Wirtschaft

Hartmut Schwab will echte Lohnzuwächse ermöglichen. (Foto: STBK München)

09.12.2011

„Kalte Progression ist eine heimliche Steuererhöhung“

Präsident der Steuerberaterkammer München fordert ein Abflachen der Tarifkurve bei der Einkommensteuer

Am kommenden Sonntag feiert die Steuerberaterkammer München ihr 50-jähriges Bestehen. Wir sprachen mit ihrem Präsidenten Hartmut Schwab über das deutsche Steuerrecht, die elektronische Lohnsteuererklärung und den Ankauf von Steuer-CDs. BSZ: Herr Schwab, was hat sich in 50 Jahren für die Kammer und ihre Mitglieder, die über 10 000 Steuerberater in Niederbayern, Oberbayern und Schwaben, verändert?
Schwab: Das Aufgabenfeld der Steuerberaterkammer hat sich seit ihrer Gründung deutlich erweitert. Früher stand noch allein die Überwachung der ordnungsgemäßen Berufsausübung im Mittelpunkt der Kammertätigkeit. Heute begleiten die Steuerberaterkammern auch die Ausbildung von Nachwuchskräften, organisieren die Steuerberaterprüfung, bieten berufliche Fortbildung im Steuerrecht und sind kritischer Begleiter von Reformvorhaben in Politik und Verwaltung. BSZ: Wie hat sich das Steuerrecht in den vergangenen 50 Jahren entwickelt?
Schwab: Auch das Steuerrecht selbst ist komplexer geworden – und für viele Steuerzahler zunehmend undurchschaubar. Der Bedarf an kompetenten und erfahrenen steuerlichen Beratern wächst daher ständig: Ohne ihre Hilfe wären Betriebe und Freiberufler immer weniger in der Lage, ihre steuerlichen Pflichten zu erfüllen und damit die Auswirkungen auf wirtschaftliche und finanzielle Planungen zu überblicken. Das spiegelt sich in den wachsenden Mitgliederzahlen der Kammer wider und ist damit auch für die Steuerberater eine zunehmende Herausforderung. BSZ: Wenn ich meine Steuererklärung selbst machen kann, brauche ich aber keinen Steuerberater mehr. Sind Sie trotzdem für eine Steuervereinfachung?
Schwab: Steuerberater sind keine Profiteure komplizierter und sich ständig ändernder Steuergesetze. Sie führen lediglich dazu, dass das Wissen in den steuerberatenden Berufen schnell veraltet und nur mit großem Aufwand auf dem neuesten Stand gehalten werden kann. Deshalb beklagen wir seit Jahren öffentlich die Unübersichtlichkeit und Komplexität des Steuerrechts. Wir sind sicher, dass die Steuergesetze nicht so kompliziert sein müssen. Gleichzeitig wäre es naiv, zu glauben, dass die Steuererklärung in Zukunft auf einen Bierdeckel passen kann. BSZ: Die elektronische Lohnsteuerkarte soll für eine Vereinfachung sorgen. Geplant war, dass Arbeitgeber ab 2012 die relevanten Daten der Arbeitnehmer direkt bei den Meldebehörden abfragen können. Nun wurde der Start verschoben. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Schwab: Leider hat das Bundesfinanzministerium bisher noch keinen neuen Termin für den Start bekanntgegeben. Wir bedauern, dass die Einführung nun doch verschoben werden musste, denn die elektronische Lohnsteuerkarte sorgt für weniger Bürokratie. Wir plädieren dafür, den Start nicht nur um einige Monate zu verschieben, sondern solange, bis die elektronische Lohnsteuerkarte funktioniert. Wieder einen festen Termin zu setzen, halten wir nicht für opportun. Stattdessen muss das neue System ausreichend getestet werden.
BSZ: Was muss ich als Steuerzahler nun beachten?
Schwab: Wer schon ein Informationsschreiben vom Finanzamt bekommen hat, sollte die Angaben zu den persönlichen Lohnsteuerdaten genau prüfen. Oft fehlen Merkmale wie Körperbehinderung oder Kinderfreibeträge. Diese so genannten elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale werden in Zukunft bei den Finanzämtern gespeichert. Der Arbeitgeber kann dann alle wichtigen Lohnsteuer- Informationen elektronisch abrufen. Mit dem neuen Verfahren muss der Arbeitnehmer nur noch sein Geburtsdatum und seine steuerliche Identifikationsnummer angeben, wenn er eine neue Arbeitsstelle beginnt. BSZ: Auch von den Plänen der Bundesregierung, die kalte Progression bei der Lohnsteuer abzumildern, soll der Steuerzahler profitieren. Wie steht die Steuerberaterkammer zu diesem Vorhaben?
Schwab: Die kalte Progression ist eine heimliche Steuererhöhung, denn Lohnzuwächse werden durch die höhere Einkommensteuerbelastung zu großen Teilen aufgezehrt. Besonders kleine und mittlere Einkommen profitieren wenig von Gehaltserhöhungen, da der Steuertarif vor allem am Anfang stärker ansteigt. In Zeiten stark steigender Preise sorgt dieser Effekt bei immer mehr Steuerzahlern dafür, dass sie reale Einkommensverluste erleiden. Die Gehaltserhöhung muss schon deutlich über der Inflationsrate liegen, wenn nach der schleichenden Steuererhöhung etwas übrig bleiben soll. Um die kalte Progression abzumildern, sollte die Tarifkurve bei der Einkommensteuer stärker abgeflacht werden. So können kleine Einkommen gezielt entlastet werden. BSZ: Für großes Aufsehen sorgt immer wieder der Ankauf von Steuer-CDs mit Daten mutmaßlicher Steuerhinterzieher durch viele Bundesländer, darunter auch Bayern. Wer sich selbst anzeigt, kann einer Strafe entgehen. Raten Sie als Steuerberater zur Selbstanzeige?
Schwab: Steuersünder sind normalerweise Laien, die nicht abschätzen können, wann eine Selbstanzeige strafbefreiend wirkt. Steuerberater, die von entsprechenden Versäumnissen ihrer Mandanten Kenntnis erlangen, weisen auf die Möglichkeit der Selbstanzeige hin. Der Steuerpflichtige selbst muss aber entscheiden, ob er von dieser Möglichkeit auch Gebrauch macht. Grundsätzlich gilt: Wer unrichtige oder unvollständige Angaben beim Finanzamt komplett berichtigt oder ergänzt, erhält Straffreiheit. Voraussetzung hierfür ist, dass die hinterzogenen Steuern fristgerecht nachgezahlt werden und damit die bisher unterlassenen steuerlichen Angaben vollständig nachgeholt werden.
(Interview: Boris Wolff)

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