Wirtschaft

Im Bildhintergrund: Bayerns Mieterbund-Chefin Beatrix Zurek (links) und die Vorsitzende des WirtschaftsForum der Sozialdemokratie in München, Hildegard Kronawitter (rechts). (Foto: Loh)

23.09.2016

Sozialwohnungskosten? Muss der Nachbar zahlen

Mietrecht, Nachverdichtung, öffentliche Vergabe: Mieterschützer und Bauunternehmer haben konkrete Forderungen, wie mehr sozialer Wohnraum geschaffen werden kann

In Bayern werden derzeit pro Jahr 1900 öffentlich geförderte Wohnungen gebaut. Was auf den ersten Blick viel klingt, ist in Wirklichkeit wenig: Die Zahl der Sozialwohnungen hat sich seit 1999 von rund 250.000 mehr als halbiert. Grund: Auf Bundesebene führte die Wohnungspolitik bis 2014 ein Schattendasein: In dieser Zeit haben Bund und Länder nur halb so viel gefördert wie in früheren Zeiten. Außerdem ist das Modell für Investoren uninteressant. Hinzu kommt: In den nächsten Jahren fallen im Freistaat 25.000 Wohnungen aus der Sozialbindung. „Bis 2020 gibt es nur noch 80.000 öffentlich geförderte Wohnungen in ganz Bayern – davon mindestens die Hälfte in München“, erklärt die Vorsitzende des Deutschen Mieterbunds in Bayern, Beatrix Zurek, bei der Veranstaltung Bezahlbarer Wohnraum in München – Probleme und Lösungsansätze des WirtschaftsForum der Sozialdemokratie in München. Da der Bedarf weiter steige, müsse die aktuelle Baurate daher mindestens verzehnfacht werden.

Mietrecht reformieren


Zusätzlich fordert Zurek Verbesserungen beim Mietrecht. Zuerst werde zwar günstig gebaut. „In München dürfen Vermieter Mieten aber in drei Jahren um 15 Prozent erhöhen“, erklärt die Mieterbund-Chefin. Dies bedürfe dringend einer Reformierung. Darüber hinaus verlangt sie eine genaue Definition, was die ortsübliche Miete ist. In Regionen mit angespannten Wohnungsmärkten dürfen Mieten bei Neuvermietungen höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Nicht zuletzt kritisiert Zurek die Umlage der Modernisierungskosten. Diese dürfen bis maximal elf Prozent auf die Jahresmiete aufgeschlagen werden: „Dafür gibt es aus unserer Sicht überhaupt keinen Grund“, schimpft die Mieterschützerin. Dadurch stiegen moderate Mieten um das Dreifache. „Diese Auswüchse führen dazu, dass bezahlbarer Wohnraum kein bezahlbarer Wohnraum mehr bleibt“, resümiert Zurek. Ihre salomonische Lösung: Mieter, Vermieter und der Staat sollen sich zu jeweils 30 Prozent beteiligen.

Bezahlbares Bauen


Zureks Forderungen schloss sich der Sprecher der Geschäftsführung der GEWOFAG, Klaus-Michael Dengler, weitgehend an. Die Wohnungsbaugesellschaft hat rund 35.000 Wohnungen in München und Umgebung mit einer Durchschnittskaltmiete von knapp sieben Euro pro Quadratmeter. „Bezahlbares Wohnen setzt bezahlbares Bauen voraus“, mahnt Dengler. Allerdings gebe es kaum noch geeignete Grundstücke. Zudem mussten bis vor Kurzem für 80 Prozent der Bewohner Autostellplätze bereitgestellt werden, obwohl nur rund 60 Prozent eigene Autos hatten. Des Weiteren bereiteten dem Unternehmen die neuen energetischen Standards der Europäischen Union Kopfschmerzen. Hinzu kommt: Sozialwohnungen sollen „lebendige Stadtquartiere“ mit Kindertagesstätten oder Kulturzentren werden. Der größte Kostentreiber ist laut Dengler mit bis zu 20 Prozent das öffentliche Vergaberecht. Im Gegensatz zu Hamburg oder Nürnberg darf in München seit 1995 nicht nachverhandelt werden. „Dadurch sind die verlässlichen Partner beim nächsten Projekt wieder weg, wenn sie kein gutes Angebot abgegeben haben.“

