Wirtschaft

Eine HGÜ-Anlage hilft, 5000 Megawatt Strom zu übertragen – das entspricht der Leistung von fünf Großkraftwerken. HGÜ steht für „Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung“. Dabei wird elektrische Energie mit Gleichstrom einer hohen Spannung von 800 000 Volt auf die Reise geschickt. Bisherige Stromautobahnen in Deutschland funktionieren dagegen mit Wechselspannung. Der Vorteil einer HGÜ: Sie kann Strom über sehr lange Distanzen von über 1000 Kilometern transportieren, ohne dass große Mengen an Energie verloren gehen. Eine solche Technologie soll künftig etwa im Rahmen der Energiewende eingesetzt werden, um Strom aus Windrädern in der Nordsee nach Süddeutschland zu transportieren. In China arbeiten bereits HGÜs: Dort übertragen sie Energie aus Wasserkraftwerken über mehr als tausend Kilometer zu den Megacities an der Küste. (Foto: Siemens)

06.05.2016

Strom optimal übertragen

Amprion und Transnet BW präsentieren in Nürnberg neue Technologie für Hochspannungs-Gleichstromübertragung

Wenn Höchstspannungs- Drehstromleitungen an Grenzen stoßen, da hat die HGÜ noch Leistungs-Kapazitäten. Und natürlich habe ich eine deutlich verlustfreiere Übertragung, das hätte ich fast vergessen.“ Erst ganz am Ende seines Vortrags verrät Mirko Düsel, wozu Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsnetze (HGÜ) am besten passen.

Düsel ist seit einem halben Jahr „Chief Executive Officer (CEO) der Business Unit Transmission Solutions“ bei Siemens, also so etwas wie der Geschäftsführer des Fachbereichs Stromübertragung. Und so sehr er von HGÜ schwärmt, muss er doch zugeben: „Eine Grenze hat die Gleichstromübertragung auch: Sie funktioniert nur bei Punkt-zu-Punkt-Übertragung“ (PPÜ).

Planungen sind zwei Jahre im Rückstand


Ultranet ist eine solche PPÜ. Sie wird über 340 Kilometer zwischen Osterath in Nordrhein-Westfalen (NRW) und Phillipsburg in Baden-Württemberg (BaWü) zwei Industrie-Regionen per HGÜ verbinden, da ist Klaus Kleinekorte von der Amprion GmbH sicher. Nur beim „Wann“, da legt er sich noch nicht fest. Die Planungen seien zwei Jahre im Rückstand, schuld seien die mehrfach veränderten politischen Vorgaben im Bundesnetzausbauplan.

Die technischen Fakten bei Ultranet stehen aber fest: Zwei Gigawatt Übertragungskapazität, Spannungsebene +/- 380 Kilovolt (kV). Und – eine Besonderheit, weshalb auch der Bau ziemlich schnell gehen könnte: Die HGÜ-Ultranet-Leitung muss nicht neu verlegt werden, sondern nutzt bestehende Trassen. Auf vorhandenen Masten wird durch drei bereits hängende Leitungsdrähte künftig Gleich- statt bisher Wechselstrom geschickt. Damit steigt gleichzeitig die Übertragungskapazität von 1,6 auf zwei Gigawatt. „Im Prinzip müssen nur die Isolatoren erneuert werden“, spielt Kleinkorte die Schwierigkeiten herunter.

Optimaler Problemlöser


Die aber liegen im Detail, vor allem bei der Umwandlungstechnik. Deshalb haben die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) Amprion und Transnet BW – sie werden die Leitung gemeinsam betreiben – in einer Ausschreibung den aus ihrer Sicht optimalen Problemlöser gesucht. Und ihrer Meinung nach mit Siemens gefunden. „Aus einer Reihe großer Namen, einer mit drei roten Buchstaben, eine französische Firma, Marktbegleiter aus dem asiatischen Raum waren dabei“, beschreibt Werner Götz vom schwäbischen Staatsunternehmen den HGÜ-Markt.

