Wirtschaft

Elbphilharmonie: Öffentliche Bauprojekte bleiben selten im Kostenrahmen. (Foto: dpa)

20.01.2017

Die Masche mit der Billigplanung

Viele öffentliche Bauprojekte werden viel teurer als gedacht – warum ist das so?

Ob Turnhallen oder Feuerwachen, Opernhäuser oder Museen, Krankenhäuser oder Kinderhäuser: Bei öffentlichen Bauwerken scheinen drastische Verteuerungen gegenüber den ursprünglichen Planungen normal zu sein. Nicht wenige solche Fälle gibt es auch in Bayern. Experten glauben zu wissen, wie gegengesteuert werden kann. Doch nicht jeder will das. Hamburger Elbphilharmonie: 789 Millionen statt 77 Millionen Euro. Berliner Flughafen: 5,4 Milliarden statt 2,5 Milliarden Euro. So gigantisch wie in diesen Fällen sind die Kostensteigerungen nicht bei allen öffentlichen Bauwerken, doch Verteuerungen gegenüber den Anfangsberechnungen  nicht selten in Millionenhöhe – scheinen inzwischen zum Alltag zu gehören. Auch in Bayern mangelt es nicht an passenden Beispielen.

Teils erhebliche Kostensteigerungen


Eine Auswahl von Bauten im Freistaat mit teils erheblichen Kostensteigerungen, oft in Millionenhöhe: Sanierung der Münchner Krankenhäuser in Bogenhausen, Schwabing und Harlaching, Großmarkthalle München, die neue Sprungschanze in Garmisch-Partenkirchen, NS-Dokumentationszentrum am Obersalzberg, Eingangsbereich des Freilichtmuseums Glentleiten, Neubau des „Chemikums“ an der naturwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, neue Stadthalle in Cham, Turnhallen in etlichen Kommunen von Grabenstätt bis Tutzing, das neue heilpädagogische Kinderhaus im Taufkirchener Ortsteil Vötting, Nürnbergs Feuerwache 1, das Münchner Gärtnerplatztheater, das Markgräfliche Opernhaus Bayreuth. Teurer als geplant werden ebenso viele Straßenbauten, nicht anders sein wird es bei der zweiten S-Bahn-Stammstrecke in München, und auch das neue Dienstgebäude des Erzbischöflichen Ordinariats München bildet da keine Ausnahme. Wie kann das alles sein? Das wird auf den Straßen und an Stammtischen diskutiert. Viele Häuslebauer fragen sich, wie es ihnen wohl ergehen würde, wenn ihre Gebäude statt vielleicht 400.000 Euro das Doppelte oder Dreifache kosten würden. Laien wundern sich, warum die Planer und die öffentlichen Stellen offenkundig zunächst oft von viel zu geringeren Kosten ausgehen und weshalb dann im Lauf der Zeit kräftig draufgesattelt werden muss. Kann man nicht von vornherein realistisch planen? Oder sind da etwa Abzocker am Werk, die die öffentliche Hand geschickt ausnehmen?

Unsägliche Kostensteigerungen


Mit diesen Fragen beschäftigen sich mittlerweile ganze Forscherteams. Die private „Hertie School of Governance“ in Berlin hat den unsäglichen Kostensteigerungen bei vielen Großprojekten schon vor zwei Jahren eine Studie gewidmet. Ergebnis: Öffentliche Großbauprojekte werden durchschnittlich um sage und schreibe 73 Prozent teurer als geplant. Das Institut für Architektur an der Technischen Universität Berlin prangert gar sieben „Todsünden“ bei vielen Bauprojekten an: Mängel in der Programmdefinition, Mängel in der Kostenermittlung, Zeitdruck und mangelhafte Terminplanung, technische Planungsmängel, unklare Führungsverantwortung und Koordinationsfehler, mangelnde Kontrolle, schließlich politische Einflüsse.

Ganz offensichtlich sind auch Tricks im Spiel. Erst rechnet ein Planer die Kosten niedrig, um den Auftrag zu erhalten, sagt Olaf Breuer, Geschäftsführer des Bereichs Bauträger und Projektentwicklung beim oberbayerischen Bauunternehmen Krämmel in Wolfratshausen. Und dann kommt nach und nach finanziell immer mehr dazu. Bestimmte Firmen spekulieren nach Breuers Erfahrungen: Sie versuchen, erst mal mit einem günstigen Angebot an einen Auftrag zu kommen und dann später „Nachtragspotenzial“ auszuschöpfen. Dafür gebe es viele Möglichkeiten.