Doch der Wohnraum ist nicht nur knapp, weil immer mehr Menschen in Ballungsräume ziehen. Wir leben durchschnittlich auf einer Wohnfläche von 45 Quadratmetern – doppelt so viel wie im letzten Jahrhundert. Wenn wie vor 15 Jahren im Schnitt wieder 2,4 statt 2,0 Menschen pro Haushalt leben würden, wären sämtliche Platzprobleme auf einen Schlag gelöst. Stattdessen wird es bis 2034 in München 400.000 Einwohner mehr geben. Zur gleichen Zeit entstehen 300.000 neue Jobs. „Wir schaffen uns dieses Problem selbst, weil so viele Arbeitsplätze in einem Gebiet entstehen, das nicht in der Lage ist, so viele Wohnungen zu bauen“, erklärt Christian Breu, Geschäftsführer des Regionalen Planungsverbands München. Er fordert daher, den Raum größer zu definieren und den öffentlichen Personennahverkehr weiter auszubauen. Und: „Wir müssen verdichten bis zum Gehtnichtmehr.“
Das Zauberwort lautet folglich Nachverdichtung. „Allerdings wird alles schnell als übermäßige Verdichtung angesehen“, klagt GEWOFAG-Sprecher Dengler. Bei einem Projekt wurden aus sechs Stockwerken acht gemacht – bis die örtliche Politik dazwischenfunkte. Zukünftig wird die GEWOFAG daher wieder sechsstöckig bauen. „Man muss die Nachbarschaft ernst nehmen, aber es muss auch der Wille zum Teilen da sein“, mahnt er.

Ab 2018 schafft es die GEWOFAG, jährlich zwischen 1200 und 1300 Wohnungen zu bauen – gebraucht werden in der Region München allerdings 4000 bis 5000. Die Differenz sollen private Bauunternehmer kompensieren – zum Beispiel die Firma BHB Bauträger. Sie hat sich auf das mittelpreisige Segment in B-Lagen fokussiert. Doch ähnlich wie die GEWOFAG klagt auch Geschäftsführerin Melanie Hammer über hohe Baukosten, erhöhte Energie-Anforderungen und komplizierte Verhandlungen bei der Nachverdichtung. Außerdem müsse ihre Firma Grundstücke kaufen und entwickeln. „Je länger das dauert, desto teurer werden sie“, erklärt sie. Das Problem: Manche Bebauungspläne lägen seit 30 Jahren brach. Ein weiteres Hemmnis ist die neue Kreditrichtlinie für Immobilien. Seit März müssen Banken strenge Regeln einhalten, wenn sie Bauherren oder Immobilienkäufer Geld verleihen. „Das schließt gerade ältere Leute und junge Familien vom Wohnungskauf aus“, klagt die BHB-Chefin.

„So böse sind wir nicht“


Als „Baulöwin“ sieht sich Hammer nicht. „Diesem Image müssen wir entgegenwirken“, sagt sie. „So böse sind wir nämlich gar nicht.“ Wer das höchste Grundstückgebot abgebe, trage nunmal auch das höchste Risiko. Die BHB kalkuliere mit einem Gewinn von zehn Prozent. Dies ließe sich mit Sozialwohnungen nicht erreichen: Beim sogenannten München-Modell für Haushalte mit mittlerem Einkommen oder Kindern erhalte sie zum Beispiel in Riem 3500 Euro pro Quadratmeter. Ihre Kosten lägen aber bei 3000 Euro plus Baukosten in Höhe von 2800 Euro plus Finanzierungskosten und Marketingkosten, rechnet sie vor. „Was mache ich also mit den Kosten?“, fragt Hammer rhetorisch. „Ich leg’s auf den Nachbarn der München-Modell-Wohnungen um.“ Das seien aber auch keine Großverdiener: Der Unterschied zu den Sozialmietern seien teilweise 50 Euro pro Monat oder ein Kind mehr oder weniger. Hammer resümiert: „Wenn wir die Quoten vom München-Modell anheben, werden auch die anderen Wohnungspreise weiter steigen.“
(David Lohmann)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.