Wirtschaft

Die Münchner Stadtsparkasse will mit einem neuen Vertriebsmodell ihr Filialgeschäft zukünftig deutlich aufwerten. (Foto: Stadtsparkasse München)

06.03.2015

„Finanzindustrie kommt in eine schlimme Phase“

Niedrige Zinsen, leere Filialen und strenge Vorgaben aus Brüssel – wie sich die Münchner Stadtsparkasse dagegen wehren will

Immer mehr Banken im Freistaat schließen ihre Filialen. 2013 bauten Bayerns Sparkassen 34 Zweigstellen ab. Bis Ende dieses Jahres sollen 190 Standorte der Hypo-Vereinsbank geschlossen werden. Und die Commerzbank hat ihr Netz in Deutschland von 1600 auf 1100 ausgedünnt. Insgesamt hat sich die Zahl der Zweigstellen damit in den letzten 20 Jahren auf rund 36.000 fast halbiert. Experten rechnen bis 2020 mit einem weiteren Rückgang um zehn Prozent. Für die Vorsitzende des Wirtschaftsforums der Sozialdemokratie, Hildegard Kronawitter, ist die Finanzdienstleistungsbranche seit der Finanzkrise einem erheblichen Wandel unterworfen. „Der Wettbewerb hat sich in den letzten Jahren intensiviert“, erzählt die ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete bei der Veranstaltung „Konsequenzen veränderter Ertrags- und Wettbewerbsbedingungen für die Stadtsparkasse München“. Zudem belaste das Marktumfeld mit seiner Niedrigzinsphase und den regulatorischen Maßnahmen die Ertragssituation. „Nicht zuletzt gibt es vor allem bei jungen Menschen durch Onlinebanking und Paypal ein verändertes Nutzungsverhalten“, ergänzt Wirtschaftsforum Vorstandsmitglied Georg Seidl vom Bereich Corporate Finance der bayerischen Landesbank.
Insgesamt steht die Münchner Stadtsparkasse in ihrem 190. Jubiläum zwar gut da: Mit über 800.000 Kunden ist sie nach eigenen Angaben Marktführer im Privatkundengeschäft. Die Bilanzsumme beläuft sich auf 16,1 Milliarden Euro – damit ist sie die fünftgrößte Sparkasse Deutschlands. 2360 Mitarbeiter und 300 Auszubildende arbeiten bei der Bank, die mit ihren sechs Stiftungen letztes Jahr knapp 300 soziale sowie kulturelle Projekte mit 4,5 Millionen Euro gefördert hat. Doch auch die Anstalt des öffentlichen Rechts steht vor großen Umstrukturierungen.
Ein Grund für den eingeleiteten Veränderungsprozess bei der Stadtsparkasse ist der demographische Wandel. „Das Verhalten mit Geld ist ganz anders als bei meinen Eltern“, erzählt der Vorstandsvorsitzende Ralf Fleischer. Die so genannten jungen Alten lebten ganz anders und hätten weniger Geld für Vermögensanlagen. „Das wird uns in 15 bis 20 Jahren intensiv treffen“, ist der Rheinländer überzeugt.
Außerdem versucht die Europäische Union laut Fleischer zunehmend den Wettbewerb zu gestalten. „Brüssel versucht, Sparkassen und Genossenschaftsbanken zu beseitigen“, schimpft er. Während die Eigenkapitalstärkung nach der Finanzkrise noch eine richtige Maßnahme gewesen sei, breche mittlerweile eine Regulierungsflut über sein Haus herein. „Dabei gibt es keine Unterscheidung zwischen einer globalen Investmentbank und der Sparkasse in Fürstenfeldbruck“, ergänzt der Chef von Bayerns größter Sparkasse. Dies sei eine große Belastung für kleine Häuser in Europa.
Ebenfalls massiv trifft die Stadtsparkasse die anhaltende Niedrigzinsphase. Banken erwirtschaften ihren Gewinn in erster Linie aus dem Einlagen- und Kreditgeschäft. Doch während der Zinssatz 2009 noch bei über vier Prozent lag, beträgt er jetzt am Markt fast null Prozent. „Dadurch sind wir heute und in den nächsten Jahren nicht mehr in der Lage, Geld zu verdienen“, klagt Fleischer. Selbst die Fristentransformation, bei der Banken von Kunden Geld zu einem niedrigen Zinssatz einkaufen und es langfristig zu einem höheren Zinssatz anlegen, sei inzwischen ein Risikogeschäft. „Wenn die Zinsen wieder steigen, das Geld aber beispielsweise für zehn Jahre fest angelegt ist, wäre das eine ganz schwierige Situation.“ Um die Zinsrisiken aus der Fristentransformation abzusichern, wird mit Derivaten gearbeitet. Dies zehrt rund 40 Prozent der Zinsspanne auf. Hinzu kommt die Beteiligung der Stadtsparkasse an der Berliner Landesbank in Höhe von 75 Millionen Euro, die komplett abgeschrieben werden musste.
Ein weiteres Problem der Bank ist die fortschreitende Digitalisierung. Mittlerweile nutzen 68 Prozent der Deutschen Onlinebanking – davon 25 Prozent mit dem Smartphone. Allein die Stadtsparkasse hat drei Millionen Onlinebanking-Besucher, 63.000 Kontakte über E-Mail, Chat und Telefon sowie monatlich Hunderte neue App-Nutzer. Dadurch sind laut Fleischer die Kundenbesuche auf höchstens ein Mal pro Halbjahr zurückgegangen. „Und Geschäftsstellen kosten nun mal Geld.“
Allerdings möchte die Stadtsparkasse sich nicht aus der Fläche zurückziehen. Im letzten Jahr wurde daher ein neues Vertriebsmodell entwickelt, das die Filialen „spürbar“ aufwerten soll. „Bisher bieten wir dort nur Standardleistungen an“, skizziert Fleischer die Idee. Ab Mai sollen daher die Beratungszentren wieder in die Sparkasse integriert werden. Dadurch erhofft sich der Vorstandsvorsitzende eine größere Kundenbindung. Darüber hinaus soll das Internetgeschäft – wie bereits mit der Videoberatung geschehen – weiter ausgebaut werden. Danach können Kunden laut Fleischer ihre Kontoauszüge selber drucken oder Rechnungsdaten per QR-Code in Überweisungen übernehmen. „Was uns aber nicht erspart bleibt, ist effizient zu sein und Kosten einzusparen.“
Die anstehenden Veränderungen und die Gründe dafür werden jetzt durch Multiplikatoren an die Mitarbeiter der Sparkasse weitergegeben. Fleischer räumt aber ein, dass die Ertragslage zukünftig schlechter sein wird, selbst wenn das Projekt funktioniert. „Das Programm dient nur dazu, Schlimmeres zu verhindern.“ Derzeit gebe es trotzdem noch keine Pläne, Geschäftsstellen zu schließen. „Die Finanzindustrie“, betont Fleischer, „kommt aber in den nächsten fünf Jahren in eine ganz schlimme Phase.“ (David Lohmann)

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