Korrekt kalkulierende Anbieter können kaum mithalten


Korrekt kalkulierende Anbieter können kaum mithalten, wenn Konkurenten um zehn bis 15 Prozent weniger verlangen als der Nächstbillige, sagt der Krämmel-Geschäftsführer. Er weiß genau, welchem Druck gerade öffentliche Gremien wie etwa Stadt- und Gemeinderäte unterliegen. Ein Bürgermeister kommt in Erklärungsnöte, wenn er einen deutlich teureren Anbieter beauftragen will: „Da kommt ein Gremium kaum raus, wenn ein Anbieter erheblich billiger ist.“ Es interessiere meist auch wenig, dass nach allen Vorschriften überhaupt nicht der billigste Anbieter den Zuschlag erhalten muss, sondern der wirtschaftlichste – der also mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Breuer hat sogar den Verdacht, dass so manches vor der Insolvenz stehende Unternehmen noch mit allen Methoden an Aufträge zu kommen versucht, „um das tote Pferd am Leben zu erhalten“.

Sind die Kosten bei der Elbphilharmonie in Hamburg am Anfang mit damals 77 Millionen Euro bewusst zu niedrig angesetzt worden? Immerhin sind sie letztlich bei 789 Millionen Euro gelandet. Eine Bemerkung des früheren Hamburger Bürgermeisters Ole von Beust lässt jedenfalls aufhorchen. Als Hauptfehler soll er es bezeichnet haben, dass zu Beginn „die Planungstiefe“ nicht vorhanden gewesen sei.

Kosten unverantwortlich nach unten korrigiert


Die Masche mit der Billigplanung hat die Architektenkammer Baden-Württemberg in einem Positionspapier zum Thema Kostensteigerungen im öffentlichen Bau so beschrieben: „Nicht selten werden in der Entscheidungsvorbereitung die Planungs- und Baukosten durch die politischen Gremien für die Genehmigung unverantwortlich nach unten korrigiert.“ Dass regelmäßig unrealistische Angebote gemacht werden, bestätigt auch Wilfried Schober vom Bayerischen Gemeindetag. Sie nicht zu akzeptieren, könne aber für eine Kommune durchaus problematisch sein. Denn es gebe Prüfungen. Wenn sich unterlegene Bewerber beschwerten, könne die betreffende Gemeinde vor die Vergabekammer zitiert werden. Und es ist meist gar nicht so einfach, die Ablehnung eines besonders günstigen Angebots zu erklären. Zudem geht es häufig auch um staatliche Zuschüsse, wie Schober sagt. Die aber seien in Gefahr, wenn bei der Vergabe Fehler entdeckt worden seien. „Das ist ein Spannungsfeld, in dem eine Gemeinde steht – sie will nichts falsch machen.“ Viele Mitarbeiter in den Rathäusern seien da überfordert – und das Kostenbewusstsein in Bayern sei generell „sehr ausgeprägt“. Gerade bei komplexen Projekten würden Ausschreibungen inzwischen mehr und mehr an Ingenieurbüros vergeben, damit bei denen auch die Haftung liege.

Kostensteigerungen öffentlicher Bauten – ist das etwa ein notwendiges Übel oder kann gegen eklatante Verteurerungen zumindest in Zukunft etwas getan werden? An Vorschlägen mangelt es nicht. Meist werden Präventivmaßnahmen mit besserer Planung gefordert. Genia Kostka, die für die Studie der Hertie School verantwortliche Professorin, behauptet: „Unsere Forschungen zeigen, dass man wirksam gegensteuern kann.“

Kostenexplosion verhindern


Von einer Reformkommission für Großprojekte vom Bundesbauministerium gibt es sogar Handlungsempfehlungen, wie man Kostenexplosionen verhindern kann. Erst planen, dann bauen, wird da zum Beispiel empfohlen, Vergabe an den Wirtschaftlichsten, nicht den Billigsten, verbindliche Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, stärkere Transparenz und Kontrolle sowie Nutzung digitaler Methoden („Building Information Modeling“, kurz BIM). An Aufmerksamkeit gewinnen Methoden wie das „Bauinvestitionscontrolling“ oder das „integrale Baumanagement“ zur Abstimmung an den Nahtstellen, um das Zusammenspiel von Verwaltung, Planern, Bauherren und ausführenden Firmen zu verbessern. Als sinnvoll erachtet werden auch frühzeitige Machbarkeitsstudien.

Nach Auffassung der Architektenkammer Baden-Württemberg sollten sie von vornherein die kompletten Raumprogramme sowie realistische und ungeschönte Baukosten enthalten – nicht einen von Politikern oder Kämmerern vorgegebenen „Kostendeckel“. Auch die Präqualifizierung von Unternehmen wird nach Meinung von Experten zu wenig genutzt. Im sogenannten Präqualifizierungssystem können Firmen, die bei Ausschreibungen in die engere Wahl kommen wollen, ihre Eignung, Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Gesetzestreue und Fachkunde nach den einschlägigen Verordnungen nachweisen. Wilfried Schober vom Bayerischen Gemeindetag rät den Kommunen, die Dienste des Auftragsberatungszentrums Bayern in Anspruch zu nehmen: „Da gibt es Experten, die die Gemeinden auf solche Dinge hinweisen.“

Als der Weisheit letzter Schluss werden gelegentlich Generalunternehmer betrachtet. Den Verzicht auf einen solchen betrachtet die Hertie School of Governance als einen der zentralen Fehler beim Berliner Flughafen. Tatsächlich schaffen es Generalunternehmer immer wieder, die Kosten großer Projekte im Griff zu behalten. Doch ob Generalunternehmer wirklich immer eine sinnvolle Lösung sind, ist umstritten.

