Wirtschaft

Seit 21. Dezember 2007 gehört Tschechien zum Schengener Raum. EU-Bürgern ist seitdem ein Überschreiten der Landesgrenze kontrollfrei möglich. Dennoch existieren die ehemaligen Kontrollanlagen. Sie stehen symbolisch für die Grenzen in den Köpfen zwischen Niederbayern und Südböhmen. Foto: ddp

08.01.2010

Sprachlos zwischen München und Prag

Besonders in den Landkreisen Passau und Freyung-Grafenau herrscht Funkstille

Zu den wenigen Lichtblicken des Krisenjahres 2009 gehörten die Gedenkfeiern zum Fall des Eisernen Vorhangs. Auch entlang der bayerisch-tschechischen Grenze war dies Anlass zur Freude. Nach den Nationalratswahlen in Tschechien will Horst Seehofer (CSU) im Sommer Prag den ersten Staatsbesuch eines bayerischen Ministerpräsidenten abstatten, um die seit 20 Jahren viel beschworene „gute Nachbarschaft“ endlich in konkrete Politik umzusetzen.
Bis dahin bleibt noch ein wenig Zeit für eine kritische Zwischenbilanz über das besonders schwierige Verhältnis dieser beiden Nachbarn, zwischen denen die längste Grenze zwischen Deutschland und Tschechien verläuft. Trotz erkennbarer Fortschritte in der Europäischen Union geht die politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit zwischen Bayern und Tschechien nur zäh voran, worunter am meisten die Grenzregionen beider Staaten zu leiden haben. Vor allem auf der kommunalen Ebene gibt es dabei viel guten Willen, aber auch große Unterschiede in den Beziehungen der drei bayerischen Grenzbezirke Oberfranken, Oberpfalz und Niederbayern zu den gegenüberliegenden Bezirken Nord-, West- und Südböhmen.
Als ehrliche Absicht wurde bisher eine „gute Nachbarschaft“ zwar 20 Jahre lang bei einigen Gelegenheiten beschworen. Doch auf der Ebene der Regierungen herrscht immer noch eine Art politische „Sprachlosigkeit“ zwischen München und Prag. Ex-Ministerpräsident Stoiber hatte sich lange zu einseitig auf die Anliegen der Sudetendeutschen festgelegt, die Ministerpräsidenten Beckstein und Topolanek hatten nach ersten Kontakten keine Zeit mehr zu offiziellen Besuchen und Seehofer hat nach dem Regierungswechsel in Tschechien seine erste Reise nach Prag auf den Sommer dieses Jahres verschieben müssen. Für die Menschen in den Grenzgebieten beider Seiten könnte das ein Auftakt sein, dass nach 20 Jahren der Eiserne Vorhang auch in den Köpfen fällt.
Die absolut notwendige Kooperation funktioniert zwar halbwegs auf kommunaler und staatlicher Beamtenebene, aber eben sehr unterschiedlich. In Richtung Pilsen läuft vieles sehr gut, in Richtung Budweis zwar nicht schlecht, hinkt aber vor allem in der Strukturpolitik und damit in der wirtschaftlichen Entwicklung noch weit nach. Wichtige grenzüberschreitende Projekte kommen ohne gemeinsamen politischen Willen in München und Prag und ohne staatliche Abkommen nicht wirklich voran. Insbesondere im Verhältnis Niederbayerns zu Südböhmen ist trotz durchaus freundlichen Umgangs miteinander eine echte grenzüberschreitende Strukturverbesserung bisher weithin ausgeblieben.
