Wirtschaft

27.05.2011

Die Freiheit des Auftraggebers

Welche konkreten Anforderungen dürfen in der Leistungsbeschreibung aufgelistet werden?

Ein bislang ungeklärtes Problem wird nach einigen aktuellen Entscheidungen des OLG Düsseldorf wieder diskutiert: Welche Freiheit hat der Auftraggeber beim Auftragsgegenstand? Die Frage stellt sich vor allem dann, wenn die Leistungsbeschreibung konkrete Anforderungen aufstellt, die bestimmte Unternehmen benachteiligen. Insbesondere sieht der in allen Vergabeordnungen enthaltene Grundsatz der Produktneutralität vor, dass die Vor-gabe von Marken, Patenten, einer bestimmten Herkunft oder Produktion grundsätzlich verboten ist, es sei denn, sie ist aufgrund des Auftragsgegenstandes gerechtfertigt oder der Auftragsgegenstand kann nur mit ihrer Hilfe genau beschrieben werden.
Im Ausgangspunkt herrscht in der deutschen Rechtsprechung noch Einigkeit: Ein öffentlicher Auftraggeber darf den Auftragsgegenstand selbst bestimmen. Wo aber ist die Grenze zwischen zulässiger Bestimmung des Auftragsgegenstands und Verstoß gegen die Produktneutralität? Einige Vergabekammern und Gerichte nehmen an, dass die Vorschriften zur Produktneutralität die Freiheit des öffentlichen Auftraggebers von vornherein begrenzen. Andere trennen die Beschreibung des Auftragsgegenstands von der grundsätzlichen Entscheidung über den Auftragsgegenstand; diese Entscheidung soll dem Vergabeverfahren vorgelagert sein und nicht den vergaberechtlichen Regeln unterfallen. Dieser Ansicht folgt auch das OLG Düsseldorf (15.06.2010, Verg 10/10; 03.03.2010, Verg 46/09; 17.02.2010, Verg 24/09). Es geht davon aus, dass der Auftraggeber für die produktspezifische Beschreibung lediglich einen auftrags- und sachbezogenen Grund braucht. Die Wettbewerbseinschränkung durch einen eng gefassten Auftragsgegenstand ist als Folge des vorgelagerten Bestimmungsrechts des Auftraggebers hinzunehmen. Das hatten das OLG Jena (26.06.2006, 9 Verg 2/06) und das OLG Celle (22.05.2008, 13 Verg 1/08) anders gesehen. Sie fordern vom Auftraggeber nicht nur einen sachlichen Grund, sondern eine umfassende Begründung, warum der Auftraggeber nur einen spezifischen Gegenstand beschaffen möchte. Die Hürde des OLG Düsseldorf ist also deutlich niedriger.
Bedeutet die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf nun die große Freiheit für öffentliche Auftraggeber? Vorsicht bei der Produktneutralität ist immer noch geboten: Zum einen gibt es entgegengesetzte Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte. Dem Bundesgerichtshof hat das OLG Düsseldorf die Frage nicht vorgelegt. Eine klärende höchstrichterliche Entscheidung fehlt also nach wie vor. Zum anderen muss der Auftraggeber auch schon von Beginn der Ausschreibung an die sachlichen und auftragsbezogenen Gründe für die spezifische Produktbeschreibung nachvollziehbar dokumentieren. Ob ein Dokumentationsverstoß durch das Nachschieben einer Begründung geheilt werden kann, ist noch nicht abschließend geklärt.

Warenverkehrsfreiheit
ist zu beachten


Darüber hinaus könnte – was die Rechtsprechung bislang offenbar noch nicht bedacht hat – ein zu enger Auftragsgegenstand die europarechtlichen Grundfreiheiten beschränken. Insbesondere die Warenverkehrsfreiheit ist nämlich auch dann zu beachten, wenn der Auftraggeber sich noch außerhalb vergaberechtlicher Vorschriften bewegt. Selbst wenn die Festlegung eines engen Auftragsgegenstands nach dem OLG Düsseldorf nicht am Vergaberecht zu messen ist, könnte der Auftraggeber damit dennoch die Warenverkehrsfreiheit beschränken. Um eine solche Beschränkung zu rechtfertigen, braucht er nach europarechtlichen Vorgaben zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses wie zum Beispiel Umweltschutz, Aufrechterhaltung des staatlichen Gesundheitssystems, etc. – also weit mehr als der vom OLG Düsseldorf geforderte sachliche Grund oder die vom OLG Jena geforderte Rundumschau. Es könnte daher sein, dass der EuGH im Falle seiner Anrufung einen weit-aus strengeren Maßstab aufstellen könnte als dies die deutschen Gerichte bislang getan haben.
Die Rechtsprechung hat damit das Verhältnis zwischen Beschaffungsgegenstand und produktneutraler Beschreibung wieder entdeckt, ohne es bislang rechtssicher zu klären. Die Entscheidungen des OLG Düsseldorf belegt aber die aktuelle Tendenz, öffentlichen Auftraggebern mehr Freiheit zu geben.  (Philipp-Christian Scheel)

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