Wirtschaft

Rudolf Hickel denkt, dass Eurobonds ein sinnvolles Finanzierungsinstrument sein könnten. (Foto: Schweinfurth)

29.07.2011

Neue Regeln für die Kapitalmärkte müssen her

Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel fordert bei DGB-Veranstaltung in Nürnberg, endlich die Lehren aus der Finanzkrise zu ziehen

Dass es im Euroraum kriselt, ist laut Rudolf Hickel vom Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Uni Bremen kein Wunder. „Denn die Gründungsväter des Euro, Helmut Kohl, Theo Waigel und Francois Mitterand, haben in dümmlicher Arroganz beim Maastrichter Vertrag die Möglichkeit der Insolvenz eines Landes nicht in Erwägung gezogen. Sie haben schlicht einfach nicht daran gedacht“, so der Bremer Professor beim „Zeitenwechsel – Dem Talk im Uhrenhaus“ des DGB Mittelfranken in Nürnberg.
Sein Vortrag über „Griechenland vor dem Ausverkauf? Wie Spekulanten ganze Volkswirtschaften in die Knie zwingen!“ bot nicht nur kritische Anmerkungen über eine verfehlte Europolitik, sondern auch Lösungswege für überschuldete Länder wie Griechenland.
Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jacques Delors habe bereits 1988 in Hannover zwei Voraussetzungen für die Euro-Einführung genannt: die monetäre und die wirtschaftliche Integration. „Die wirtschaftliche Integration ist bis heute nicht realisiert worden“, schimpft Hickel. Im Maastrichter Vertrag sei kein Wort über eine Wirtschafts-, Sozial- und Fiskalunion verloren worden. Deshalb sei der einzige Ausweg aus der momentanen Staatenkrise, den Euroraum zu einer gestalteten Transfer- und Haftungsunion zu machen. „Zur Zeit haben wir ja eine irrationale, von Spekulanten getriebene Transferunion“, analysiert der Bremer Wirtschaftswissenschaftler.
Einen Hauptverursacher für die Krise in Euroland sieht Hickel in der Bundesrepublik Deutschland. Sie profitiere mit ihrem Handelsbilanzüberschuss von durchschnittlich 42 Prozent (2009 waren es 43,3 Prozent) enorm vom Euroraum. Durch den massiven Export deutscher Waren und Dienstleistungen in andere europäische Länder hätten sich in Griechenland, Portugal, Spanien, Irland und Italien erst die massiven Schuldenpositionen aufbauen können. „Und mich wundert, dass es keine öffentliche Debatte darüber gibt, dass ein Land mit seiner aggressiven Exportstrategie den gesamten Euroraum gefährdet“, so Hickel. Hinzu kämen die niedrigen deutschen Lohnstückkosten, die die geringsten in Europa seien. Es sei auch die Mitschuld der Gewerkschaften hierzulande, die mit der moderaten Lohnentwicklung der letzten Jahre, die oftmals Lohnverzicht bedeutete, diese Lohnstückkosten erst ermöglichten. Daraus konnte sich dann auch die prekäre Beschäftigung mit Niedriglohnsektor und Leiharbeit so richtig gut entwickeln. Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) sind dank neoliberaler Wirtschaftspolitik die Nettolöhne in Deutschland in den letzten zehn Jahren um 2,2 Prozent und die Niedriglöhne sogar um 22 Prozent gesunken, verdeutlichte der DGB-Vorsitzende für Mittelfranken, Stephan Doll.
Laut Hickel könne nur eine expansive Lohnpolitik und die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns dazu beitragen, dass Deutschland die anderen Euroländer nicht mehr erdrückt und so die europäische Entwicklung stabilisiert wird. „Natürlich haben uns die Griechen falsche Zahlen geliefert, aber die sind nicht ursächlich für die Probleme des Landes“, so Hickel. Es seien strukturelle Defizite in Griechenland. So habe man zum Beispiel lange Zeit Steuerhinterziehern nicht das Handwerk gelegt.
Am schärfsten kritisiert Hickel aber die internationale Gemeinschaft, die aus der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 immer noch nicht die notwendigen politischen Schlüsse gezogen habe. So hätte man die Macht der Ratingagenturen beschneiden und Schattenbanken, insbesondere Hedgefonds, regulieren müssen. Denn diese wirkten wie Brandbeschleuniger. „Ohne sie wäre die Griechenlandrettung um Einiges billiger geworden“, ruft der Wirtschaftswissenschaftler den rund 170 Besuchern des „Talks im Uhrenhaus“ entgegen.
Und weil das so ist, fordert Hickel für die Rettung des Euroraums nicht die Wiedereinführung der D-Mark, sondern eine strikte Regulierung der Finanzmärkte. So müssten neue Regeln für die Kapitalmärkte gelten:
• Verbot des Handels mit Kreditausfallversicherungen (credit default swaps) ohne Bezug zum jeweiligen Kredit
• Regulierung und Kontrolle der Schattenbanken
• Entkoppelung der Staatsfinanzen von den Kapitalmärkten
• Entmachtung der monopolistischen Ratingagenturen
• Schaffung neuer Instrumente wie Eurobonds und Finanztransaktionssteuer
Gerade die Eurobonds wären ein sinnvolles Finanzierungsinstrument, da alle Euroländer sie sichern müssten. Außerdem fordert Hickel einen Schuldenschnitt für Griechenland. Denn das Land werde es niemals schaffen, den jetzigen Schuldenberg abzutragen: „50 Prozent der Schulden weg, würde helfen. Wenn wir weiterhin martialische Sparmaßnahmen von Griechenland abfordern, machen wir das Land tot.“ Darüber hinaus müsste Griechenland geholfen werden, ein modernes Regierungssystem zu etablieren, das es ermöglicht, die Korruption abzubauen. Marshall-Plan für Griechenland
Nicht die Griechen mit ihrer angeblichen Faulheit hätten die Krise des Landes verursacht, sondern einige mafiös organisierte Familienclans, die das Land regieren, erläutert Hickel. Dies sollte man der deutschen Öffentlichkeit sagen und nicht den Griechenhass schüren, wie dies die große deutsche überregionale Tageszeitung mit den großen Bildern in fröhlicher Eintracht mit der Kanzlerin tue.
Hickel fordert aber auch eine Art Marshall-Plan für Griechenland und andere EU-Länder, damit dort Industriepolitik stattfinden kann. Nur wenn diese Staaten auch nennenswerte Industrieproduktion und damit verbundene Dienstleistungen hätten, könnten sie für Wachstum sorgen und so ihre Schulden tilgen.
(Ralph Schweinfurth)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.