Wirtschaft

Im Zuge des Moratoriums ist das Atomkraftwerk Isar I in Essenbach bei Landshut vom Netz genommen worden. (Foto: dapd)

18.03.2011

Was im Notfall passiert, ist unbekannt

Kerntechnisches Regelwerk von Jürgen Trittin endlich umsetzen: Notkühlung auf den neuesten Stand, mehr Redundanzen, längere Batteriestandzeiten, häufigere Sicherheitschecks

Der offensichtlich mehrfache Super-GAU in den japanischen Siedewasserreaktoren von Fukushima Dai-Ishi hat die Sicherheitsdiskussion um Kernkraft weltweit neu angefacht. Das „Moratorium“, also das dreimonatige Aussetzen der Laufzeitverlängerung aller deutschen Kernkraftwerke durch die Bundesregierung, ist dafür deutlicher Beleg. Doch gibt es echte Fakten über die Sicherheit von Siedewasserreaktoren hierzulande und anderswo? Das Krisenzentrum der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in Köln wirkt gut informiert. Stand 16.3. meldet GRS zum bereits vor dem Erdbeben abgeschalteten Dai-Ishi-Block 4: „Vermutlich Schäden am Reaktorgebäude (2 x 8 m² große Löcher). Der Brand wurde kurzfristig gelöscht. Das Becken konnte aber bislang wohl noch nicht wieder aufgefüllt werden. Versuche mit Hubschrauber bzw. Feuerlöschspritzen erfolgen. Dach der Reaktorhalle beschädigt, mindestens zwei Feuer im Brennelemente-Lagerbecken, Kernschäden im Lagerbecken.“ Das Becken liegt durch eine vorherige Knallgasexplosion frei.
Die Brände haben viel radioaktives Material in die Luft gewirbelt. Diese Giftstaubwolke trieb zumindest am Dienstag noch an der Megastadt Tokio vorbei. Auch Hans-Josef Allelein, Atomrisikoforscher der TH Aachen, sieht „das nicht zu wässernde Brennelementelager von Block 4 wohl als das größte Problem. Was dort an radioaktivem Material rauskommt, kommt relativ direkt in die Umgebung, eine recht kritische Freisetzung.“ Und weil seit Mittwoch nur noch 50 Mitarbeiter auf der Anlage sein sollen, ist eine Wässerung ohnehin bald kaum mehr möglich. Die Folge: weitere Kernspaltprodukte in der Luft.
Vor allen japanischen Reaktorfehlern lag das Erdbeben und die Tsunamiwelle. Deshalb waren die Notfalldiesel nicht zu starten. Lediglich Batterien konnten die Notkühlpumpen noch acht Stunden lang antreiben, danach ging nichts mehr mit der Reaktorkühlung. Bei deutschen Reaktoren hätten die Batterien schon nach zwei Stunden schlapp gemacht.
In GRS-Bericht A-2679 wurde der Ausfall sämtlicher Kühl- und Speisepumpen als „weit ab von jeder Realität“ abgetan. Dennoch wurden zumindest bei Druckwasserreaktoren (DWR) solch „auslegungsüberschreitende Störfälle simuliert“, bestätigt Heinz-Christian Sonnenburg von der GRS.
Siedewasserreaktoren (SWR) – solche sind jetzt in Japan betroffen – seien dagegen „zugegeben etwas stiefmütterlich behandelt worden“, so Sonnenburg. „SWR-Störfallanalysen waren hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Kernkühlung immer relativ unkritisch. Dennoch haben wir SWR weiterhin im Visier.“ Zuletzt wurde 2007 die GRS-Sicherheitsstudie A-3291 für SWR der Baulinie 69 veröffentlicht. Unter „Baulinie 69“ fällt neben den per Moratorium stillgelegten deutschen Meilern Isar 1, Brunsbüttel, Philippsburg 1 und Krümmel auch das nie in Betrieb genommene österreichische Atomkraftwerk Zwentendorf. Genau an dieser nicht radioaktiven Anlage hat ein österreichisch-deutsches Team um Wolfgang Kromp von der Universität für Bodenkultur Wien im Auftrag mehrerer österreichischer Bundesländer im vergangenen Jahr einen „Schwachstellenbericht Siedewasserreaktoren Baulinie 69“ erarbeitet. Dessen kritisches Ergebnis: „Mit zunehmendem Alter werden ursprünglich nachgewiesene Sicherheitsabstände kontinuierlich abgebaut; möglicherweise unentdeckt gebliebene Alterungserscheinungen erhöhen die Gefahr schwerer Unfälle.“
Weil man in Zwentendorf „an Schweißnähten unzulässig hohe Materialspannungen festgestellt“ habe, die man aber in laufenden Kraftwerken „nicht genau messen kann, schlagen wir vor: Abschalten, ja freilich!“, so Kromp gegenüber unserer Redaktion.
Auch Hans-Josef Fell, Energiesprecher der Grünen im Deutschen Bundestag, fordert „beschleunigtes Abschalten“, sogar noch schneller, als einst zwischen Rot-Grün und den Atomstromern vereinbart. Zuerst aber müsse „das kerntechnische Regelwerk von Jürgen Trittin endlich umgesetzt werden: Das hat ja auch der letzte SPD-Umweltminister Gabriel nicht gemacht, auch wenn er jetzt anderes behauptet.“ Das bedeute „Notkühlung auf den neuesten technischen Stand, mehr Redundanzen, längere Batteriestandzeiten, häufigere Sicherheitschecks.“
Damit sollte aus Fells Sicht nicht vor allem wie bislang der TÜV Süd beauftragt werden: „Der TÜV Süd ist seit Jahren aufgefallen als willfähriger Abnicker der Auftraggeber.“ Eine Meinung, die auch Kropp teilt: „Kein Pauschalurteil zu Gutachtern. Aber alle, die zu sehr im Dunstkreis der Kernenergie leben, die TÜVs zum Beispiel, können gar nicht unabhängig sein. Der TÜV wurde durch die frühere KWU zum Kernkraft-Gutachter aufgebaut“, behauptet er.
 Zumindest in den drei Moratoriumsmonaten mit vielen von der Bundesregierung angesetzten Überprüfungen dürfte sich Fells und Kropps Wunsch nicht erfüllen. (Heinz Wraneschitz)

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