Wirtschaft

30.05.2014

Kurze Beine

Ein Börsenkommentar von Andreas Schmidt, Geschäftsführer der Börse München

Börsenweisheiten speisen sich zum größten Teil aus gelebter Börsenpraxis. Manchmal sind es nur Sprüche so genannter Börsen-Gurus und sie spiegeln ausschließlich deren Erfahrungsschatz wider. So oder so, theoretisch fundiert belegen oder gar anhand von eindeutig belegbaren Zahlen nachweisen lassen sie sich kaum. Nun hat diesen Börsenweisheiten vor kurzem eine renommierte Finanzjournalistin ein eigenes Buch mit dem Titel „Sell in May and go away“ gewidmet. Die namensgebende Weisheit stammt beispielsweise noch aus einer Zeit, als „Anleger“ vor allem Privatiers waren, die bis in den Mai hinein versuchten, ihr Geld mit Aktien zu vermehren, und von Mai bis September das gleiche auf der dann beginnenden Saison für Pferderennen versuchten.
Daher lautet der zweite Teil der Weisheit folgerichtig „…but remember to come back in September“, weil im September das letzte Pferderennen stattfand. Diese Form der zweistufigen Kapitalanlage dürfte heute Seltenheitswert haben. Trotzdem gibt es noch immer Verfechter dieser Regel.
Und tatsächlich: In den 42 zurückliegenden Jahren ist der September der durchschnittlich schlechteste Monat mit einem Minus im Dax von 2,1 Prozent. Zweitschlechtester Monat ist der Mai mit Minus 0,5 Prozent. In einigen Jahren hätte man mit der „Sell in May-Regel“ sehr gut gelegen, insgesamt aber eher mit einem „sell-in-summer“-Verhalten. Denn tatsächlich sind die Sommermonate überaus flau und erst im Herbst zieht der Dax wieder an.
Probe aufs Exempel
„Politische Börsen haben kurze Beine“ ist ebenfalls eine gern zitierte Börsenweisheit. Machen wir aktuell die Probe aufs Exempel, denn es gibt genügend politische Ereignisse mit möglichen Bezug auf die Entwicklung der Aktienkurse: So bewegte Deutschland in der vergangenen Woche vor allem die „Rente mit 63“ und Europa selbstverständlich die Europa-Wahl und deren Ergebnis.
Die Rente mit 63 kostet nicht nur die Rentenkasse Milliarden. Sie kostet vielen Unternehmen eine nicht unerhebliche Anzahl bestens ausgebildeter Facharbeiter. Gerade für mittelständische Unternehmen, die bereits jetzt Probleme haben, Stellen zu besetzen, bedeutet dies einen nur schwer zu verschmerzenden Aderlass an Know-how und Erfahrung. Insofern könnte sich eine solche Entscheidung durchaus in den wichtigen Indizes niederschlagen. Und was ist passiert? Im Vorfeld der Abstimmung über das Rentenpaket am Freitag, den 23. Mai, kletterte der Dax Tag für Tag von 9640 auf 9860 Punkte, ja am Freitag selbst zeigte er den höchsten Tageszuwachs. Bei den kleineren und mittleren Indizes zeigte sich exakt das gleiche Bild. Ergebnis: Diese politische Börse hatte überhaupt keine Beine!
Monokausale Erklärungen
Am Tag nach der Europawahl wiederum startete der Dax zumindest bis gegen Mittag – der Entstehungszeit dieses Artikels – auf ein neues Rekordhoch. Dass das allerdings ausschließlich dem Wahlergebnis geschuldet war, dürften nicht einmal ausgewiesene Europaanhänger behaupten. Monokausale Erklärungen für die Entwicklung von Aktienkursen greifen in der Regel zu kurz. Beigetragen haben dürften das generelle Ja zu Europa und der Sieg der Konservativen aber schon, Auslassungen von Mario Draghi zu einer weiteren Lockerung der Geldpolitik tun ein Übriges. Nicht einmal der Sieg der Front National in Frankreich zeigte Wirkung auf den französischen CAC 40, der einen Tag nach der Wahl ebenfalls im grünen Bereich lag.
Was als Damokles-Schwert einer politischen Börse seit längerem die Kursausschläge nach oben zumindest dämpft, ist die Krise in der Ukraine. Hier nun hat die politische Börse nicht kurze, sondern sehr lange Beine. Sie wird uns auch noch eine ganze Weile beschäftigen. Trotz der dort ebenfalls stattgefundenen Wahl sind die Probleme weder bewältigt noch gelöst. Kurse von Unternehmen mit Umsatz und Handel in Russland sind auch stärker betroffen als andere. Insofern bleibt dem Anleger – Politik hin, Politik her – die Einzelanalyse nicht erspart. Ausschließlich auf Börsenweisheiten sollte man sich auf jeden Fall nicht verlassen. Denken Sie daran, wenn Sie Veranstaltungshinweise auf Pferderennen sehen.

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