Der südlichste Zipfel des Eisernen Vorhangs zwischen Niederbayern, Tschechien und Oberösterreich befand sich auf dem Dreisessel im Bayerischen Wald. In diesem Dreiländereck könnte man heuer in den Landkreisen Passau und Freyung-Grafenau, sowie den Gemeinden über der tschechischen Grenze das „Millenium“ einer bereits seit dem Jahr 1010 bestehenden – und die längste Zeit guten – Nachbarschaft mit Südböhmen feiern. Die hat im Mittelalter mit „Säumerzügen“ begonnen: Handels-Karawanen mit „Saumpferden“ brachten vor allem Salz von der Donau und dem Inn auf „Goldenen Steigen“ über den Grenzsaum nach Böhmen und von dort mit Korn und anderen Waren zurück. Die engen historischen Beziehungen über das Bayerwald-Böhmerwald-Massiv wurden zwar immer wieder von Feldzügen oder Kriegen und Vertreibungen unterbrochen. Doch in den weit längeren guten Zeiten umfassten sie nicht nur Handel mit Waren und Austausch in Handwerk, Kunst und Kultur, sondern auch menschliche Beziehungen: Über die Grenzberge hinweg wurde geschmuggelt und gewildert, aber auch gewandert, musiziert, gerauft, geheiratet und geerbt.
Diese Kontakte könnten heute gut wiederbelebt werden. Aber trotz vollmundiger Prophezeiungen ist im Bereich von Infrastruktur und Tourismus fast nichts geschehen. Auch das Millenium im „Säumerland“ läuft wohl wieder nach alter Kirchturmpolitik ab: nichts gemeinsam und jeder gegen jeden. Gewiss gibt es Ausflüge oder „Treffen“ von Bürgermeistern oder Funktionären, auch „Begegnungen“ von Schulen, Musik- oder Sportgruppen. Das wäre zwei Jahre nach der Grenzöffnung ein schöner Erfolg – aber nach 20? Das Selbstlob der „Euregio Bayerischer Wald, Böhmerwald, Unterer Inn“ nennt so nette „Begegnungen“ mit EU-Zuschuss „Projekte“. In Österreich nennt man so etwas „an Lercherlschaas“ – eine Kleinigkeit.
In diesem Dreiländereck gibt es von Niederbayern nach Südböh-men keine einzige Bahnverbin-dung, keine grenzüberschreitende Busverbindung, ebenso fehlt ein Abkommen über Hubschrauber-Rettung für Unfallopfer. Statt über eine moderne Regionalbahn zwi-schen Flughafen Budweis, Mol-daustauseen, Waldgebirge und Donauhafen Passau zu diskutieren, wird im Landkreis Freyung-Grafenau seit 20 Jahren über ein Ausflugsbähnle gestritten – auf gut 100 Jahre alten Teilstrecken und durch das Naturschutzgebiet Ilztal, in dem nie neue Gleise für eine Regionalbahn gebaut werden können. Für LKW und PKW gibt es hier nur den Grenzübergang Philippsreut; die Bundesstraße 12 hat von Passau bis zur Grenze nur drei kurze Überholspuren, in der Gegenrichtung keine; eine Zubringerstrecke von Waldkirchen zur Autobahn Passau-Deggendorf ist fertig, die von Freyung und Grafenau noch nicht einmal zur Hälfte. Alles fast wie vor 20 Jahren gehabt, nur mit vielfachem Verkehrsaufkommen.
Die beiden Nationalparke Bayerischer Wald und Sumava arbeiten auf dem „Grünen Dach Europas“ eng zusammen, desgleichen die Polizei beider Seiten. Einige Unternehmen haben von sich aus in Tschechien Zweigwerke gegründet und die IHK-Passau bemüht sich seit der Grenzöffnung intensiv um Zusammenarbeit (siehe untenstehendes Interview). Darüber hinaus lassen sich keine gemeinsamen Projekte der Kooperation mit Südböhmen in Wirtschaft, Kultur und Tourismus finden. Wer das beklagt, bekommt als Gegenbeweis die Berichte der Euregio vorgelegt. Die betreffen aber zu 90 Prozent die Wirtschafts-Kooperation zwischen der Oberpfalz oder Oberfranken und West- oder Nordböhmen. Nahezu alle Projekte laufen im Bayerischen Wald über Pilsen – so wie die einzige Bahnverbindung von Niederbayern über Bayerisch Eisenstein nach Tschechien auch.
