Wirtschaft

Damit die Energiewende in Bayern gelingt, sollten möglichst viele Bioenergiedörfer entstehen. So bleibt die Wertschöpfung in der Region. (Foto: Energievision Frankenwald)

20.01.2012

Wie man Bioenergiedörfer etabliert

Symposium „Energiekonzepte im ländlichen Raum“ in Hirschaid

80 Prozent der Deutschen sind gegen Atomenergie. Doch die mit der Energiewende verbundenen Lärm-, Geruchs- und Sichtbelastungen wollen sie nicht tragen. „Hier herrscht das St.-Florians-Prinzip“, moniert Hirschaids Bürgermeister Andreas Schlund (CSU) beim Symposium „Energiekonzepte im ländlichen Raum“ in seiner oberfränkischen Gemeinde. Die auf privater Basis betriebene Biogasanlage in Hirschaid (Landkreis Bamberg) werde derzeit via Nahwärmeleitung an ein Gewerbegebiet angeschlossen, damit die anfallende Abwärme aus der Stromproduktion genutzt werden kann. „Auf einer Industriebrache planen wir einen Energiepark und die Gemeinde hat ein Energiekonzept erstellen lassen“, illustriert Schlund die Aktivitäten in Hirschaid.
Innitiiert hat das Symposium die Klima- und Energieagentur Bamberg (KEA), eine gemeinsame Geschäftsstelle von Stadt und Landkreis, die es seit 2008 gibt. Laut KEA-Geschäftsführerin Gabriele Pfeff-Schmidt ist es vordringliche Aufgabe der Agentur, die Begeisterung für erneuerbare Energien in der Bevölkerung zu wecken und in allen Energiefragen beratende zur Seite zu stehen.
„Ein Partner scheint bei der Energiewende ausscheren zu wollen“, schmettert Wolfgang Degelmann von der Energievision Frankenwald zum Auftakt des Symposiums den 160 Teilnehmern in der Regnitz Arena entgegen. Der Energieriese E.ON mauere derzeit bei der Vergütung.
Gesetzeslücke schließen
Zwar sei er gesetzlich verpflichtet, die Einspeisevergütung zu zahlen, doch nicht monatlich. „Das muss E.ON nur einmal im Jahr tun. Doch mit der Vorfinanzierung wäre jeder Anlagenbetreiber überfordert“, so Degelmann. Er hofft, dass der Gesetzgeber diese Lücke im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) schließt. Sonst sehe es finster aus bei der Energiewende, wenn nach und nach Betreiber von Anlagen zur regenerativen Energieerzeugung Insolvenz anmelden müssten. Denn schließlich sei ein Schlüsselbaustein zur Finanzierung dieser Anlagen die monatlich fließende Vergütung für den eingespeisten EEG-Strom.
Degelmann verweist auf die Sichtbarkeit dieser Anlagen. „Wir sind gewohnt, dass Energie unterirdisch erzeugt wird – aus Öl, Gas und Uran.“ Das habe beim Konsumenten den Eindruck entstehen lassen, dass Energieerzeugung nichts mit Landschaft zu tun hat. Doch schon vor der Industrialisierung sei Energie oberirdisch erzeugt worden, mit Windmühlen, Wasserkraftanlagen und offenem Feuer. Wer bei Windkraft- oder Photovoltaikanlagen von Landschaftszerstörung spreche, der verkenne die Realität. Denn Degelmann verweist auf den Braunkohletagebau, der ganze Landstriche verwüste. „Wir im Frankenwald brauchen nur in die benachbarte Tschechische Republik schauen, wo bei Sokolov auf 30 Kilometern Länge 150 Meter tief in die Erde gegraben wird, um Kohle abzubauen.“
Degelmann appelliert an die anwesenden Bürgermeister, dass sie ihren Bürgern beibringen müssten, dass die Energiewende eine Chance für lokale Wertschöpfung und soziale Impulse ist: „Wir sind Teil der Energiewende.“ Nach seiner Ansicht kann der ländliche Raum zum Energieexporteur werden. Die bisherigen Nachteile durch reichlich Fläche könnten zu Vorteilen werden. Durch Energielieferungen in die Städte und Metropolregionen könnte das flache Land zum Gewinner avancieren. Degelmann verweist auch auf eine Studie, die sich auf eine Datenbasis von zehn Jahren stützt, wonach kein Zusammenhang zwischen Windkraftanlagen und Touristenschwund festzustellen sei.
Doch Windkraft müsse durch Bürgerakzeptanz etabliert werden. Die oberfränkische Stadt Naila (Landkreis Hof) sei hier ein Musterbeispiel. So wurden die 5500 Einwohner angeschrieben und über 60 Prozent hätten geantwortet. „Von diesen 60 Prozent sind 70 Prozent für Windkraftanlagen und über 70 Prozent für Photovoltaikanlagen. Da ist kein statistischer Fehler drin, sondern das ist die Meinung unserer Bevölkerung“, freut sich Degelmann. Er hat für die 139.000 Einwohner des Frankenwaldes (Landkreise Coburg, Hof und Kronach) einen jährlichen Finanzbedarf von 250 Millionen Euro allein für Strom, Wärme und individuelle Fortbewegung errechnet. „Da sind weder die Kommunen, noch die Industrie oder der Handel dabei.“ Den 750 Gigawattstunden Strombedarf und 1600 Gigawattstunden Wärmebedarf pro Jahr stünden im Frankenwald ein Erzeugungspotenzial von 2250 Gigawattstunden Strom und 1200 Gigawattstunden Wärme gegenüber. „In der Summe macht das eine Wertschöpfung jährliche von 576 Millionen Euro für die Kommunen im Frankenwald für die nächsten 20 Jahre aus“, kalkuliert Degelmann.
