Wirtschaft

Keiner will sie: Wegen des Brexit drohen Grenzkontrollen zwischen Irland und Nordirland. (Foto: dpa)

13.10.2017

Planlos betriebener Brexit bedroht Bayerns Wirtschaft

Gespräch mit dem Kabinettschef des Chefunterhändlers für die Brexit-Verhandlungen in Brüssel zeigt Ausmaß der EU-Austritts Großbritanniens auf

Der Brexit wird noch ein richtig dicker Brocken. Das zeigte ein Gespräch mit Guillaume McLaughlin, Kabinettschef des Chefunterhändlers für die Brexit-Verhandlungen Guy Verhofstadt, das die vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft in Brüssel organisiert hat. „Wir gehen unsicherer nach Hause, als wir gekommen sind“, brachte es vbw-Präsident Alfred Gaffal auf den Punkt. Denn McLaughlin illustrierte an einigen Beispielen, wie planlos die Briten ihren EU-Austritt betreiben.

„Brexit-Minister David Davis sitzt sehr selbstbewusst in den Verhandlungen und macht klar, dass nicht die Briten, sondern die EU das Problem mit dem Brexit haben“, so McLaughlin. Denn an der typisch britischen Verhandlungsstrategie zur Durchsetzung ihrer Interessen, die sie schon seit ewigen Zeiten betreiben – ihre Verhandlungspartner zu spalten, um dann das Beste für sich herauszuholen – werde diesmal nicht funktionieren. Aber laut McLaughlin haben die Briten auch keine andere Idee. Somit wachse die Gefahr, dass Großbritannien unkontrolliert aus der EU ausscheide und am Ende wie ein Drittstaat nach den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) behandelt würde.

Das wäre nicht nur für die Wirtschaft schlecht, sondern auch für viele gemeinsame Projekte, die die Briten im Laufe ihrer langen EU-Mitgliedschaft gemeinsam mit den anderen EU-Staaten auf den Weg gebracht haben. Allein aus Galileo, dem gemeinsamen Satellitenprojekt können die Briten nicht so einfach aussteigen, weil das Signal, das die Erdtrabanten senden, immer da ist. „Will man den Briten dann die Nutzung des Signals in Rechnung stellen“, fragte etwa der bayerische EU-Langzeitparlamentarier Markus Ferber (CSU). Auch das muss geklärt werden, neben den großen Themen wie der Zugang zum EU- Binnenmarkt, der Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien und umgekehrt, der Umgang mit der Grenze zwischen Irland und Nordirland, die Anerkennung der Rechtsprechung durch den Europäischen Gerichtshof und die berühmte „Schlussrechnung“.

„Ich wusste nicht, dass Bayern vom Brexit genauso stark betroffen ist wie Flandern und Holland“, gab McLaughlin freimütig zu. Denn neben dem Münchner Autohersteller BMW, der in Oxford den Mini baut, seien auch Siemens, MAN, weitere bayerische Automobilzulieferer sowie viele mittelständische Betriebe betroffen, verdeutlichte vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. „Ich dachte, den größten wirtschaftlichen Schaden würden Flandern und Holland durch die Häfen in Zeebrugge und Rotterdam haben“, so der Brexit-Experte. Insofern lobte er die vbw, dass sie in Brüssel die Interessen der bayerischen Wirtschaft vertreten.

Wie groß die Ratlosigkeit bei der britischen Regierung im Umgang mit dem Brexit ist, zeigt sich laut McLaughlin daran, dass jetzt die britische Wirtschaft anfängt, Druck zu machen. So könnten zum Beispiel britische Fluggesellschaften keine Tickets mehr für Flüge in die EU verkaufen, wenn nicht geklärt ist, ob Großbritannien ab 2019 immer noch zum sogenannten One-Sky, also dem gemeinsamen EU-Luftraum gehört, oder nicht.

Vernunftbegabte Politiker für dier Brexit-Verhandlungen? "In der Minderheit"

Auch Lieferketten werden laut McLaughlin betroffen sein. Denn der Herkunftsnachweis werde erschwert, wenn die Briten nicht mehr der EU angehörten.

Auch Schmuggel werde ein Thema. Denn über die künftige innerirische EU-Außengrenze könnten etwa gefälschte Autoteile aus Asien oder anderen Regionen der Welt in die EU kommen.

Richtig hart wird ein unkontrollierter EU-Austritt laut McLaughlin für den japanischen Automobilproduzenten Toyota. Denn aus seinem Werk in Großbritannien werden zu 85 Prozent Autos für den Export in andere EU-Länder hergestellt. Zölle könnten, wenn nichts geregelt wird, diese Autos für Kunden in der EU deutlich verteuern und für Toyota damit zum Wettbewerbsnachteil werden. Dieser wirkt sich dann auch auf bayerische Automobilzulieferer aus, die Teile an Toyota in Großbritannien liefern (Anmerkung d. Red.).

McLaughlin erwartet für die kommende Brexit-Verhandlungsrunde keinerlei Fortschritt. Erst wenn es jetzt richtig krache, komme vielleicht Bewegung in die Sache und man könne im Dezember konkreter vorgehen.

Auf Nachfrage der Staatszeitung, ob es denn auf britischer Seite nicht ein paar vernunftbegabte Politiker gebe, die den Brexit so verhandeln werden, damit möglichst EU und Großbritannien ohne größeren Schaden davonkommen, antwortete EU-Parlamentarierin Angelika Niebler (CSU): „Die gibt es, aber die sind in der Minderheit.“ Und ihre Parlamentskollegin Monika Hohlmeier (CSU) ergänzte: „Die Briten werden alle Progamme der EU bis zuletzt ausreizen, aber nichts zahlen wollen.“ Denn aus deren Sicht würden sie genügend geistiges Know-how für den Kontinent bereitstellen. Diese Haltung zeigt laut Ingo Friedrich (CSU), dem langjährigen ehemaligen Vizepräsidenten des EU-Parlaments, dass sich die Briten immer noch als etwa besseres fühlen. (Ralph Schweinfurth)

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