Nur ein Bruchteil davon und meist Kleinkram passiert zwischen dem niederbayerischen Grenzlandkreis Freyung-Grafenau und Südböhmen entlang der historischen Säumersteige in Richtung Bergreichenstein, Winterberg, Strakonitz, Prachatitz, Wallern, Krumau und Budweis. Im dünnbesiedelten Grenzland mit viel schöner Landschaft fehlt auf beiden Seiten Industrie. Touristische Chancen der „Bayer-wald-Böhmerwald-Region“ wer-den kaum genutzt. Es gibt kein Tourismus-Konzept auf der baye-rischen Seite, geschweige denn ein gemeinsames über die Grenze.
Das sehr zentralistisch aus Prag regierte Tschechien bekommt bis 2013 rund 26 Milliarden Förder-gelder der EU, von denen einiges auch in Südböhmen zur Bayer-waldgrenze hin investiert werden wird, zum Beispiel in den Regio-nalflughafen Budweis und die Modernisierung von Straßen und Bahnstrecken in Richtung Öster-reich und Bayern. Oberösterreich arbeitet von Linz aus schon weit länger, viel enger und konkreter mit dem Bezirk Südböhmen zu-sammen. Aber auf niederbayeri-scher Seite fehlen nicht nur Gelder und Konzepte, sondern auch politische Anführer, die ohne Angst vor Konkurrenz solche regionalen Projekte durchsetzen könnten.
Ein Grund dafür liegt auch in den verschobenen Strukturen von Politik und Verwaltung: In Südböhmen ist der gewählte Bezirkshauptmann Chef der Politik und der Verwaltung zugleich – ähnlich wie in Oberösterreich der Landeshauptmann; aber das Sagen hat Prag. In Bayern hat ein gewählter Bezirkstagspräsident nicht viel mit den Nachbarn über der Grenze zu tun. Und ein Regierungspräsident kann ohne Auftrag der Staatsregierung keine Außenpolitik betreiben. Das erschwert zwar die Zusammenarbeit, macht sie aber nicht unmöglich, was ja die nördlichen Landkreise Cham und Regen beweisen.
Die Verbesserung der Zusammenarbeit Bayerns mit Tschechien, insbesondere Niederbayerns mit Südböhmen hängt aber auch vom Verhältnis der staatlichen Ebene ab: Straßen, Bahnlinien, zweisprachige Informationstafeln und Tourismuswerbung, Übereinkünfte zur Sprachförderung im Schul-, Hochschul- und Bildungsbereich erfordern zumeist Abkommen zwischen Prag und München. Von einem normalen Verhältnis wie etwa mit Österreich sind Bayern und Tsche-chien immer noch weit entfernt. Viele alte Tschechen sprechen ausreichend Deutsch für eine all-tägliche Verständigung oder um in Bayern zu arbeiten; aber die Jun-gen lernen überwiegend Englisch. Die Deutschen entlang der Grenze sprechen immer noch kaum ein Wort Tschechisch; Schüler wären daran interessiert, die Eltern nicht.
Deutsche Touristen fahren in den Nationalpark Sumava und an die Moldau-Stauseen, nach Prachatitz, Krumau und Budweis. Tschechen fahren zum Arbeiten, Einkaufen oder Skifahren in den Bayerwald. Trotz der Sprachprobleme wird aber nicht einfach das Wichtigste überall in beiden Sprachen angeschrieben: an Denkmälern, Kirchen, Schlössern, Museen oder Wanderwegen und touristischen Einrichtungen. Auch wichtige Verkehrs-Informationen oder Schilder sollten hier längst zwei-sprachig sein. Ohne jeden Gebietsanspruch, nur aus Höflichkeit, aber durch gemeinsame Vereinbarung!
Allein die Sorge um ihre lange vernachlässigten Grenzgebiete – auch mit gemeinsamem Auftreten gegenüber der EU – und andere „Themen vor der Haustüre“ bieten genügend Gesprächsstoff für einen ersten Staatsbesuch. (Hannes Burger)

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