Wirtschaft

Netzbetreiber dürfen Photovoltaik-Anlagen vom Netz nehmen, wenn die Betreiber kein Anlagenzertifikat vorweisen können. (Foto: Wraneschitz)

08.07.2011

Solaranlagenbetreibern droht ab Herbst die Insolvenz

Die aktuelle Mittelspannungsrichtlinie der Energiewirtschaft könnte gravierende Folgen haben

Ab 1. Oktober dieses Jahres wird es ernst für Photovoltaik-Anlagenbetreiber. Wenn sie für ihre über 1000 Kilowatt Solarstrom erzeugende Anlage kein so genanntes Anlagenzertifikat vorlegen können, darf der Netzbetreiber, der den Strom abnimmt, die Anlage vom Netz nehmen. Dies kann zur Insolvenz vieler Anlagenbetreiber führen. Die Mittelspannungsrichtlinie des deutschen Energiewirtschaftsverbands BDEW – ausgeschrieben: „Erzeugungsanlagen am Mittelspannungsnetz – Richtlinie für Anschluss und Parallelbetrieb von Erzeugungsanlagen am Mittelspannungsnetz“ – gilt zwar schon seit Juni 2008. Doch die Pflicht, für jede neu ans Netz genommene Photovoltaik-Anlage (PVA) über 1000 Kilowatt ein so genanntes Anlagenzertifikat vorzulegen, besteht erst seit dem 1. April 2011.
Aber diese Forderung ist kein Aprilscherz, sie hat’s nämlich in sich. Auch wenn noch eine Schonfrist gilt. Ab 1. Oktober 2011 darf der zuständige Netzbetreiber Megawatt-PVA ohne gültiges Anlagenzertifikat komplett vom Netz nehmen. Die Folgen können für Anlagenbetreiber bedrohlich sein: Keine Einspeisevergütung gemäß Erneuerbare-Energien-Gesetz mehr; Liquiditätsprobleme; bei längerem Einnahmeausfall droht Insolvenz.
Doch selbst wenn die PVA grundsätzlich die technischen Anschlussbedingungen erfüllt, um das Anlagenzertifikat zu bekommen: Schnell einen Zertifizierer beauftragen, das ist momentan so einfach nicht.
Einerseits dauert es schon eine gewisse Zeit, bis alle Tests gelaufen sind, in der Regel mindestens einen Monat – falls dem Zertifizierer alle Unterlagen vorliegen.
Andererseits: Nur zehn neutrale Firmen oder Organisationen gibt es zurzeit, die Anlagenzertifikate ausstellen dürfen. Und die es gibt, scheinen auf längere Sicht ausgebucht. MOE in Itzehoe beispielsweise, als „eine der ersten Zertifizierungsstellen endgültig empfohlen für die Erstellung von Anlagenzertifikaten für PV-Anlagen von der FGW und FNN vom VDE“, fordert zwar auf der Webseite: „Klopfen Sie doch einfach mal an bei Moeller Operating Engineering“. Doch wer das tut, erfährt „bei Bestellung heute eine Lieferzeit bis Ende des Jahres“.
Zu spät also für die rechtzeitige Vorlage des Anlagenzertifikats beim Netzbetreiber. Der nordostdeutsche Verteilnetzbetreiber Eon Edis beispielsweise weist potenzielle Einspeiser u.a. darauf hin, dass „die Zertifikate zwingend Voraussetzung für einen Dauerbetrieb der Erzeugungsanlage sind. Können aufgrund möglicher Engpässe bei Zertifizierern die Zertifikate noch nicht zum Inbetriebsetzungszeitpunkt vorgelegt werden, sind diese gemäß BDEW Richtlinie bis spätestens zum 30. September 2011 nachzureichen. Sofern die Unterlagen bis zu diesem Zeitpunkt nicht beigebracht werden, ist der Netzbetreiber berechtigt, die Erzeugungsanlage vom Netz zu trennen“, so ein Edis-Sprecher.
Im Netz von Eon Bayern sind im Megawattbereich „weniger als 50 Anlagen davon betroffen“, so ein Sprecher. Die Bayern handhaben die BDEW-Richtlinie ähnlich wie die Konzernschwester Eon Edis im Norden, deren Sprecher erläutert: „Wenn Anlagenbetreiber bis 30. September keine Zertifikate vorlegen, sind wir zwar berechtigt, die Anlagen vom Netz zu trennen, wir werden jedoch vor Ablauf der Frist die Kunden nochmals kontaktieren.“ Anlagenbetreiber berichten von vergleichbaren Informationen weiterer Verteilnetzbetreiber. Aber was nach dem nochmaligen „Kundenkontakt“ passiert, bleibt überall offen.
Eon Edis weist zudem auf ein zweites, zwingend vorgeschriebenes Papier hin, das für jede PVA vorgelegt werden muss, welche ins Mittelspannungsnetz einspeist, meist ab 150 kWp: das so genannte Einheitenzertifikat. Das beweist, dass jeder verwendete Wechselrichter die Mittelspannungsrichtlinie einhält.
Zwar wissen die Wechselrichterhersteller seit Jahren um die Notwendigkeit dieses Nachweises. Doch glaubt man der „Fördergesellschaft Windenergie FGW e. V.“ in Berlin – sie koordiniert die Einheitenzertifikate –, konnten bis zum 24. Juni 2011 gerade mal die sechs Hersteller Danfoss, Control-Techniques, Converteam, Fronius, Power One und SMA diese Unterlagen für einige ihrer Wechselrichter vorweisen.
Auch wenn Einheitenzertifikate anderer Wechselrichteranbieter vorliegen, bleibt eine FGW-Sprecherin auf Nachfrage dabei: „Die Liste ist immer auf dem aktuellen Stand.“ Bleibt dem Errichter einer Photovoltaik-Anlage über 150 kWp nur die Möglichkeit, vom Wechselrichterhersteller vor der Bestellung die Vorlage des Zertifikats zu verlangen. Sonst könnte es bei Inbetriebnahme ein böses Erwachen geben: Laut Mittelspannungsrichtlinie dürfte der Netzbetreiber den Anschluss verweigern.
Doch inzwischen gibt es selbst in der Stromwirtschaft Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vorschrift. „Das Thema wird zurzeit intensiv diskutiert. Da es sich ja nur um eine Richtlinie des BDEW handelt, ist ihre rechtliche Haltbarkeit nicht ganz sicher. Unsere Rechtsabteilung ist noch in Diskussion mit der Fachabteilung“, schreibt uns Netzbetreiber Eon Hanse. (Heinz Wraneschitz)

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