Wirtschaft

Harro Colshorn und Helmut Lind (v.l.). (Foto: Gronau Photographie)

03.05.2013

Die Bewegung wächst

Ein Wirtschaftsmodell mit Zukunft: Die Gemeinwohl-Ökonomie

Vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Klimakrise wird die Europäische Gemeinschaft auf eine harte Probe gestellt. Um den resultierenden ökologischen, sozialen und gesellschaftlichen Folgen zu begegnen, hat der Wirtschaftspublizist Christian Felber 2010 ein alternatives Wirtschaftssystem ins Leben gerufen, die „Gemeinwohl-Ökonomie“. Bei ihr ist nicht die Vermögensvermehrung Ziel des Wirtschaftens, sondern der Beitrag zum Gemeinwohl.
Der Punkt „Gemeinwohl“ ist auch Bestandteil der Bayerischen Verfassung in Artikel 151 in dem unter anderem steht: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten ... Die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen findet ihre Grenze in der Rücksicht auf den Nächsten und auf die sittlichen Forderungen des Gemeinwohls ...“ Helmut Lind, Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank München eG, ist seit der ersten Stunde mit dabei: „Wirtschaft muss neu gedacht werden. Es freut mich ganz besonders, dass die Idee in Süddeutschland auf fruchtbaren Boden gestoßen ist.“ Insgesamt 15 Unternehmen sind derzeit in der Regionalgruppe Bayern aktiv und haben eine Gemeinwohlbilanz erstellt.
Die Gemeinwohl-Ökonomie befindet sich im stetigen Verbesserungsprozess. So unterscheidet die Bewegung inzwischen drei Beitrittsmöglichkeiten, die den Zugang vereinfachen: In der ersten Stufe wird das Unternehmen Vereinsmitglied und erstellt eine hausinterne Bilanz, die nicht veröffentlicht wird. Auf zweiter Ebene fertigen die Unternehmen eine Gemeinwohl-Bilanz an, die innerhalb einer Peer-Gruppe gegenseitig geprüft und auf freiwilliger Basis veröffentlicht wird. Als dritte Möglichkeit kann ein Unternehmen die Bilanz extern auditieren lassen und verpflichtet sich damit zur Veröffentlichung. 17 ethische Generalkriterien
Unmittelbarer Nutzen einer Gemeinwohl-Bilanz sind unter anderem Bewusstseinsbildung und Organisationsentwicklung, Motivationssteigerung für Mitarbeiter sowie Attraktivität für Kunden. Die Gemeinwohl-Bilanz als solche beleuchtet die unternehmerische Situation und Entwicklung anhand von 17 ethischen Generalkriterien wie Mitbestimmung und Gerechtigkeit und umfasst dabei auch Lieferanten und Geldgeber. „Um die Idee des Gemeinwohls weiter voranzubringen, haben wir in den vergangenen Jahren die Bilanz und die Bewertungskriterien kontinuierlich weiterentwickelt“, erklärt Lind. „Wir sind überzeugt, dass die Zukunft dem Miteinander gehört und nicht dem Gegeneinander.“ Harro Colshorn, Koordinator der Regionalgruppe Bayern, fügt hinzu: „Wir brauchen neue Werte für die Wirtschaft. Dass auch immer mehr Institutionen dies erkannt haben und sich aktiv in die Gemeinwohl-Ökonomie einbringen, freut mich ganz besonders.“
Die auch von Politikern und Wirtschaftsforschern getragene Initiative „Gemeinwohl-Ökonomie“ startete 2010 in Österreich. 2011 hat etwa ein Viertel der teilnehmenden 400 Unternehmen aus Österreich, Italien, der Schweiz und Deutschland erstmals freiwillig eine so genannte Gemeinwohl-Bilanz erstellt. Inzwischen ist die Bewegung auf 1213 unterstützende Unternehmen aus fünfzehn Staaten angewachsen. Mit dabei sind heute auch 57 Politiker, 151 Vereine, Gemeinden, Universitäten und über 3200 Personen. Etwa ein Drittel der Unterstützer-Unternehmen sind in den Bilanzerstellungsprozess eingetreten. Weltweit agieren heute rund 100 Energiefelder, die vor Ort die Entwicklung und Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie organisieren. Noch 2013 soll ein internationaler Verband gegründet werden, um die Aktivitäten besser zu vernetzen und zu bündeln. (FHH)

Kommentare (1)

  1. hecko am 04.05.2013
    erfreulich, aber nicht verwunderlich, dass diese Bewegung wächst, erleben wir doch überall die Widersprüche und Grenzen unseres bisherigen Wirtschaftens, ohne allerdings die ganze Tragweite anzusehen. Exemplarisch die Presseberichte zur Steuerhinterziehung. Da wird z.B. in der Hoeneß-Affäre der eigentliche Skandal überhaupt nicht angesprochen, nämlich, dass mit Unsummen spekuliert wird und damit die Realwirtschaft manipuliert mit der Folge, dass z.B. Rohstoffe und Grundnahrungsmittel für viele unerschwinglich teuer werden. Die "Spielsucht" einzelner wird für viele bitteres Leben. Diese werden schlichtweg zum (Ver-)hungern verzockt.
    Die Gemeinwohlbilanz ist ein unfassender Ansatz, alle Konsequenzen unternehmerischen Handels zu betrachten. Insofern kommt sie nicht zu früh und hoffentlich nicht zu spät, um unser kollabierendes kapitalistisches Wirtschaftssystem ablösen zu können.
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