Wirtschaft

09.08.2013

Ein Schnitzel und einmal tanken

Verkehrsplanung als Exportschlager: BMW und Landeshauptstadt München entwickeln Zukunftskonzepte

Ein Autohändler, der früher aktiver Rennsportler war, sprach jetzt auf einer Fachdiskussion in München über seine neuste Idee: Immer wenn er zum Mittagessen ins Wirtshaus fährt, rollt er ein selbst gebasteltes Kabel für sein Elektroauto aus, und tankt es über eine ganz normale Steckdose auf. Dem Wirt gefällt dies so gut, dass er dafür kein Geld will. Es kommen ja auch neue Gäste, die das Wunderkabel sehen wollen. Außerdem würde es sich wahrscheinlich kam lohnen, denn die Kosten für das „Volltanken“ eines E-Mobils liegen vergleichsweise niedrig. Für 100 Kilometer kalkuliert man rund drei Euro.
Dieses Beispiel verdeutlicht, dass sich die Kommunen keine großen Gedanken mehr machen müssen, über öffentliche Versorgungsangebote. Die bisher sorgenvoll angedachten „Tanksäulen“ für knapp 10 000 Euro das Stück könnten ins Verkehrsmuseum wandern, Abteilung graue Vorzeit.
Die Wirtshausgeschichte zeigt aber auch, wie dynamisch die Entwicklung läuft, vor allem getrieben und hierzulande oftmals verschlafen durch technische Fortschritte und politische Entscheidungen in Asien. So dürfen in Peking und anderen Metropolen Chinas keine Mopeds mit Benzinmotor mehr fahren. Erst kürzlich hat die neue Regierung der Volksrepublik angeordnet, dass alle öffentlichen Busse ab sofort nur noch mit E-Motoren ausgerüstet werden müssen.

Neue Herausforderungen


Diese Entwicklung in Fernost, die schlagartig völlig neue Herausforderungen für den Wettbewerb bringen kann, wird in der Münchner Zentrale von BMW sorgfältig beobachtet und mit eigenen Strategien beantwortet. Dabei geht es nicht nur um den Bau neuer erstklassiger Modelle. Man hat sich vielmehr ein noch ehrgeizigeres Ziel vorgenommen. Es steht unter dem Motto „DriveNow“ und es wirft die schlichte Frage auf, wie kann man künftig in den großen Städten dieser Welt überhaupt noch Mobilität gewährleisten.
In Moskau oder Tokyo dauert die Fahrt vom Zentrum zum Flughafen schon heute einen halben Tag, wenn sich der Verkehr wieder mal staut. Da sieht man Autofahrer, die Zeitung lesen, Fernsehen schauen oder Frühstücken. Wie soll das erst werden, wenn die Bewohner der Megastädte in den Schwellenländern mit 20 bis 30 Millionen Einwohnern auch alle mit dem Auto fahren wollen wie wir? Antworten darauf suchen in einer erfreulichen Kooperation BMW und die Landeshauptstadt München gemeinsam. Ein ideales Gespann, hat München doch den Vorteil, dass es wahrscheinlich das beste öffentliche Verkehrssystem bietet – zumindest innerhalb der Stadt – und rekordverdächtigte Zuwachsraten beim ÖPNV verzeichnen kann.
Das Gesamtkonzept von „DriveNow“ beschränkt sich nicht nur auf Elektroautos, auch Benzin- und Dieselautos, stehen zur Verfügung. Immerhin haben sich in München fast 50 000 Interessenten die Schlüsselkarte für DriveNow gekauft. Das Projekt, das sehr stark eine Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr im Auge hat, wird nun in weiteren Großstädten, wie in Frankfurt oder Düsseldorf, getestet. Und es ist durchaus wahrscheinlich, dass man in Bälde diese mobile Zukunft auch in einer mittelgroßen Stadt erprobt.
Ein Blick in die Zukunft sieht für Bernhard Blättel, Leiter Mobilitätsdienstleistungen BMW i, überraschenderweise so aus: „Der Stadtverkehr von morgen kann eine Bereicherung des urbanen Lebens werden – komfortabel, flexibel und zuverlässig mobil, auch ohne eigenes Auto.“ Besonders wichtig sei dabei der Ausbau von Car Sharing. In München hat BMW bereits etwa 1000 Pkw in diesem System. Der Kunde erwirbt sich für 29 Euro eine Nutzerkarte, Monatsbeiträge wie bei anderen Anbietern werden nicht gefordert. In einem zweiten Schritt lässt sich der Nutzer in einer Filiale eines marktbeherrschenden Autovermieters die Karte mit Führerschein und Personalausweis abgleichen. Dies ist dann der Schlüssel für alle in der Stadt verfügbaren Fahrzeuge. Bereits in der U- oder S-Bahn kann er über sein Smartphone das nächst freie Auto erkunden und reservieren. Eine bereits heute nutzbare APP beschreibt die günstigste Verbindung vom Standort zum Ziel. Der Preis für die Nutzung liegt zwischen 28 und 34 Cent pro gefahrener Minute. Im Preis eingeschlossen sind die Stromkosten, mögliche Parkgebühren und eine Vollkaskoversicherung mit Selbstbeteiligung. Es gibt auch günstige Wochen- und Jahrestarife.
Für den Nahverkehr reicht ein Elektroauto allemal. Wer aber in den Urlaub fährt oder eine längere Reise plant, kann sich über dieses System relativ unkompliziert und recht preisgünstig ein Auto mit Benzin- oder Dieselantrieb mieten. Denkbar wäre in Zukunft beispielsweise eine „Mobilstation“, die alle Energiestoffe bereit hält und als Sammelplatz dient.
Die Verkehrsplanerin der Landeshauptstadt München, Sabine Nallinger (Grüne), räumt ein, dass dieser Wandel nicht in einer Wahlperiode abgearbeitet werden könne. Doch jetzt – so die auch parteipolitisch erfahrene Technikerin – brauche es einen weit in die Zukunft reichenden Stadtentwicklungsplan. Dabei müssen auch Elektroroller und Fahrräder eine zentrale Rolle spielen, denn Autos – mit welchem Motor auch immer – brauchen den gleichen Platz. Vor allem gelte es, die unsäglichen Staus und den Parksuchverkehr in den Innenstädten stark zu reduzieren, der wertvollste Energie buchstäblich verschleudert.

