Wirtschaft

Das Atomkraftwerk im tschechischen Temelin ist vielen in Bayern ungeheuer. (Foto: dpa)

27.11.2015

Viele Kern-Ängste – kaum Antworten

Atomkonferenz von Umweltverbänden und Grünen – Staatsregierung lehnt Temelin 3 ab

Beim jährlichen Treffen bayerischer und österreichischer Atomgegner, wie immer in Sichtweite des tschechischen AKW-Standorts Temelin, waren auch zwei Anhörungstermine wichtige Diskussionspunkte: Diese Woche stand in München der Erörterungstermin für den geplanten slowakischen Atomkraftwerks-(AKW)-Neubau in Bohunice an. Im Oktober konnte mit den ungarischen Behörden über deren neu geplantes AKW PAKS II diskutiert werden. „Ein neues Atomkraftwerk wollen sie bauen. Dabei sind sie nicht einmal in der Lage, das Flüchtlingsthema zu organisieren!“ Heftig kritisierte Brigitte Artmann (Grüne) die ungarische Politik. Die Hauptorganisatorin des Treffens in Temelin zeigte sich jedoch erfreut: „Ungarn hat sich sehr kooperativ gezeigt.“ Ihre Bitte, die Frist für Einwendungen zur Strategischen Umweltverträglichkeitsprüfung (SUP) zu verlängern, war erhört worden. Doch die PAKS-II-Anhörung in München verlief dann wohl doch ziemlich enttäuschend.

Verärgert ist die Wunsiedler Politikerin deshalb über die deutsche und die bayerische Regierung: „Die haben niemanden aktiv informiert“, für Artmann ein klarer Widerspruch zur Aarhus-Konvention der UN, die auch für deutsche Behörden gelte. Seitens des Münchner Umweltministeriums heißt es dazu: Die Beteiligung der Öffentlichkeit „nach ungarischem Recht erfolgt bereits seit Längerem, sodass die ungarische Seite die wesentlichen Inhalte der Einwendungen der bayerischen Bürger bereits kennt.“

Warum Atom und nicht erneuerbare Energien?


Nun hoffen Umweltverbände bei der Bohunice-Anhörung nächste Woche auf „rege Teilnahme. Jeder aus ganz Deutschland kann kommen und den Slowaken Fragen stellen, warum sie auf Atom und nicht auf erneuerbare Energien setzen“.

Die Grüne Artmann klagt aktuell vor dem UN-Aarhus-Komitee gegen die SUP-Direktive der Europäischen Union. Denn die UN-Konvention enthalte „das Recht auf Information, auf Beteiligung und auf den Zugang zu Gerichten“; die EU-Direktive sehe dagegen kein Klagerecht vor.

Aarhus-Konvention ist seit 2007 einklagbar


Die Aarhus-Konvention sei „seit 2007 in Deutschland einklagbares Gesetz“, so Artmann. Weshalb sie nun EU-weit Klagerecht für Bürger fordert für SUP zu Fracking, Stromtrassen, atomare Endlager, AKW-Neubauten, Braunkohletagebauen, CO2-Verpressung und ähnliches.

Während die EU-Kommission sich noch nicht bewege, habe Deutschland bereits auf ihre „Aarhus“-Klage reagiert, meint Brigitte Artmann: Ein Referentenentwurf des Bundesumweltministeriums enthalte nun das Recht auf gerichtliche Überprüfung von SUP.

Sie sieht offenbar gar Chancen, mit Hilfe von „Aarhus“ das geplante ungarische AKW zu verhindern: Bei der Umweltprüfung zu PAKS II „sind Fehler begangen worden wie einst bei Mühlheim-Kärlich in Deutschland“. Das wurde vor Jahrzehnten 70 Meter vom genehmigten Platz entfernt errichtet und durfte deshalb nie in Betrieb gehen.

Jan Haverkamp, Atomkraftexperte von Greenpeace, empfiehlt Einwendern, sich bei Erörterungsterminen wie in München auf die Aarhus-Konvention zu berufen: „Danach bestimmt das Publikum den Ablauf“, nicht die veranstaltende Behörde. Es sei „wichtig, dass Gegenmeinungen kommen“. So seien die Ungarn laut Haverkamp in ihren Plänen davon ausgegangen, „bei AKWs kann einfach nichts passieren“.

Ein Unding, wenn man an die Tschernobyl-Katastrophe denkt, ebenfalls ein Reaktor russischer Bauart.
Die Temelin-Reaktoren hat Rosatom gebaut, und die Osteuropäer sind auch bei PAKS II als Erbauer vorgesehen. Doch in Ungarn ist laut Brigitte Artmann sogar ein deutscher Konzern dabei: „Auch wenn woanders ein striktes Russland-Embargo für europäische Firmen gilt: Siemens will den nichtnuklearen Teil ausbauen.“ Das grundsätzliche Interesse bestätigt ein Sprecher des Siemens-Bereichs Energy auf Nachfrage: „Wir könnten Komponenten wie Turbinen oder Generatoren für PAKS II liefern.“ Und das Bundeswirtschaftsministerium erklärt: In der EU herrsche im allgemeinen Handelsfreiheit.

In Finnland dagegen gebe es Probleme mit einem russischen AKW-Bau: Weil sich der deutsche E.ON-Konzern aus der Finanzierung des Projekts auf der Halbinsel Hanhikivi zurückgezogen hat, hätte eine Firma aus Kroatien einen Neun-Prozent-Anteil übernehmen sollen. Doch die war wohl im Besitz von Verwandten des Moskauer Bürgermeisters. Deshalb „wird sich die Entscheidung noch etwas ziehen“, meint Jan Haverkamp.

Er sieht ohnehin weltweit „in zehn Jahren die Atomkraft am Ende“, jedenfalls wenn es um Neubauten gehe. Gefährlich ist für den Greenpeace-Experten aber die Diskussion um Laufzeitverlängerung: „Die Tschernobyltypen sind für 40 Jahre Betrieb gebaut“, dennoch sei bei zwei AKW in der Ukraine die Betriebserlaubnis verlängert worden. Ihre technische Lebensdauer würde in den nächsten vier Jahren 60 Reaktoren erreichen. „In Frankreich sind nach 40 Betriebsjahren komplett neue Umweltprüfungen notwendig“, die in unserem Nachbarland aber nicht eingeleitet worden seien. Anders in Schweden: Dort habe „Vattenfall entschieden, abzuschalten, wenn es soweit ist“. Für Haverkamp alles gute Gründe für seine Atomende-Vision.

AKWs funktionieren nicht ohne Probleme


Dass AKWs nicht ohne Probleme funktionieren, konnten die Konferenzteilnehmer ohnehin live erleben: Kurz vor dem Treffen waren beide Reaktoren wegen Störungen abgeschaltet worden; während ihres Aufenthalts lief auch nur einer. Und der andere war kurz vorher nach einer Revision erst wieder hochgefahren worden.

Dass es bei dessen Hochfahren offenbar große Probleme gab, die zum erneuten Stopp führten, irritierte Brigitte Artmann: „Das ist so, als wenn das Auto beim Kundendienst war, und hinterher springt es nicht mehr an.“

Kein Wunder also, dass sie zumindest in Temelin ein weiteres AKW verhindern will. Hierbei unterstützt sie offenbar sogar Bayerns Regierung: Es sei „Ziel, die Tschechische Regierung von der Energiewende und dem bayerischen Weg hin zu Erneuerbaren Energien zu überzeugen“, heißt es aus dem Umweltministerium.
(Heinz Wraneschitz)

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