Wirtschaft

Ein Zug aus sieben aneinandergekoppelten Fahrradanhängern schlängelte sich in diesem Jahr vor dem traditionellen Trachtenumzug zur Wiesn. (Foto: Markus Schlaf)

15.12.2017

Die versteckten Gründer-Gene der Handwerker

Handwerker bringen Stärken mit, die für Gründungen fundamental sind und bei digitalen Startups meist fehlen

Auch Handwerker bauen Startups auf. Neun Gründer präsentierten ihre Konzepte auf einer Veranstaltung der Handwerkskammer München. Ihr Auftritt zeigt: Im Vergleich mit digitalen Startups bringen sie interessante Stärken mit. Ein Zug aus sieben aneinander gekoppelten Fahrradanhängern schlängelte sich in diesem Jahr hin und her vor dem traditionellen Trachtenumzug zur Wiesn. Darauf platziert: ein mannshoher Schriftzug „200-Jahre“. Der verwies auf den 200. Geburtstag des Fahrrads, der offiziell auf 1817 datiert wird. Die Idee kam auf, weil der Umzug lange schon von drei historischen Hochradfahrern angeführt wird.

„Es ist nicht ganz einfach, mit so einem Fahrradzug enge Kurven zu fahren“, erzählt der Fahrer Peter Hornung: „Man muss genug Fahrt aufnehmen und immer die Teilnehmer im Blick behalten.“ Dass Hornung den Fahrradzug beherrscht, verwundert wenig. Er stellt die Fahrradanhänger her. Hornung ist Schreiner und Architekt und leitete 20 Jahre eine kleine Möbelbaufirma mitsamt Planungsbüro mitten in München. Bis er 2012 begann, Fahrradanhänger zu konstruieren, die robust genug für Handwerker sind. Zwei Jahre später schließt er seine Firma und gründet ein Startup.

Hornung war mit dabei auf einer Veranstaltung „Startup trifft Handwerk“, zu der die Handwerkskammer München eingeladen hatte. Diese Reihe hat die Handwerkskammer gemeinsam mit Munich Startup initiiert, dem offiziellen Startup-Portal für München.

Neun Startups stellen sich an diesem Abend vor. In fünf Minuten erläutern sie ihr Projekt und das Geschäftsmodell dahinter. Und mit jedem Auftritt wird klarer, dass Handwerker einige Stärken mitbringen, die für Gründungen fundamental sind. Und zwar Stärken, die digitalen Startups fehlen.

Fähigkeiten vergleichen


Weil das viele überraschen wird, starten wir hier ein fiktives Match über vier Runden. Dabei vergleichen wir die Fähigkeiten von zwei Handwerker-Startups und einer Metzgerei mit denen ihrer digitalen Kollegen. Gewinner ist, wer in den vier Bereichen Problemorientierung, Prototypen-Bau und Kundennähe sowie Marketing mehr Stärken vorweist. Los geht’s, Anpfiff zur ersten Runde.

Wer kennt die Probleme seiner Kunden besser? Simon Schlögl ist Dachdecker aus München. Ihm war aufgefallen, dass auf Baustellen viel mehr Müll entsteht als noch vor einigen Jahren und er ist der Ursache nachgegangen: „Baustoffe werden immer individueller und übrig gebliebene Teile lassen sich selten beim nächsten Auftrag weiterverwenden“, erläutert Schlögl auf der Bühne. „Die Lager der Firmen sind voll mit Material, das teilweise noch original verpackt ist.“

Daher hat Schlögl gemeinsam mit seinem Bruder Bastian, einem Betriebswirt, ein Startup gegründet. „Auf www.Materialrest24.de können Handwerker übrig gebliebene Bauteile an andere Handwerker verkaufen“, erläutert Schlögl auf der Bühne. Und präsentiert einen professionellen Webshop, der auf einem Produktkatalog aufbaut und sauber in Rubriken unterteilt ist: „Unser Shop macht totes Kapital mit Beschreibung, Fotos und Preis sichtbar.“

Die Story verdeutlicht eine typische Stärke der Handwerker. Sie bekommen Probleme hautnah mit und ihre Gründungskonzepte zielen darauf, diese zu lösen. Digitale Startups hingegen verfolgen immer wieder einen brillanten Ansatz und müssen erst verifizieren, ob das wirklich ein Problem löst. Und stellen manchmal fest, dass ihre Idee bei Kunden gar nicht ankommt. Dann modifizieren viele Startups ihr Konzept und starten erneut.