Steh- statt Fahrzeuge


Wer etwa zu Stoßzeiten den Mittleren Ring in München täglich erleidet, kann schon verstehen, wenn Sabine Nallinger nicht mehr von „Fahrzeugen“ sondern lieber von „Stehzeugen“ spricht. Die Kommunen müssten mutiger werden, Experimente wagen und eine pragmatische Zusammenarbeit von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft organisieren. Schon in Kürze werden sich auch kleinere Kommunen mit unzureichenden Stellplätzen für Fahrräder und viel zu knapp bemessenen Radwege auseinandersetzen müssen. Kommen dann noch verstärkt die Coole Bikes dazu, vereinfacht gesagt: schnittige Elektroroller, verschärft sich das Parkproblem.
Die Forderung nach einer langfristigen Planung wird durch die Erfahrungen in München selbst bestätigt. Nur dank der rechtzeitigen Weichenstellung in den 60iger Jahren, wo der damals junge SPD-Oberbürgermeister Vogel zusammen mit einem engagierten Lokaljournalisten sein U-Bahn -Projekt auf den Weg brachte, blieb der Stadt der völlige Zusammenbruch des innerstädtischen Verkehrs erspart. Das war auch in jenen Jahren ein beinharter Kampf mit Bürgern und Interessengruppen, die dem OB Größenwahn, wenn nicht mehr vorwarfen.
Freilich wurden damals die Diskussionen zwar mit scharfen Argumenten geführt, aber dann die Entscheidung des gewählten Stadtrates akzeptiert und nicht wie heute oftmals von selbsternannten Bürgerbewegungen total blockiert. So gesehen war man sich einig, dass ohne eine breite Überzeugungsarbeit das Ziel einer urbanen, lebenswerten Stadt nur schwer erreichbar ist.
Wie spannend das Thema ist, zeigt die Tatsache, dass nun fast alle großen Autoschmieden dieser Welt, vor allem in Japan, dem Beispiel von BMW folgen und mittlerweile auch in Deutschland vergleichbare Systeme aufbauen. Doch BMW hat einen entscheidenden Vorteil, die enge Zusammenarbeit mit den kampferprobten Stadtplanern und ein gutes, öffentliches Verkehrssystem, das jede vernünftige Verkehrsstrategie zwingend braucht.
Ganz nebenbei, zu der breit angekündigten Expertendiskussion, wo es eben um die Mobilität der Zukunft ging, kamen aus der Millionenstadt gerade mal an die 100 Bürger. All jene, die immer klagen, dass sie nicht rechtzeitig informiert würden, blieben zuhause. Doch dies überraschte die Kommunalpolitiker nicht, denn auf den zahlreichen Stadtteilversammlungen, wo sogar praktische Beschlüsse gefasst werden, fühlen sie sich oft wie Robinson auf seiner Insel.
Allen Skeptikern sei noch ein Wort von Henry Ford auf den Weg gegeben, das er beim Start seiner erfolgreichen Fließband-Produktion den Kritikern entgegen hielt: „Hätte ich die Leute gefragt, was sie wollen, hätten alle gesagt: schnellere Pferde“. (Karl Jörg Wohlhüter)

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