Wirtschaft

Tengelmann will kräftig in Bayern expandieren. (Foto: Tengelmann)

20.05.2011

Der Handel stürmt den Freistaat

Hohe Kaufkraft lockt Unternehmen von nah und fern nach Bayern

Fast die gesamte Eigentümerfamilie war anwesend, als die Handelsgruppe Tengelmann kürzlich in Tutzing am Starnberger See einen neuen Markt eröffnet hat: der 78-jährige Patriarch Erivan Haub, seine Frau Helga, seine Söhne Karl-Erivan Haub, dem der Senior im Jahr 2000 die Unternehmensleitung übergeben hatte, und Georg Haub, der – von Bayern aus – die Immobiliengeschäfte der Gruppe steuert. Eine echte Seltenheit: Keiner konnte sich erinnern, sie alle jemals bei der Eröffnung eines solchen Marktes zusammen gesehen zu haben.
Ein Signal. Tengelmann will kräftig in Bayern expandieren. Aber das will keineswegs nur diese Handelsgruppe aus Mülheim an der Ruhr. Eine ganze Reihe von Anbietern drängt auffallend in den Freistaat, darunter etliche Betreiber von Großmärkten – und das quer durch die Branchen.
Die Drogeriegruppe Rossmann beispielsweise, die in Niedersachsen zuhause ist, will ihre Geschäfte in Süddeutschland und ganz besonders in Bayern kräftig ausweiten. Ähnlich ist es beim Thema Bekleidung: Bekannte Namen sind längst im Freistaat vertreten und geben sich zum Teil weiter expansiv, von Esprit über H+M bis Street One, andere wie beispielsweise das deutsche Textilunternehmen Ernsting’s family zeigen hohes Interesse an Bayern.
Auch ausländische Unternehmen wie das Outlet-Kaufhaus TK Maxx aus den USA oder die spanischen Ketten Zara und Desigual drängen auf den deutschen und besonders den bayerischen Markt. Ähnlichen Magnetismus übt der Freistaat auf große Lebensmittelhändler aus, so etwa neben Tengelmann auch die Edeka-Gruppe und auch den zu ihr gehörenden Discounter Netto, der in den nächsten Jahren die Zahl seiner Filialen um 1000 auf 5000 erhöhen will. Ganz oben auf seiner Prioritätenliste steht Bayern.
Seinem Sohn Georg Haub hat Erivan Haub in Tutzing das Land Bayern regelrecht ans Herz gelegt. „Georg“, rief er ihm vor den versammelten Einweihungsgästen zu, „kümmere dich ernsthaft um Bayern und berichte deinem Vater, dass du dabei Fortschritte machst.“ Die Ausweitungspläne von Tengelmann in Bayern fallen besonders auch deshalb auf, weil sich dieses Unternehmen aus einigen anderen deutschen Regionen zurückzieht, wie beispielsweise die Trennung von 85 Filialen im Rhein-Main-Neckar-Gebiet plakativ belegt hat. Aber nicht nur das: Der Lebensmittelhandel verliert bei Tengelmann eigentlich an Bedeutung, wie zum Beispiel die Trennung vom Discounter Plus belegt. Mehr und mehr werden dagegen andere Aktivitäten hinzugenommen, bis hin zur Beteiligung am Internet-Anbietern wie zuletzt der Berliner Plattform „Lieferheld“. In Bayern jedoch sollen die ganz normalen stationären Lebensmittel-Aktivitäten in Bayern kräftig ausgeweitet werden.
Die Gründe für die hohe Attraktivität des Freistaats liegen für diejenigen, die mit diesem Geschäft Tag für Tag befasst sind, auf der Hand. „Die Kaufkraft ist in Bayern flächendeckend auf hohem Niveau“, sagt ein Handelsexperte – also keineswegs nur in den Ballungsräumen, wenn diese auch meist in erster Linie angepeilt werden. Selbst in ländlichen Gebieten wird die Kaufkraft in diesem Bundesland vielfach höher eingeschätzt als in weiten anderen Teilen Deutschlands. Für Tengelmann steht zwar eine Geschäftsausweitung vor allem im Raum München und Oberbayern im Vordergrund, doch auch an anderen bayerischen Regionen zeigt das Unternehmen Interesse. Kleinere Gemeinden im Visier
