Wirtschaft

Forschungsgremien, Vorlesungen, Interviews - der Terminkalender von Clemens Fuest ist übervoll. (Foto: dpa)

27.03.2017

Klartext ohne anzuecken

In seinem ersten Jahr als Ifo-Chef hat sich Clemens Fuest sattelfest gezeigt und inhaltlich einen neuen Akzent gesetzt

Als Fußballfan ist Clemens Fuest der Borussia Mönchengladbach treu geblieben, aber sonst hat er in München eine neue Heimat gefunden. Seit einem Jahr steht der Westfale jetzt an der Spitze des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Sein wortgewaltiger und streitbarer Vorgänger Hans Werner Sinn hatte Maßstäbe gesetzt - und Fuest ist auf Augenhöhe geblieben.
"Ordnungspolitisch ist er nicht weit von Sinn entfernt, interessiert sich aber deutlich mehr für Finanzmarkt- und Bankenfragen", sagt Professor Friedrich Heinemann vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), dort arbeitete Fuest früher. Er wirke weniger "missionarisch" als sein Vorgänger, offener für neue Argumente und vermittelnder.
Ob Rente, Mindestlohn oder Brexit - Fuest rechnet nüchtern und präsentiert die Forschungsergebnisse klar. Aber er eckt nicht an, sein Ton bleibt immer freundlich und diplomatisch. So sagt er zum Beispiel, die 2017 zu erwartende Inflation von knapp zwei Prozent in Deutschland und im Euroraum "spricht dafür, dass die Europäische Zentralbank (EZB) jetzt den Ausstieg aus ihrer expansiven Geldpolitik in Europa beginnt". Dass sie ihren Kurs fortsetzt, bedaure er. "Die EZB sollte ihre Geldflut eindämmen, sonst besteht die Gefahr, dass sie über ihr Ziel hinausschießt." Klare Botschaft, nett verpackt.
Wie die Eurokrise zu lösen wäre, das hat Fuest in seinem ersten Jahr als Ifo-Chef am meisten beschäftigt. Zusammen mit dem Finanzwissenschaftler Johannes Becker von der Uni Münster hat er soeben ein Buch darüber geschrieben: "Der Odysseus-Komplex". Um der Verlockung immer neuer Schulden zu widerstehen, schlagen die beiden vor, den Mitgliedsstaaten mehr Eigenverantwortung zu lassen, nach dem Motto: Wer bestellt, zahlt auch selbst.
Weiter selbst forschen zu können, ist Fuest wichtig. Aber das darf er nicht im Elfenbeinturm: Als Ifo-Chef hat er ausdrücklich den Auftrag, seine Erkenntnisse nach außen zu tragen und "sich sehr aktiv an der öffentlichen Debatte um die besten wirtschaftspolitischen Ideen und Konzepte zu beteiligen". Laut Pressemonitor steht er bei Veröffentlichungen in deutschen Zeitungen und Zeitschriften an der Spitze der Wirtschaftswissenschaftler. Auf Platz zwei und drei folgen sein Vorgänger Sinn und der Chef des Berliner DIW-Instituts, Marcel Fratzscher.
Fuest arbeitet im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums mit, in der Mindestlohn-Kommission und im Kronberger Kreis von Hochschulprofessoren. Mit sechs Kollegen trifft er sich mehrmals jährlich in der European Economic Advisory Group. Die Ergebnisse der von ihm angestoßenen Forschung zur Wirtschaftspolitik der Populisten stellt Fuest Anfang April in Paris vor - kurz vor der französischen Präsidentenwahl.
"Ich begrüße es, dass er sich stets in die aktuelle Debatte einmischt", sagt die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU). Der Freistaat vertritt die Bundesländer im Ifo-Aufsichtsgremium. Auch als Vortragsredner und TV-Gast ist Fuest gefragt. Aber sein Kalender ist zu voll, auch Talkshows hat er schon Absagen erteilt.
Im Ifo-Institut selbst hat Fuest wenig geändert, aber inhaltlich einen neuen Akzent gesetzt: Er hat eine Arbeitsgruppe Steuern eingerichtet, mit neuen Mitarbeitern. Steuern ist eines seiner Leib- und Magenthemen - schon seine Doktorarbeit 1991 in Köln schrieb er über "Eine Fiskalverfassung für die Europäische Union". Mit Forschungen zu Steuerpolitik und Arbeitslosigkeit an der Universität München wurde er 2001 zum Professor in Köln berufen. Ab 2008 lehrte er in Oxford als Professor für Unternehmensbesteuerung. Und als Chef des ZEW in Mannheim untersuchte er, wie viel Steuern dem Staat durch Schlupflöcher für internationale Konzerne verloren gehen.
Seit einem Jahr lebt Clemens Fuest mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Bayern - wenn er nicht gerade wieder auf Reisen ist. "Meiner Familie und mir gefällt es in München sehr gut. Wir haben ja in den neunziger Jahren schon mal hier gewohnt, insofern ist das so etwas wie eine Heimkehr", sagt der 48-Jährige. Sein jetziger Vertrag läuft bis 2021.
(Roland Losch, dpa)

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