Für die Firma Bauer Elektrounternehmen GmbH war es ein Schock: Das in der Nähe von Mühldorf beheimatete Unternehmen mit 820 Mitarbeitern wurde nach eigenen Angaben Opfer von Mindestlohn-Betrügern. Ein slowenischer Subunternehmer habe versucht, „durch gefälschte Mindestlohnbescheinigungen überhöhte Zahlungen zu erschleichen“, teilte Bauer gegenüber der Staatszeitung mit. Geschädigt wurden neben dem Mittelständler auch zahlreiche slowenische Facharbeiter. Die oberbayerische Firma erstattete deshalb Strafanzeige. Bereits 2014 war Bauer vom DGB darauf hingewiesen worden, dass Mitarbeiter des slowenischen Partners an zwei Baustellen nicht den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn gezahlt bekamen. Bauer erstattete daraufhin den geprellten Mitarbeitern den Lohn aus eigener Tasche.
Manipulierte Bescheinigung
„Im Zuge der aufwendigen Prüfungen stellte sich neben anderen Unregelmäßigkeiten heraus, dass Bauer gefälschte und manipulierte Mindestlohnbescheinigungen übergeben worden waren“, teilen die Oberbayern, die zuletzt einen Umsatz von 130 Millionen Euro erwirtschafteten, mit. Nach Informationen der Staatszeitung besteht der Verdacht, dass auf den Bescheinigungen, auf denen die Mitarbeiter versichern, sie hätten den Mindestlohn erhalten, nicht die betroffenen Mitarbeiter selbst unterzeichnet hätten. Bauer beendete die Zusammenarbeit mit dem slowenischen Nachunternehmer umgehend.
In der Baubranche und in einer Reihe anderer Branchen existiert schon seit Jahren eine Lohnuntergrenze. Seit Januar gilt nun in fast allen Wirtschaftszweigen ein allgemeiner Mindestlohn. Die Beschwerden über Unregelmäßigkeiten, in denen der Zoll ermittelt, dürften daher schon bald zunehmen. Ärger gab es jüngst bereits in einem Nürnberger Kino. Das Lichtspielhaus wollte laut der Gewerkschaft Verdi vom Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro einen Teil als Gutschein abzweigen. Dieses Guthaben hätten die Angestellten dann im Kino und den dazugehörigen Gastro-Betrieben einlösen können. Nicht nur aus Sicht von Gewerkschaftern verstoßen Gutschein-Regelungen freilich gegen das neue Mindestlohngesetz.
Dennoch planen dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Bayern zufolge auch Solarienbetreiber, den Mindestlohn zu unterschreiten und die Differenz in Form von Bräunungsgutscheinen auszugleichen. „Manche Arbeitgeber verschwenden offensichtlich Energie darauf, den Beschäftigten den Mindestlohn vorzuenthalten. Sie sollten sich lieber an das Gesetz halten“, sagt ein DGB-Sprecher. Gewerkschaftern zufolge sind auch in anderen Wirtschaftszweigen Arbeitgeber kreativ, wenn es darum geht, ihre Mitarbeiter um die vollen 8,50 Euro zu bringen. Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) verwahrt sich jedoch „gegen eine Pauschalverurteilung der Arbeitgeber“. Die Unternehmen setzten den Mindestlohn um. Bei einer vom DGB eingerichteten Mindestlohn-Hotline gehen derzeit täglich 450 Anfragen ein. Jeder dritte Anrufer beschwert sich, sein Arbeitgeber wolle ihn um den Mindestlohn bringen. So berichten etwa Kellnerinnen, ihre Chefs wollten ihnen rechtswidrigerweise ihre Trinkgelder in das Gehalt einrechnen.
Eine legale Umgehungsmöglichkeit ist Arbeitsrechtlern zufolge die Reduzierung der Arbeitszeiten. Einer im Dezember veröffentlichte Umfrage des Ifo-Instituts zufolge plante fast jedes fünfte vom gesetzlichen Mindestlohn betroffene Unternehmen diesen Schritt. Freilich darf der betroffene Angestellte nicht zu unentgeltlichen Überstunden gezwungen werden. Doch genau dies scheint mitunter der Fall zu sein. So berichten Putzfrauen, sie müssten jetzt dieselbe Arbeit einfach in weniger Stunden erledigen. Probleme gibt es laut DGB Bayern auch in der Hotelbranche: Hier gebe es den Versuch, dass Beschäftigte in geringerer Zeit die gleiche Anzahl an Zimmer säubern sollten, sagt ein Sprecher.
