometer langes Netz bräuchten wir etwa 300 Millionen Euro pro Jahr. BSZ Ist das das reine Neubauvolumen?
HERRMANN Nein. In dieser Summe ist auch sehr viel Erhaltungsaufwand enthalten. Denn viele Staatsstraßen sind inzwischen in einem schlechten Zustand. Fast 36 Prozent des Staatsstraßennetzes im Freistaat müssten dringend erneuert werden. BSZ Und da wollen Sie dennoch Geld für Radwege ausgeben?
HERRMANN Ja, weil es zum einen die Bevölkerung fordert und zum anderen einen Beitrag zum Klimaschutz leistet. BSZ Inwiefern?
HERRMANN Weil Radfahrer mit ihrem Fahrzeug die Umwelt nicht mit Abgasen belasten. Und weil das Fahrrad als Fortbewegungsmittel gerade im innerstädtischen Bereich für Staat und Kommunen wesentlich kostengünstiger ist als Busse oder Bahnen. BSZ Wieviel wollen Sie für neue Radwege in Bayern ausgeben?
HERRMANN Etwa 20 Millionen Euro pro Jahr aus dem Bundesfern- und Staatsstraßenhaushalt. Und ich möchte noch erwähnen, dass es uns gelungen ist, den zweiten nationalen Radverkehrskongress im kommenden Jahr nach Bayern zu holen. BSZ Wo und wann wird dieser stattfinden?
HERRMANN In Nürnberg, aber der Zeitpunkt steht noch nicht fest, da im Nürnberger Kongresszentrum noch ein entsprechendes Zeitfenster gefunden werden muss.
BSZ Muss denn Public Private Partnership angesichts des enormen Investitionsbedarfs allein im Straßenbau nicht noch stärker eingesetzt werden als bisher?
HERRMANN Das muss man sehr differenziert angehen. Wenn es nur um die private Vorfinanzierung eines Projektes geht, handelt es sich nach meinem Verständnis nicht um PPP. Das kann im Einzelfall sinnvoll sein, um eine Maßnahme zu beschleunigen. BSZ Was ist denn dann echtes PPP im Straßenbau?
HERRMANN Wenn ein privater Unternehmer intensiv in ein Projekt eingebunden ist, so wie wir das jetzt beim sechsspurigen Ausbau der Autobahn A 8 zwischen München und Augsburg machen.
Hier gibt es klare Rahmenbedingungen für das private Konsortium, ein Unternehmen, das den Bau und den Unterhalt dieses Autobahnabschnitts für 30 Jahre übernimmt. Hierfür erhalten die Firmen über den gesamten Zeitraum die Einnahmen aus der Lkw-Maut.
Zusätzlich gibt es eine Anschubfinanzierung aus dem Bundeshaushalt. Ob diese Mittel dann ausreichen werden, um den Finanzbedarf zu decken, liegt im unternehmerischen Risiko der beteiligten Firmen. Das ist echtes PPP. Und für dieses Strickmuster gäbe es noch eine Reihe staatlicher Projekte. BSZ Wie sieht die Situation bei der Städtebauförderung aus?
HERRMANN Dramatisch. Hier droht uns nahezu eine Halbierung der Bundesmittel auf 305 Millionen Euro. 2009 waren es noch fast 600 Millionen Euro! BSZ Waren die gesamten 600 Millionen Euro für Bayern?
HERRMANN Nein. Der Freistaat hat 2010 etwa 50 Millionen davon bekommen. Aber die Halbierung auf Bundesebene könnte unseren bayerischen Finanzminister verleiten. BSZ Warum?
HERRMANN Weil die Städtebauförderung immer vom jeweiligen Bundesland kofinanziert werden muss. Also müsste Bayern bei einer Halbierung nur noch 25 statt 50 Millionen Euro oben drauflegen. Eine derartige Kürzung der Städtebaufördermittel ist für mich inakzeptabel. BSZ Wieso ist die Städtebauförderung überhaupt so wichtig für Bayern?
HERRMANN Weil sie zu über 70 Prozent dem ländlichen Raum, also dortigen kleineren Städten und Gemeinden zugute kommt. Wir können auf diese Weise Kommunen mit finanziellen Schwierigkeiten helfen, ihre Innenstädte und Ortskerne zu modernisieren und somit weiterhin attraktiv für die Einwohner zu bleiben. Sonst droht ja Abwanderung. Außerdem ziehen solche öffentlichen Investitionen immer private nach sich. Die Anwohner an den Marktplätzen beispielsweise fangen dann auch zu renovieren an, wenn die Stadt den Platz saniert. BSZ Aber im Wohnungsbau ist dann wenigstens alles im Lot, wenn Ih-nen schon Straßenbau und Städtebauförderung große Sorgen bereiten?
HERRMANN Leider nein. Denn die subventionierten Kreditprogramme der KfW, die für die energetische Sanierung von Bestandsgebäuden wichtig sind, sollen massiv zurückgefahren werden. Das ist nicht nachhaltig und bringt die langfristigen Klimaschutzziele von Bayern und Deutschland in Gefahr. BSZ Wie verträgt sich so eine Kürzung eigentlich mit den Ausbauplänen für die erneuerbare Energieerzeugung?
HERRMANN Gar nicht, weil Energieeinsparung einer der großen Bausteine bei der CO2-Reduzierung ist. Allein ein Drittel des gesamten Energiebedarfs Deutschlands wird für die Raumwärme benötigt. Wenn man jetzt die Mittel für die energetische Sanierung kürzt, sprich nur noch wenige günstige Kredite mehr für Gebäudedämmung zur Verfügung stellt, ist das extrem kontraproduktiv. Denn gerade in diesem Bereich kann der Staat mit geringem Aufwand große Anreize für Investitionen und Klimaschutz schaffen.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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