ÖPP-Projekte bleiben meist im Kostenrahmen


Der Bayerische Bauindustrieverband will sich und seinen Mitgliedsunternehmen den Schwarzen Peter nicht zuschieben lassen: Viele Großprojekte blieben im Plan, einige würden günstiger abgeschlossen als geplant. „Zu diesen Top-Projekten zählen ausschließlich Bauprojekte“, erklärt der Verband, der einen hohen Anteil öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP) an diesen Top-Projekten für bemerkenswert hält: „Das Zusammenwirken privater Projektexpertise und staatlicher Zielvorgabe hat offenbar weit bessere Ergebnisse erbracht als die herkömmliche Beschaffungsart.“ Bei allen untersuchten ÖPP-Projekten habe die Kostensteigerung zehn Prozent betragen. Für den Bauindustrieverband steht fest: „Die Fehler passieren vor dem Bauen.“

Der Forderung der Hertie School of Governance nach Präventivmaßnahmen schließt sich der Verband deshalb an. In die Aufsichts- und Steuerungsgremien müssten Baufachleute, in die Projektorganisation Projektpartner mit hoher Expertise aufgenommen werden. Durch Einbezug privaten Kapitals müsse das Risikomanagement verbessert werden. Und in jedem Fall müsse vor der Auftragsvergabe eine ausreichende Planungstiefe erreicht werden. Auch die Rechnungshöfe haben sich in diese Diskussion eingeklinkt. Die Präsidentenkonferenz der Bundes- und Landesrechnungshöfe hat bereits 2015 „Leitsätze zum Management von großen Baumaßnahmen“ verabschiedet. Dort wird nüchtern festgestellt, „dass die Mängel bei Baumaßnahmen im Wesentlichen Folge mangelhafter Anwendung der rechtlichen Vorgaben waren“.

Der Bayerische Oberste Rechnungshof hat darüber hinaus für staatliche Hochbaumaßnahmen vor Monaten ein sogenanntes Nachtragsmanagement gefordert. Denn Nachträge bei Bauaufträgen, so argumentierte er, verursachten zusätzliche Kosten. Bei schlussgerechneten Hauptaufträgen mit einer Gesamtsumme von 603 Millionen Euro habe es Nachträge von rund 125 Millionen Euro gegeben. Den Verantwortlichen in den Bauämtern sei aber manchmal nicht mal bekannt, dass mit ihrer Zustimmung zur Auszahlung auch Leistungen beglichen wurden, die nicht schriftlich beauftragt waren. Mit einem Einsparpotenzial von mindestens 16 Millionen Euro für den Staatlichen Hochbau in Bayern rechnet der Rechnungshof. Dazu müssten jedoch die Bauämter mit ausreichend und entsprechend qualifiziertem Personal ausgestattet werden.

„Ist-ja-nicht-mein-Geld-Mentalität“ bei Politikern


Vorschläge sind das eine – die Bereitschaft zu ihrer Realisierung offrenbar etwas ganz Anderes. Der bayerische Landtag hat die Staatsregierung am 1. Juni 2016 per Beschluss „ersucht, das Baukosten- und Nachtragsmanagement bei den Staatlichen Bauämtern zu verbessern“. In dem Beschluss steht, dass dem Landtag darüber bis spätestens 30. November 2016 zu berichten sei. Das ist allerdings bis zu diesem Termin nicht geschehen. Eine „Ist ja-nicht-mein-Geld-Mentalität“ bei Politikern und Behörden beklagt Michael Stocker, der beim Bund der Steuerzahler Bayern für Haushalt und Kommunalpolitik zuständig ist.

Mit durchschnittlich 73 Prozent Verteuerung gegenüber den ursprünglich angesetzten Kosten stehen öffentliche Großbauten übrigens immer noch vergleichsweise gut da, wenn man den Berechnungen der Hertie School folgt. Für Energieprojekte wurden gegenüber den anfänglichen Budgets durchschnittliche Kostensteigerungen von 136 Prozent ermittelt, bei IT-Projekten sage und schreibe von 394 Prozent.
(Lorenz Goslich)

Kommentare (1)

  1. gunnar67 am 29.01.2017
    Bitte besser recherchieren. Sie schreiben "Sind die Kosten bei der Elbphilharmonie in Hamburg am Anfang mit damals 77 Millionen Euro bewusst zu niedrig angesetzt worden? "
    Wikipedia sagt: "Die Machbarkeitsstudie vom Juli 2005 wies Gesamtkosten von 186 Millionen Euro aus. Von dieser Summe sollte die Freie und Hansestadt Hamburg 77 Millionen Euro tragen."
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