Siemens wiederum hat viel Erfahrung auf diesem Sektor: Jan Mrosik, CEO Division Energy Management beim Elektrokonzern, berichtet von 40 HGÜ-Projekten seit dem ersten in Afrika 1972. So wurden Netzunsymmetrien entkoppelt; das instabile Netz in Osteuropa mit dem im Westen durch kurze HGÜ verbunden; 50- und 60-Hertz-Netze. „Doch was wir hier machen, ist weltweit einmalig. Es kommt erstmals bei Ultranet zum Einsatz. Und danach werden wir es in die Welt bringen“, so seine Zukunftsvision.
Diese bei Siemens „neue Technik, Powermodule der PLUS-Familie“, ist die sogenannte Vollbrückentechnologie. Bisher war für HGÜ die „klassische Technik“ im Einsatz, Thyristor-Module, die den Strom nur ein- aber nicht ausschalten konnten. Nun also Leistungstransistoren, die sowohl Ein wie Aus beherrschen. Der Gleichstrom kann dadurch in beiden Richtungen fließen.

„Strategisches Leuchtturmprojekt“


Deshalb ist Ultranet nicht nur für die ÜNB, sondern auch für Siemens ein „Strategisches Leuchtturmprojekt“, wie es Transnet BW-Geschäftsführer Götz beschreibt. Für die ÜNB lösen die drei vom Bund vorgesehenen HGÜ-Trassen einige Probleme, die durch das Abschalten der Atomkraftwerke bis 2013 entstehen: „Wir verlieren im Süden zehn GW Atomstrom, bekommen aber im Norden 20 GW Erneuerbare-Energien-Leistung hinzu.“ Beim am weitesten gediehenen Ultranet wolle man die Vorteile aufzeigen, die Gleichstrom gegenüber Drehstrom habe, ergänzt sein Mitarbeiter Bernd Jauch: „Das Spannungsband ist in weitem Bereich einstellbar“, beispielsweise um bei hoher Luftfeuchtigkeit Überschläge zu verhindern. Auch sei „Teilbetriebsfähigkeit“ möglich: Der Energietransport soll weitergehen, selbst wenn eine Leitung gestört ist. Auch dafür sei die Vollbrückentechnologie nötig, springt Siemens-Mann Düsel bei. Düsel philosophiert gar schon von einem „europaweiten DC-Overlay-Grid bis 2050“ mit dieser Technik.

Doch die ÜNB schauen erst einmal auf Deutschland, das „kein Drittweltland ist und wo wir Versorgungssicherheit gewährleisten müssen“, wie Ludger Meier klarstellt, Amprions Pendent zu Bernd Jauch. Deshalb sei „die Projektpartnerschaft zum Erfolg verdammt“. Dazu gehöre auch, dass die Bürger die HGÜ-Trassen, ob über- oder unterirdisch, und deren Auswirkungen akzeptieren.

Geringe Eingriffe in die Landschaft


Die Eingriffe in die Landschaft seien bei Ultranet gering: Lediglich zwei Umrichterstationen am Anfang und am Ende der PPÜ seien zu planen, „Industrieanlagen von je 370 mal 260 Metern, Höhe der Gebäude maximal 20 Meter.“ Bei Lärm- und Strahlenschutz werde man „die sehr sehr sportlichen Vorgaben der Bundesimmissionsschutzverordnung im Sinne des Bürgers einhalten“, und zwar egal, wo genau gebaut werde, verspricht Meier.

Noch stehen die Standorte nicht fest. Die Kosten dagegen schon: 900 Millionen Euro ist das Auftragsvolumen für Siemens. Damit werden im Wesentlichen die Umrichter und die ebenfalls notwendigen Transformatoren finanziert. Denn die „neue“ hat gegenüber der „alten“ Umrichtertechnik den Nachteil, dass Transistoren nicht ganz so hochspannungsfest sind wie Thyristoren. Deshalb muss an beiden Seiten des Ultranet zuerst die Spannung von 380 auf etwa 155 kV abgesenkt werden, erst dann können die PLUS-Module arbeiten.
Das wiederum sichert in Nürnberg gleich doppelt Arbeitsplätze: in der Stromrichterfabrik und im über 100 Jahre alten Trafowerk. Dies stand in der Vergangenheit bereits mehrfach vor dem Aus. Jetzt scheint der alte Transformatorbau dank neuer Energien eine Renaissance zu erleben.
(Heinz Wraneschitz)

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