Handwerker in Führung


Handwerks-Startups bleibt das erspart, sie kennen das zu lösende Problem von Anfang an. Damit gehen die Handwerker mit einer 1:0-Führung in die zweite Runde.

Wer baut die besseren Prototypen? Auch Hornung hatte ein konkretes Problem vor der Nase. „Meine Möbelbaufirma lag mitten in München und täglich standen wir für kleine Reparaturen im Stau“, erzählt er auf der Bühne. „Oft haben wir Strafzettel kassiert und konnten nichts dafür in Rechnung stellen.“
So kommt 2012 die Idee auf, lokale Aufträge mit Fahrradanhängern anzugehen. Sofort baut Hornung einen Prototyp, den er ausgiebig bei der täglichen Arbeit testet: „Innerhalb eines Jahres entstanden ausschließlich mit Münchner Handwerkern fünf Prototypen-Serien, die immer besser geworden sind und nach einem Jahr tatsächlich produktreif waren.“

Das zeigt: Handwerker sind exzellente Prototypen-Bauer, denn individuelle Lösungen sind ihr Kerngeschäft. Digitale Startups hingegen bringen hier selten spezifische Kenntnisse mit. Benötigen sie ein physisches Modell, müssen sie den Bau erst erlernen – oder ein teures Modell extern anfertigen lassen. Damit geht auch dieser Punkt an die Handwerker, die vor Runde 3 mit 2:0 in Führung liegen.

Wer ist näher am Kunden dran? Alle Startups müssen verifizieren, ob ihr angedachtes Produkt ein Problem wirklich nachhaltig löst. Daher befragen sie schon früh potentielle Kunden, ob die Lösung ankommt. Doch diese Tester müssen sie erst finden. Und ist ein Prototyp gebaut, sind weitere Tests notwendig, für die man abermals Nutzer finden muss.

Täglich Kunden vor der Nase


Für Handwerksbetriebe ist das ein leichtes Spiel, sie haben ihre Kunden täglich vor der Nase. Sowohl Simon Schlögel als auch Peter Hornung konnten ihre Kunden zu ihrer Produktidee befragen und deren Vorschläge schnell umsetzen. Somit geht auch diese Runde an die Handwerker, die ihren Vorsprung vor Runde 4 auf 3:0 erhöhen.

Wer beherrscht das digitale Marketing besser? Endlich ein Steilpass für digitale Startups, denn auch die Werbewirtschaft ist mittlerweile stark digital getrieben. Digitale Gründer pflegen oft gute Beziehungen zu webaffinen Werbern, zu Designern und Webprogrammieren. So finden sie immer wieder einen leichten Zugang zur digitalen Bühne. Für Handwerk-Startups ist es vergleichsweise schwierig, ihre Idee groß herauszubringen. Sie haben wenig Affinität zu den neuen digitalen und sozialen Medien – eine echte Hürde.

Aber auch hier gibt es Auswege. Metzgermeister Steffen Schütze aus Freising stellt seine Kampagne auf Facebook vor. „Wer nach Lehrlingen sucht, muss Kanäle nutzen, in denen junge Leute unterwegs sind“, spornt er an. „Und sich auch etwas trauen.“ Mit einer Serie von ungewöhnlichen, teils provokanten Motiven und Sprüchen wurde die Metzgerei bundesweit bekannt.

So gut seine Kampagne auch lief: Digitale Startups sind einfach näher dran am digitalen Marketing. Daher geht dieser Punkt in der letzten Runde an sie.

Leichter skalierbar


Und die Gewinner sind die Handwerker-Startups: Sie schlagen ihre digitalen Kollegen mit 3:1. Natürlich sind die Kategorien frei gewählt. Es gibt viele weitere Faktoren, die für Startups eine große Rolle spielen. Beispielsweise sind digitale Geschäftsmodelle generell leichter skalierbar – ein großer Vorteil für digitale Gründungen.

Aber auch hier können Startups aus dem Handwerk intelligent agieren und beispielsweise ihren Service ausbauen. So organisiert www.Materialrest24.de mittlerweile den Versand der Artikel inklusive Abholung. „Das ist für viele Betriebe ein wichtiges Feature“, sagt Schlögl. Ebenso schlau ist die Modularität der Fahrradanhänger von hinterher.com. Dadurch lassen sie sich spielend erweitern, da wurde Skalierbarkeit schon mitgedacht. Ein weiterer Beweis für die vielfältigen Gründer-Gene der Handwerker. Die sogar so weit reichen, einen Oktoberfestumzug anzuführen.
(Michael Kallus)

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