Wirtschaft

08.04.2011

Mit weniger Ressourcen mehr produzieren

Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Hans-Jörg Bullinger, über nachhaltiges Wirtschaften

Die Rohstoff- und Energiekosten steigen rapide an. Längst bestimmen sie maßgeblich den Preis des Endprodukts. Künftig können sich nur Unternehmen auf dem Markt behaupten, die Materialien und Energie effizient nutzen. Die große Herausforderung ist es, das Wirtschafts- wachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Die diesjährige Hannover Messe steht unter dem Motto „Smart Efficiency“. Damit hat die Messe nach Ansicht von Hans-Jörg Bullinger, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) ein wichtiges Thema aufgegriffen. „Denn angesichts der steigenden Rohstoffpreise brauchen wir dringend neue Lösungen für das intelligente Zusammenspiel zwischen Kosten-, Prozess- und Ressourceneffizienz“, so Bullinger. Für immer mehr Unternehmen entwickle sich nämlich die Kostenexplosion der Energie- und Rohstoffe – laut einer Untersuchung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) – zu einem Konjunkturrisiko.
In vielen Branchen würden Material- und Energiekosten schon längst maßgeblich den Preis des Endprodukts bestimmen. Als Beispiel nennt Bullinger das verarbeitende Gewerbe: Dort entfielen – laut Statischem Bundesamt – 2007 allein 45 Prozent der Herstellungskosten auf den Materialverbrauch. Zum Vergleich: Die Personalkosten machten nur 18 Prozent aus. Damit sich deutsche Unternehmen auch künftig auf dem Weltmarkt behaupten können, bedürfe es deshalb eines Paradigmenwechsels. An die Stelle von maximalem Gewinn aus minimalem Kapital müsse maximale Wertschöpfung aus minimalen Ressourcen treten. „Unternehmen, die sich durch Effizienztechnologien heute einen Kostenvorteil erarbeiten, werden diesen in Zukunft überproportional weiter ausbauen.“
Welch großes Potenzial das Thema Effizienzsteigerung den Unternehmen biete, zeige die Fraunhofer-Studie „Energieeffizienz in der Produktion“. Ein Ergebnis: Mittelfristig lassen sich nach den Worten des FhG-Präsidenten in der industriellen Produktion bis zu 30 Prozent Energie einsparen. Allein für die in der Untersuchung betrachteten Produktklassen mache dies 210 Petajoule pro Jahr aus. Das entspreche etwa der Hälfte des Stromverbrauchs der privaten Haushalte in Deutschland oder der Leistung von vier Kraftwerken mit je 1,4 Gigawatt Leistung.
Und durch effizienten Rohstoff-einsatz würden sich die Kosten noch weiter drücken lassen, davon geht Bullinger aus. Zudem könne in den kommenden Jahren die Materialeffizienz um 20 Prozent gesteigert werden, so die Deutsche Materialeffizienzagentur demea. Das bedeute, dass sich die Rohstoffkosten pro Jahr um 100 Milliarden Euro senken lassen. Der Fraunhofer-Verbund Produktion habe schon früh das Thema „Ressourceneffiziente Produktion“ auf seine Agenda gesetzt, erklärt der FhG-Präsident. „Künftig müssen wir noch weiter gehen und das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppeln.“ Innovative Technologien
Die wachsende Nachfrage, knapper werdende Ressourcen, steigende Umweltschutzanforderungen und politische Vorgaben sind laut Bullinger schwerwiegende Herausforderungen für Politiker, Unternehmer und Verbraucher. Gefragt seien innovative Technologien und Services, die die Effizienz steigern und die Umweltbelastungen senken. Bereits seit einigen Jahren fördere das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Entwicklung innovativer, ressourceneffizienter Produktionstechnologien.
Ein Leuchtturmprojekt, so der Fraunhofer-Präsident, ist die Innovationsallianz „Green Carbody Technologies“, in der mehr als 60 Unternehmen in Deutschland zusammenarbeiten. „Die Partner haben die Vision, bis zu 50 Prozent Energie bei der Karosseriefertigung einzusparen.“ Gemeinsam mit der Volkswagen AG koordiniere das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU den Zusammenschluss von Automobilherstellern, Ausrüstern und Zulieferern.
