Wirtschaft

Hätten sie in Nordrhein-Westfalen ihren Asylantrag gestellt, dürften sie jetzt arbeiten. (Foto: Wraneschitz)

15.09.2017

Demo für Ausbildungsrecht von Flüchtlingen

Viele junge Migranten wollen arbeiten, dürfen aber nicht

Asylbewerbern wird oft unterstellt, sie lägen dem deutschen Steuerzahler nur auf der Tasche. Doch wer am vergangenen Donnerstag die Schilder auf der „Demo gegen die Bayerische Flüchtlingspolitik“ in Neustadt an der Aisch las, wurde mit dem Gegenteil konfrontiert: „Wir möchten arbeiten!“ forderten viele junge Männer, die im Landkreis Landkreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim ihre Zeit totschlagen müssen. Es ist ein ganz normaler Donnerstagnachmittag in der beschaulichen Kreisstadt Neustadt an der Aisch. Doch das ändert sich gegen 15 Uhr: Da versammeln sich immer mehr Menschen vor dem Landratsamt. Einigen sieht man an, sie stammen nicht aus Deutschland. Aber die Mehrzahl der knapp 200 Personen sind Deutsche. Die meisten stammen aus den 13 Unterstützerkreisen im Landkreis, die sich um die Flüchtlinge kümmern.
Viele haben auffällige, gelbe Schilder um den Hals hängen: „Arbeit und Ausbildung für alle Geflüchteten“ ist darauf gedruckt. Doch es sind auch jede Menge große Tafeln mit handgeschriebenen Texten zu sehen. „Wir schämen uns für die Bayerische Politik“ oder „Engagierte Ehrenamtliche: Fremdschämen für Populist Seehofer“ ist zu lesen.

Für das Zusammenkommen vor dem Landratsamt gibt es einen Grund: Viele der jungen Männer haben sich seit sie in Deutschland angekommen sind, bemüht, Deutsch zu lernen, haben Praktika absolviert, die Berufsschule besucht, sich um Ausbildungsplätze beworben. Doch nun, trotz Ausbildungsverträgen für Logistik, Bäckerhandwerk, Altenpflege oder Heizungsbau in der Tasche, verwehren ihnen die Ausländerbehörden den Start ins Berufsleben.

Alle Voraussetzungen erfüllt


Dabei erfüllen die Jugendlichen eigentlich alle Voraussetzungen, die die sogenannte „Drei-plus-Zwei-Regel“ im deutschen Integrationsrecht vorgibt, erklärt Monika Gaubitz, eine der Organisatorinnen der Demo. Sie spricht von „Lotteriespiel: Je nachdem, wo die Geflüchteten hinkommen, wird das Gesetz anders ausgelegt.“
In den bayerischen Landkreisen Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim und Ansbach ist die Auslegung offenbar besonders restriktiv, wie der anwesende Landtagsabgeordnete Martin Stümpfig aus Feuchtwangen von den Grünen anmerkt. „Ich kann‘s langsam nicht mehr hören. Jedes Landratsamt hat einen Ermessensspielraum, Ausbildungsgenehmigungen zu erteilen. Aber hier wird einfach schikaniert, das muss aufhören“, redet er sich in Rage.

Anders als in Bayern scheint in Nordrhein-Westfalen jeder Flüchtling, der einen Ausbildungsplatz hat, den auch antreten zu dürfen. „Ich schäme mich für die bayerische Politik. Die CSU will die AfD rechts überholen“, hat Rainer Krug als Grund für die geringe Anwendung von „Drei plus Zwei“ im Freistaat ausgemacht. Krug arbeitet bei der Caroga Flüchtlingshilfe GmbH Bad Windsheim und hat sich der Personalvermittlung von Asylbewerbern verschrieben.

Keine Perspektive


Dass nicht nur Caroga, sondern weite Bereiche der Wirtschaft „Drei plus Zwei“ anmahnen, weiß auch Gabriela Heinrich. Die SPD-Bundestagsabgeordnete aus Nürnberg ist in ihrer Fraktion für das Thema Integration zuständig. Sie schüttelt den Kopf, als sie die für die Demo ausschlaggebende bayerische Vorgehensweise brandmarkt: „Wie sinnvoll kann es sein, einerseits einen Abschiebestopp für Afghanen zu haben und anderseits denen keine Perspektive zu bieten?“ Deshalb fordert sie von Vertretern der Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern sowie Betrieben, sich bei den Behörden melden.

Damit steht sie sichtlich im Konflikt mit ihrem Parteifreund, dem amtierenden Landratsstellvertreter Bernd Schnizlein. Der nämlich hatte von „emotionsfreier Einzelfallprüfung nach Recht und Gesetz“ gesprochen, nach der seine Ausländerbehörde vorgehe.

Identität muss nachgewiesen sein


Erst wenige Tage vor der Demo hatte Mittelfrankens Regierungspräsident Thomas Bauer als Grund für rund 200 im Bezirk abgelehnte Anträge auf Beschäftigung oder Ausbildung in „die zwingende Notwendigkeit der nachgewiesenen Identität“ genannt. Im Landkreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim wurden offenbar mit dieser Begründung immerhin 53 Prozent der Anträge negativ beschieden.

„Das Gesetz ist nicht perfekt. Es hat aber eine andere politische Intention“, erklärt Uwe Kekeritz am Ende des Demonstrationszugs vom Landratsamt bis vor das Rathaus der Kreisstadt. „Ich habe Angst, dass Bayerns Ministerpräsident Seehofer das Gesetz so auslegt, wie es ihm passt“, schiebt der Grüne Bundestagsabgeordnete (MdB) aus Uffenheim nach. Zumal Seehofer „von Migranten Rechtskonformität verlangt, er aber offensichtlich selbst sich nicht darum schert“.

Sein MdB-Kollege Carsten Träger aus Fürth stimmt ihm zu: „Die bayerische Auslegung stellt den Sinn des Integrationsgesetzes auf den Kopf. Wir wollten kein Verhinderungsgesetz“, bestätigt der SPD-Parlamentarier.
Bürgermeister Klaus Meier, ebenfalls SPD, hatte die Demonstranten am Rathaus empfangen mit den Worten: „Bei uns leiden Friseure und Metzger, weil sie keine Azubis bekommen. Und die Willigen dürfen nicht. Das kann ich nicht verstehen.“ Deshalb ist er auch einer der ersten, die ihre Unterschrift unter eine entsprechende Petition der Unterstützerkreise im Landkreis setzen. Und Monika Gaubitz wirft noch während der Abschlusskundgebung „Offene Briefe“ an die politisch Verantwortlichen mit den Forderungen der Demonstranten in den Postkasten am Marktplatz.
(Heinz Wraneschitz)

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