Wirtschaft

Für Wolfgang Ischinger ist Cybersecurity eines der großen Themen für die Sicherheitskonferenz. (Foto: Mörk)

21.01.2011

„Ein Fehler, Europa als Kostenfaktor zu diskutieren“

Der Macher der Münchner Sicherheitskonferenz über Inhalte der diesjährigen Tagung

Die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise stellen die internationale Sicherheitspolitik vor neue Herausforderungen. Im Gespräch mit der Staatszeitung gibt der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, der ehemalige Diplomat Wolfgang Ischinger, einen Ausblick auf die Anfang Februar tagende Sicherheitskonferenz und fordert eine Debatte über Europas Zukunftsfähigkeit im 21. Jahrhundert. BSZ: Herr Botschafter, in wenigen Wochen findet die 47. Münchner Sicherheitskonferenz statt. Welche Themen werden diesmal die sicherheitspolitische Debatte in München beherrschen?
Ischinger: Die Sicherheitskonferenz 2011 möchte ich unter die Gesamtüberschrift „Internationale Sicherheitspolitik vor neuen Herausforderungen: Von der Finanzkrise bis zum Cyberwar“ stellen. Neben den bekannten Fragestellungen, die sich mit der Zukunft Afghanistans, der nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung, dem NATO-Russland-Verhältnis einschließlich der NATO-Raketenabwehr beschäftigen, haben wir eine neue Herausforderungslage in der internationalen Sicherheitspolitik. Neu auf der Agenda sind Themen wie Cybersecurity und die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise auf die internationale Sicherheitspolitik, auf die Verteidigungs- und entwicklungspolitischen Budgets und damit auf die Fähigkeit der westlichen Staatengemeinschaft, außerhalb des euro-atlantischen Raumes Stabilität in die weltweiten Krisenregionen zu exportieren. BSZ: Einen besonderen Stellenwert erhält die Sicherheitskonferenz durch die Teilnahme vieler hochrangiger Persönlichkeiten. Welche wichtigen Gäste erwarten Sie dieses Jahr in München?
Ischinger: Um nur einige Namen zu nennen: Ich freue mich sehr, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, den EU-Ratspräsidenten Herman von Rompuy, aus Russland Vizepremierminister Sergej Iwanow und Außenminister Sergej Lavrov, Großbritanniens Premierminister David Cameron, Afghanistans Präsident Hamid Karzai sowie Weltbankpräsident Bob Zoellick dieses Jahr in München begrüßen zu dürfen. BSZ: Die Münchner Sicherheitskonferenz genießt einen hohen internationalen Stellenwert und wird oft mit dem Weltwirtschaftsforum in Davos verglichen. Was ist das Markenzeichen der Konferenz?
Ischinger: Die Münchner Sicherheitskonferenz ist das für die internationale Sicherheitspolitik, was Kreuth für die CSU ist. Sie ist ein fester Bestandteil des internationalen Kalendariums und gibt zu Jahresbeginn insbesondere in der euro-atlantischen Sicherheitspolitik den Orientierungsrahmen vor, unterliegt aber nicht dem üblichen Druck internationaler Tagungen, die mit einem Abschlusskommuniqué beendet werden müssen. Der Charme des Treffens ist außerdem, dass Menschen außerhalb des förmlichen Rahmens von Staatsbesuchen zu Wort und ins Gespräch kommen, die bei offiziellen Gipfelrunden nicht immer auf den Podien sitzen, denkt man beispielsweise an Vertreter aus dem Iran oder Irak. BSZ: Und was ist die Botschaft der Konferenz nach außen für den interessierten Bürger?
Ischinger: Die internationale Außen- und Sicherheitspolitik wird für den einzelnen Bürger immer wichtiger. Wir leben nicht unter einer deutschen Käseglocke, sondern sind in immer stärkerer Weise international vernetzt und damit auch abhängig vom Import von Rohstoffen und Energieträgern, von Frieden und Stabilität in den Regionen der Welt, die ebenso Einfluss darauf haben, dass in und um Europa stabile und friedliche Verhältnisse herrschen. BSZ: Sieben der „DAX 30“-Firmen kommen allein aus Bayern, darunter namhafte „Global Player“ wie die Linde-Gruppe und Siemens.Welche Bedeutung hat Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert mittlerweile auf die heimische Wirtschaft?
Ischinger: Keines der DAX-Unternehmen verdient heute ausschließlich sein Geld in Deutschland. Alle sind neudeutsch gesprochen „Global Player“. Sie sind international tätig und unterliegen den internationalen rechtlichen Rahmenbedingungen wie denen der Welthandelsorganisation (WTO). Und sie sind davon abhängig, dass zum Beispiel Luft- und Seefahrtstransporte sicher stattfinden können und eine weltweite Investitionssicherheit vorliegt. Die Sicherheitspolitik ist deshalb eine wichtige Rahmenbedingung für den Erfolg, den unsere Wirtschaft auf der ganzen Welt erzielt hat und auch weiter erzielen wird. BSZ: Welche Konsequenzen wird die Wirtschafts- und Finanzkrise vor allem aus machtpolitischer Sicht für Europa haben?
Ischinger: Immer deutlicher werden die tektonischen Verschiebungen im weltpolitischen Machtgefüge, in dem Europas politische und wirtschaftspolitische Rolle in der Welt schon alleine aus demografischen Gründen abnehmen wird. Die Macht neuer Staaten, wie Brasilien, Indien, China und anderer, wird indes zunehmen und die Folgen werden enorme Abhängigkeiten sein. Daher wird unser Interesse wachsen, dass wir eine Weltordnung haben, die sich auf klare Regeln und auf eine legitime Ordnung internationaler Organisationen und Regelwerke stützt, die für alle verbindlich sind. Jetzt haben wir Europäer und der Westen allgemein darauf noch den Einfluss und die Macht, als wichtige Stimme im internationalen Konzert zu reagieren. BSZ: Im Streit um die Euro-Rettungspakete warnte im letzten Jahr EU-Ratspräsident Herman van Rompuy: „Wenn die Euro-Zone nicht überlebt, wird die Europäische Union nicht überleben.“ Ist in den Hauptstädten Europas nicht der Blick für das große Ganze, nämlich die europäische Integration verloren gegangen?
Ischinger: Es war ein großer Fehler, dass die Debatte über Europa und über den Euro gerade bei uns in Deutschland immer stärker als eine Debatte über Kosten geführt worden ist, die der deutsche Steuerzahler zu tragen habe. Viel sinnvoller wäre es, wenn wir eine Debatte über die Schaffung von Europas Zukunftsfähigkeit führen würden. Es steht für mich völlig außer Frage, dass die Begründung für die Notwendigkeit, im 21. Jahrhundert Europa zu bauen, noch viel stärker tragen wird als im 20. Jahrhundert. Nur wenn wir mit einer europäischen Stimme für eine halbe Milliarde Menschen sprechen, werden wir uns im globalen Interessengeflecht durchsetzen können.
Die Bedeutung für Europa ist deswegen im 21. Jahrhundert noch zwingender und richtiger, als sie es vorher war. Wir sollten uns daher vor der Perversion hüten, Europa zu einem Kostenfaktor herunterzudeklarieren. Wir müssen Europa als unsere einzige Zukunftschance definieren.
(Interview: Oliver Rolofs)

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