Wirtschaft

Die Bürger in Europa sollen sich gegen die Banken wehren. (Foto: DDP)

02.07.2010

Kommt jetzt Financepeace?

Fraktionsübergreifend rufen EU-Parlamentarier die Bevölkerung zur Gründung von Nichtregierungsorganisationen gegen die Finanzlobby auf

Politik skurril: Weil die mächtige Bankenlobby den Entscheidern auf EU-Ebene zu heftig sagen will, wo es nach der Finanzkrise langgeht, greifen die EU-Parlamentarier jetzt fraktionsübergreifend zur Notwehr. Sie fordern die Bevölkerung in den einzelnen Mitgliedsländern der EU auf, Nichtregierungsorganisationen als Gegengewicht zur Finanzindustrie zu gründen. Kommt jetzt also Financepeace? Denn Organisationen wie Greenpeace in der Umweltpolitik oder Misereor in der Entwicklungshilfepolitik würden wichtige Gegenkonzepte zu den Vorschlägen der Industrie erarbeiten, so der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold. „Man bekommt keine Alternativkonzepte zu denen der Finanzlobby“, sagt der Mitgründer des Sozialnetzwerks Attac Deutschland der Staatszeitung.
Deshalb müssten die Verbraucher viel kritischer werden. Giegold hofft, dass sich jetzt auch hochkompetente Menschen angesprochen fühlen und aktiv werden: „Es gibt ja durchaus kritische Leute im Markt.“ Er meint die Mitarbeiter bei Banken und Versicherungen, die Tag für Tag die Produkte ihrer Arbeitgeber an den Kunden bringen müssen, teils mit erheblichem Verkaufsdruck. „Diese Menschen kennen die Materie genau“, meint der EU-Parlamentarier. Sie könnten ihren Sachverstand in so eine „Gegenlobby“ einbringen, auch wenn dort die Entlohnung vielleicht nicht so hoch ist wie in der Finanzindustrie. Aber sie würden wenigstens reinen Gewissens arbeiten können und nicht früher oder später psychische Probleme ob des Verkaufsdrucks bekommen.
Die europäische Verbraucherschutzorganisation Beuc, die sich schon seit Jahren um Finanzmarktthemen kümmert und in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist, ist Giegold zufolge nicht dazu in der Lage, der Finanzlobby etwas entgegenzusetzen: „Die haben gerade einmal 1,5 Stellen für Wirtschaftsrecht. Und das für ganz Europa.“ Als er von dieser lächerlichen Personalausstattung in Sachen europäischer Verbraucherschutz erfahren hat, fragte Giegold bei der Dachorganisation der deutschen Verbraucherzentralen, dem Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) in Berlin, nach, ob man bei Beuc nicht die Personalstärke erhöhen könne. Denn Deutschland mache ökonomisch immerhin 20 Prozent der EU aus. Somit wäre eine Personalaufstockung aus Deutschland für Beuc schon ein bedeutendes Signal an die anderen Länder. Doch im vzbv ist man desillusioniert: Die Behörden müssten das Mehrpersonal genehmigen, was sie nicht tun.
Beim vzbv ist man jedenfalls begeistert vom Aufruf der EU-Parlamentarier. „Es ist nur zu begrüßen, wenn sich da jetzt etwas tut“, sagt Manfred Westphal, Leiter des Fachbereichs Finanzdienstleistungen beim vzbv, der Staatszeitung. Er verweist darauf, dass eine Nichtregierungsorganisation wie der vzbv durchaus etwas bewegen kann. So sei es beispielsweise gelungen, dass EU-weit Produktinformationsblätter für Investmentfonds eingeführt wurden. „Das ist etwas, wofür wir immer gekämpft haben“, erklärt Westphal.
Den Aufruf der EU-Parlamentarier kann Ferdinand Fiedler, Vorstandsvorsitzender der Neue Vermögen AG aus Traunstein, nur unterstützen. Der gelernte Bankfachwirt kennt die Macht, die Tricks und die Geschäftsinteressen der Branche genau. „Wir bieten unseren Kunden nur absolut transparente Produkte an“, sagt Fiedler der Staatszeitung. Denn man müsse wissen, dass Finanzprodukte von großen Banken schon einmal 4 bis 8 Prozent Gebühren reingerechnet hätten, die nur ein Insider erkennen kann. „Wir hatten einmal einen potenziellen Kunden, der 10 Millionen Euro anlegen wollte und stolz auf die Deutsche Bank war, weil sie nur 0,3 Prozent Gebühren für die Vermögensverwaltung wollte“, erzählt der Vorstandschef. Anhand eines Briefes mit der Bitte um Auskunft, den die Neue Vermögen vorbereitet hatte, habe der Kunde dann erfahren, dass die Bank mit seiner Einlage pro Jahr 360 000 Euro verdient – also das 10-fache dessen, was der Kunde glaubte. Nur leider habe dieser sein Geld nicht bei der Neuen Vermögen angelegt, sondern bei einem Dritten. „Das ist immer noch so: Der Überbringer schlechter Nachrichten wird geköpft.“ Fiedler betont, dass man als Bank  vielfältige Möglichkeiten habe, Gebühren zu verstecken und somit zu verdienen: „Man braucht nur einen Index zu gründen, der nicht ausgewiesen werden muss, und schon kann man wieder 2 Prozent mehr verdienen.“ Auf die Bevölkerung zuzugehen ist richtig
Insofern ist es genau der richtige Schritt der EU-Parlamentarier, jetzt auf die Bevölkerung zuzugehen und sie aufzurufen, sich zu wehren. Das sieht auch Manfred Weber, Stellvertretender EVP-Fraktionsvorsitzender im Europäischen Parlament und CSU-Präsidiumsmitglied so: „Wir haben die Menschen auf unserer Seite. Deshalb ist die Initiative der Kollegen aus dem Europaparlament richtig, jetzt Druck zu machen.“
Denn die Banken machen schon seit geraumer Zeit so weiter wie vor der Krise. Dank Rettungsschirmen aus Steuergeldern sind sie ja noch am Leben und versuchen aktuell die Regulierungs- und Überwachungsabsichten der Politik abzuwenden bzw. in ihrem Sinne abzumildern. Hier geht es um juristische Feinheiten, mit denen nur Experten klarkommen. Außer den Vorschlägen der Bankenlobby, die logischerweise ihre Klientel schützen möchte, was im Sinne des Lobbying auch gar nicht verwerflich ist, liegt in Brüssel aber nichts auf dem Tisch. Die Politiker sind notgedrungen auf die Vorschläge der Lobby angewiesen. Ideen einer Verbraucher- oder Steuerzahlerlobby gibt es bisher nicht.
Ralph Schweinfurth

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