Schriftlich verzichtet
Unzulässig sind derweil Erklärungen, in denen der Arbeitnehmer schriftlich auf den Mindestlohn verzichtet. Rechtlich hochproblematisch ist es, wenn Firmen Festangestellte entlassen und diese Mitarbeiter als Selbstständige weiterbeschäftigen. Dem DGB Bayern zufolge planen etwa manche Taxifirmen, künftig auf freie Mitarbeiter statt auf angestellte Fahrer zu setzen. Hier geraten Firmen jedoch leicht in den Ruch der Scheinselbstständigkeit – so dürfen freie Mitarbeiter keine festen Dienstpläne haben und unterliegen überdies keiner Weisungsbefugnis. Auch in der Logistikbranche gibt es Probleme: Deutsche Speditionen planen, ihren LKW-Fahrern die Schichtzulagen zu kürzen. Noch dreister sind offenbar manche osteuropäischen Fuhrunternehmen. Einige von ihnen kündigen sogar an, sich nicht an das Gesetz halten zu wollen. Das will die Bundesregierung jedoch keinesfalls hinnehmen und betont, dass die Lohnuntergrenze natürlich auch für Speditionen mit Sitz im Ausland gilt.
Und auch anderweitig wird beim Mindestlohn getrickst: Schnellrestaurants hierzulande wollten bei Tarifverhandlungen einen Wegfall des Urlaubs- und Weihnachtsgelds als Kompensation für den Mindestlohn erreichen. In die Kritik geriet auch der Bauer Verlag. Dieser soll dem eigenen Betriebsrat zufolge seine Logistik-Partner zum Einsatz von Jugendlichen statt volljährigen Zeitschriftenzustellern gedrängt haben. Eine Firmensprecherin sagt, ein entsprechender Leitfaden komme seit Monaten nicht mehr zum Einsatz. Das größte Problem bei der Umsetzung des Mindestlohns sind fehlende Kontrolleure. 10 000 von ihnen sind Experten zufolge nötig, um ausreichend gegen schwarze Schafe vorzugehen. Doch der Bund plant deren Zahl in diesem Jahr jedoch lediglich von derzeit 6500 Mitarbeitern auf 8100 aufzustocken.
Klar ist: Nicht jeder profitiert vom Mindestlohn, so sind etwa Selbstständige ausgenommen. Zunächst erhalten laut Bundesregierung 3,7 Millionen Menschen mehr Gehalt, ab 2017 sollen es dann rund viereinhalb Millionen sein. Mehrere Branchen mit länger laufenden Tarifverträgen dürfen allerdings noch bis Ende 2016 den Mindestlohn unterschreiten. Auch für Zeitungszusteller gelten zunächst Übergangsregelungen. Generell vom Mindestlohn ausgenommen sind Minderjährige und Lehrlinge. Auch wer nach mindestens zwölfmonatiger Arbeitslosigkeit einen neuen Job bekommt, hat in den ersten sechs Monaten keinen Anspruch auf die Mindestvergütung. Zudem sind Pflichtpraktika sowie freiwillige Praktika von bis zu drei Monaten ausgenommen.
vbw-Chef Brossardt: "Arbeitsplatzvernichtungsprogramm"
Die vbw lehnt den Mindestlohn weiterhin strikt ab. „Er bleibt aus unserer Sicht ein Arbeitsvernichtungsprogramm“, sagt vbw-Boss Brossardt. Für Bayern prognostiziert sein Verband einen Verlust von 25 000 bis 60 000 Arbeitsplätzen. Er fordert deshalb Korrekturen am Mindestlohngesetz. „Bereits jetzt zeigt die Realität, dass die Bürokratielawine rollt. Dies muss nun dringend gestoppt werden“, so Brossardt. Die Arbeitgeber kritisieren insbesondere die Verpflichtung der Betriebe, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter aufzeichnen zu müssen, die als Minijobber tätig sind.
Am stärksten unter der Bürokratie litten die neun Branchen, die unter das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz fallen, wie zum Beispiel das Bau-, Hotel- und Gaststättengewerbe oder die Logistikbranche. Hier müssen laut vbw „die Arbeitszeiten nicht nur der Mitarbeiter, die vom Mindestlohngesetz profitieren, sondern fast aller Beschäftigten aufgezeichnet und mindestens zwei Jahre lang aufbewahrt werden“. Dies sei unverhältnismäßig. Die vom Bundesarbeitsministerium festgelegte Grenze für die Aufzeichnungspflicht bei einem Monatsverdienst von 2958 Euro sei „deutlich zu hoch angesetzt, da er viele Beschäftigte umfasst, deren Verdienst weit über dem Mindestlohn liegt“. Die vbw sieht stattdessen eine sinnvolle Grenze bei einem monatlichen Bruttogehalt von 2300 Euro.
Die Union sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) haben sich dafür ausgesprochen, bereits im April zu überprüfen, ob hier Änderungen vorgenommen werden. Weite Teile der SPD und die Gewerkschaften sperren sich allerdings dagegen. Sie fürchten ohne umfassende Aufzeichnungspflicht könnte das Mindestlohn-Gesetz rasch zum zahnlosen Tiger werden. Freuen können sich derweil die Mitarbeiter des Nürnberger Kinos: Sie bekommen nun doch den vollen Mindestlohn. (Tobias Lill)
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