Wirtschaft

12.08.2011

Verwirrspiel um „Falschabrechnungen“

Krankenhausgesellschaft wehrt sich gegen Kassenpropaganda

Ein fünfjähriges Kind kommt zur Entfernung von Rachenmandeln mit einem schwierigen Trommelfell-Einschnitt ins Krankenhaus, 40 Kilometer vom Wohnort entfernt. Es stellen sich gefährliche Nachblutungen ein. Deshalb bleibt das Kind – wie europaweit von allen Experten empfohlen – ein ganze Nacht vorsichtshalber in der Klink.
Der absolut fachfremde Sachbearbeiter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) entscheidet am Schreibtisch, ohne den Patienten gesehen zu haben: Die Betreuung über Nacht war überflüssig. Stirbt das Kind und taucht der Staatsanwalt auf, dann wandert nicht der Kassenboss ins Gefängnis, sondern der Krankenhausarzt. Jedenfalls, hier lag aus der Sicht des gottgleichen MDK eine brutale „Falschabrechnung“ vor. Eigenmächtig kürzte er die Vergütung.
Einem 68-jährigen Patienten wurde nach sechsstündiger Operation ein Teil der Speiseröhre entfernt und ein „Ersatz“ durch Magenhaut gebildet. Es kam zu schweren Nachblutungen, der Patient überstand den Eingriff relativ gut und er konnte das Klinikum Nürnberg bereits nach zwölf Tagen verlassen. Die Behandlungsdauer beträgt sonst nach den Vorgaben der Fallpauschalen 33 Tage.
Dem Prüfarzt am Schreibtisch des MDK erschien eine Verweildauer von zehn Tagen als ausreichend und er kürzte die Rechnung eigenmächtig gleich um 50 Prozent. Auch dieser Vorgang geht in die Statistik als „Falschabrechnung“ ein.
Kein Wunder also wenn die AOK Bayern von 110 Millionen Euro jubelt, die von den Krankenhäusern 2010 zurückbezahlt wurden. Somit wird bewusst und vorsätzlich der böswillige Eindruck erweckt, im Management der Kliniken säßen haufenweise Ganoven. Politisch korrekt dürfte man nicht von „Falschabrechnungen“ sprechen, sondern von „umstrittenen Abrechnungen“.
Nun muss man wissen, dass die Karrieren der Kassen-Prüfer von der Höhe der eingetriebenen Gelder abhängen, dies streiten naturgemäss die gesetzlichen Versicherungen ab, doch es gibt dafür genügend gerichtsverwertbare Beweise.
Die wiederum ganz gezielt in die Öffentlichkeit platzierte Behauptung, jede zweite Abrechnung sei falsch, beruht auf einer geschickten statistischen Lüge. Denn, so wies der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft Siegfried Hasenbein nach, würden derzeit 11 Prozent aller Rechnungen kontrolliert, ein maßloser bürokratischer Aufwand zulasten der Versicherten. Insgesamt sind das 300.000 Prüfungen jährlich in Bayern, für die aber jede Klinik pro Fall von den Kassen automatisch 300 Euro erhält, für den Verwaltungsaufwand.
Auch das wird locker über die Beiträge der Versicherten finanziert. Der Anteil der einseitig gekürzten Rechnungen, also der hochgejubelten „Falschabrechnungen“ beträgt 4 Prozent.
Lichtjahre entfernt
Lichtjahre von den immer wieder eingeflüsterten 50 Prozent entfernt. Und bei diesen 4 Prozent handelt es sich um teils willkürliche Entscheidungen. Sicher spielt die undurchschaubare Gesetzeslage infolge des „Gesundheitsfonds“ eine Rolle beim Streit um die tatsächlich notwendige Behandlungsform und -dauer.
Heftig kritisiert Hasenbein, dass ein vernünftiger Brauch abgeschafft wurde. Bisher besprachen und diskutierten Klinikärtze und Prüfärzte die strittigen Fälle direkt.
Jetzt wird bei den Kassen am Schreibtisch entschieden – basta. Und obendrein vergiftet man noch die öffentliche Diskussion. Fast noch perverser ist die Tatsache, dass der Arzt eben kein Hellseher ist, und bei einer ersten Diagnose einen möglichst optimalen Behandlungsplan im Interesse des Patienten ausarbeiten muss. Stellt sich nach Monaten in der Anonymität heraus, dass mancher Eingriff nicht notwendig gewesen wäre, aber aus Vorsicht vorgenommen wurde, folgt blitzartig die Kürzung. Ist denn die „blutige Entlassung“ das Fernziel der Kassen?
Jedenfalls lassen sich die Krankenhäuser diese Praxis nicht mehr gefallen und ziehen gezwungenermaßen verstärkt vor die Sozialgerichte. 1400 Klagen liegen bereits vor. Schon bald wird eine fünfstellige Zahl erreicht sein. Die Kosten für diesen sicher bald ausufernden Rechtskrieg zahlen wieder einmal – ja wer schon: die Versicherten.
Und es wäre doch so einfach: Warum rüstet man nicht propagandistisch ab? Warum kann man nicht zur früheren Praxis der gemeinsamen Bewertung der umstrittenen Fälle zurückkehren? Die Patienten und auch die Beitragszahler, die nur die Rolle der geschröpften Zuschauer spielen dürfen, wären dankbar. Jedenfalls wäre es sicher auch einmal interessant zu erfahren, was die aufgeblähte Bürokratie des MDK tatsächlich kostet. Aber das dürfte höchstes Staatsgeheimnis sein, und wenn schon Zahlen geliefert werden, dann sind dies bestimmt geschönte verwaltungsinterne Milchmädchenrechnungen.
(Karl Jörg Wohlhüter)

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