Auffallend ist zudem, wie auch große Unternehmen mehr und mehr kleinere Gemeinden im Visier haben. Bei Rossmann galten früher Orte mit 10.000 Einwohnern als Richtgröße, doch inzwischen kommen für die Drogeriekette auch Kommunen mit 5000 Einwohnern infrage. Es könne aber auch gut sein, dass auch ein kleinerer Ort belegt werde, wenn weitere Kunden aus dem Umfeld dort ihren Einkauf tätigten, sagt der für Nordbayern zuständige Außendienstmitarbeiter von Rossmann, Ralph Schulte. Sein Kollege in Südbayern, Peter Wastian, hält neben den größeren Städten auch etliche andere Kommunen, von Holzkirchen über Sauerlach bis Markt Indersdorf, für interessant.
„Die räumliche Nähe ist heute für die Einkaufsentscheidung fast noch wichtiger als Preis und Qualität“, sagt Rossmann-Pressesprecher Stephan Thomas Klose. Auf dem Weg vom Büro nach Hause „mal eben Toilettenpapier, Windeln und Babybrei mitnehmen“ zu können, sei für viele Menschen wichtig. Gefragt sind aber nicht nur „Lauflagen“ wie attraktive Innenstadtstandorte, die ohnehin schwer zu bekommen sind. Auch „Fachmarktlagen“ gelten als interessant, gerade wegen der Nähe anderer Märkte.
Probleme gibt es allerdings hier und da wegen der gewünschten Flächen. In Tutzing wollte Rossmann eigentlich mit einem knapp 500 Quadratmeter umfassenden Geschäft in den Tengelmann-Neubau einziehen, doch das scheiterte an behördlichen Auflagen: Genehmigt wurden nur 320 Quadratmeter. Da sagte Unternehmenschef Dirk Rossmann nein. Auf solche Einschränkungen stößt das Unternehmen immer wieder, auch in anderen Regionen, wie Schulte bestätigt: „Behördliche Auflagen – wie Beschränkungen der Verkaufsfläche oder ein Ausschluss der Branche für bestimmte Bereiche – können dazu führen, dass in einem Ort keine Ansiedlung möglich ist.“ Er zeigt sich überzeugt, dass dies oft nicht gerade im Sinn der Bevölkerung ist: „In den Orten, in denen ein Rossmann-Drogeriemarkt eröffnet, begrüßen die Kunden die Bereicherung des Warenangebotes.“ Fürs gesamte Warenangebot gelten bei Rossmann eigentlich 600 bis 700 Quadratmeter Verkaufsfläche als erforderlich, aber auch die doppelte Größe ist manchmal gern gesehen. Begründet wird dies auch besonders mit umfangreichen so genannten Zusatzsortimenten, von Spielwaren über Schuhe bis zu Büchern. Läden mit nur 200 bis 300 Quadratmetern werden deshalb mehr und mehr geschlossen. Sie gelten betriebswirtschaftlich als schwieriger zu führen.
Der Zug nach Bayern hat offenbar gelegentlich auch ganz persönliche Gründe. Erivan Haub und seine Familie halten sich immer wieder gern in Bayern auf. In Murnau gehört ihnen seit 1992 das Hotel „Alpenhof“. Bei seinem Besuch am Starnberger See geriet der Patriarch der Tengelmann-Eigentumsfamilie regelrecht ins Schwärmen über diese Gegend mit ihrer „wunderschönen Landschaft“. Und er witzelte mit erkennbar ernstem Hintergrund: „Ich sammle furchtbar gern Filialen, schöne Läden und viele interessante Objekte.“
(Lorenz Goslich)

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