Wie leistungsfähig ein Wagen ist und wie stark er die Umwelt belastet, hängt laut Bullinger vor allem vom Antriebsstrang ab – mit allen Komponenten für die Drehmomenterzeugung und -übertragung, vom Motor bis zum Rad. Forscher aus sieben Fraunhofer-Instituten wollen diesen „Power-train“ effizienter machen. Ziel sei es, durch neue Werkstoffe die Masse zu reduzieren, durch Kreislaufwirtschaft den Material- und Energieeinsatz zu verringern sowie mittels Beschichtungen und Oberflächenstrukturierung einen reibungsarmen Betrieb der Komponenten zu ermöglichen. Die Nockenwelle führt Bullinger als Beispiel an: Dieses bisher massive Bauteil fertigen die Forscher mit Innenhochdruck-Umformen (IHU). Hierbei wird Metall durch hydrostatischen Druck in Form gepresst. Die so gefertigten Bauteile sind innen hohl und wiegen deutlich weniger als herkömmliche Nockenwellen.
In der Metallbearbeitung lassen sich nach Bullingers Ansicht Ressourcen sparen, wenn man spanende Fertigungsverfahren durch Umformprozesse ersetzt. Unter Beachtung der durchschnittlichen Materialausnutzung benötige man für die Herstellung von einem Kilogramm Fertigteile durch Umformverfahren ein Drittel weniger Energie als bei spanenden Verfahren. Neben der Energieeinsparung ließen sich bis zu einem Drittel des Materials und bis zur Hälfte der Herstellungszeit einsparen.
Neue Informations- und Kommunikationstechniken könnten ebenso helfen, Ressourcen zu sparen. Eine Forschergruppe am Fraunhofer SCAI habe zum Beispiel eine Software zur optimierten Ausnutzung von Material und Raum in ressourcenintensiven Branchen entwickelt. Dafür wurden die Wissenschaftler im März 2011 mit dem Innovationspreis für Klima und Umwelt (IKU) ausgezeichnet.
Weltweit würden schon mehr als 7000 Unternehmen diese Optimierungslösungen nutzen. Die bekanntesten Anwendungen sind AutoNester (automatische optimierte Anordnung von Schnittbildern auf Textilien, Leder, Blechen und Holz) und PackAssistant (optimierte Verpackung von Bauteilen in Behälter). Die erzielbaren Einsparungen sind laut Bullinger enorm: Beim Zuschnitt von Metall, Holz oder Lederhäuten lasse sich je nach Branche und Anwender eine bis zu 30 Prozent höhere Materialausnutzung erzielen.
Ressourcenschonende Fertigung sei eine Möglichkeit, in Zeiten knapper Rohstoffe wirtschaftlich zu agieren. Fraunhofer-Forscher würden aber schon weiter denken. Ihr Ziel sei es, ganz ohne den Einsatz neuer Rohstoffe zu produzieren. Dazu setzen die Wissenschaftler auf konsequentes Recycling. „Indem Sekundärrohstoffe in Kaskaden immer weiterverwertet und in den Produktionsprozess zurückgeführt werden, lassen sich enorme Mengen an natürlichen Ressourcen einsparen.“ Die Orientierung auf ein möglichst vollständiges Recycling und der Einsatz nachwachsender Rohstoffe eröffne zudem neue Chancen für unternehmerisches Handeln, so Bullinger. „Sie helfen, sich künftig unabhängiger von Rohstoff- und Energie-Importen zu machen.“
Produzieren ohne Ressourcenverbrauch eröffnet für den FhG-Präsidenten den Einstieg in ein verantwortungsvolles, nachhaltiges Wirtschaften. „Doch was verstehen wir unter Nachhaltigkeit?“ Die von den Vereinten Nationen eingesetzte Brundtland-Kommission beschreibt es so: „Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ Will man diesem Grundsatz folgen, ist es erforderlich, unsere Systeme in Richtung Umwelt- und Gesellschaftsverträglichkeit umzugestalten. Fraunhofer entwickle deshalb derzeit eine Nachhaltigkeitsstrategie für die 60 Fraunhofer-Institute in Deutschland. „Wir sehen es als unseren Forschungsauftrag an – gemeinsam mit der Politik, Wirtschaft und der Gesellschaft – die Weichen für unsere Zukunft zu stellen.“
(Friedrich H. Hettler)

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