Er rät jedem Bürgermeister auf dem Weg zum Bioenergiedorf, mit Dorfversammlungen und Informationsfahrten zu bestehenden Anlagen der regenerativen Energieerzeugung, die Bevölkerung mitzunehmen. „Wir müssen jeden Tag für unsere dezentrale Energieversorgung werben. Die Gegenseite, also die Energiekonzerne tun das schließlich auch“, so Degelmann. Man müsse bei der Realisierung von Projekten am Ball bleiben. „Es darf keine sechs Wochen Funkstille geben, sonst sind die Menschen nicht mehr dabei“, warnt er. In den oberfränkischen Ortschaften Effelter, Nagel, Selbitz, Hirschfeld, Nordhalten, Neudorf und Mitwitz habe man bereits zufriedene Kunden. Sie alle sind Profiteure von Energieerzeugungsprojekten, an denen sie selbst beteiligt sind. „Jetzt in der Finanzkrise sucht doch jeder nach sicheren Geldanlagemöglichkeiten. Und da sind Anlagen zur erneuerbaren Energieerzeugung vor der Haustür ideal. Die kann ich jeden Tag anschauen“, erklärt Degelmann.
Diese Anlagen hätten starke regionalwirtschaftliche Effekte. Allerdings müssten einige Regeln beachtet werden. So sollte deutsche Anlagentechnik verwendet werden. Der Sitz der Betreibergesellschaft sollte in der Region sein. Mehrere Kommunen zu beteiligen, wäre auch von Vorteil. Ganz wichtig sei es, ein Betreibermodell zu wählen, an dem sich alle beteiligen können. Und last but not least sollten viele Grundstücksbesitzer an Pacht- und Entschädigungszahlungen beteiligt werden.
Nahwärmenetze aufbauen
Um all dies zu gewährleisten, können sich Kommunen auch professionelle Unterstützung holen. Das in der gleichnamigen oberfränkischen Stadt beheimatete Technologieunternehmen Rehau zum Beispiel hat inzwischen viel Erfahrung in Sachen Bioenergiedorf. Nicht nur im als Bioenergiedorf 2010 ausgezeichneten Effelter (Landkreis Kronach) habe das Unternehmen mitgearbeitet, betont Andreas Jenne, Rehau-Business Teamleiter Biomasse. „Wir haben auch in Spanien, in the middle of nowhere ein Bioenergiedorf mit Biomasseanlage und Nahwärmenetz aufgebaut.“ Er unterstreicht auch, dass die Energiewende eine neue Beziehung zwischen Stadt und Land bringen wird. „Hier wird eine Diskussion auf Augenhöhe stattfinden.“ Jenne hält die Biomasse für grundlastfähig. Sie produziert Strom und Wärme, Energieformen, die auch in den Städten gebraucht werden.
Arno Zengerle (CSU), der fast schon legendäre Bürgermeister der energieautarken Gemeinde Wildpoldsried aus dem Oberallgäu, rückte die pekuniären Aspekte der Energiewende in den Fokus. Seine Einwohner könnten, gemessen am derzeitigen Ölpreis, über die „Dorfheizung“ 5 Cent pro Kilowattstunde Wärme einsparen. Insgesamt sparte die energieautarke Gemeinde 2010 rund 220.000 Liter Heizöl ein. 6391 Megawattstunden betrage der Energieverbrauch in Wildpoldsried pro Jahr. Doch 20543 Megawattstunden Energie würden pro Jahr erzeugt. Das entspricht einem Selbstversorgungsgrad von 321 Prozent. „Wenn im Jahr 2013 noch zwei zusätzliche Windkraftanlagen installiert und am Netz sind wird dieser Wert auf 500 bis 600 Prozent steigen“, so Zengerle. Derzeit würden die verschiedenen Anlagen zur regenerativen Energieerzeugung der noch bis vor einigen Jahren steuerschwachen Gemeinde 4 Millionen Euro an zusätzlicher Wertschöpfung bringen.
Wildpoldsried investiert aber nicht nur in Erzeugungsanlagen. So unterstützt die Gemeinde auch eine Thermografieaktion. Mit 250 Euro zahlt die Gemeinde die Hälfte so einer Wärmebildaufnahme eines Gebäudes. „Wir haben auch ein Pumpentauschprojekt durchgeführt. Wer in seiner Heizanlage eine neue Pumpe für 200 Euro eingebaut hat, profitiert jetzt pro Jahr mit Einsparungen von 100 Euro pro Jahr. Damit hat sich die neue Pumpe bereits nach zwei Jahren amortisiert“, erläutert Zengerle. Jetzt plant er ein ökologisches Bildungszentrum für knapp 8 Millionen Euro. Dort sollen Gäste aus aller Welt sich in Sachen regenerativer Energien weiterbilden können. „Im Frühjahr 2012 kommt eine Delegation aus Nordkorea zu uns, um unser Konzept eines energieautarken Dorfes kennenzulernen.“
Von weit her werden auch die Gäste anreisen, die in diesem Jahr Effelter in Oberfranken besuchen wollen. „Wir erwarten eine Besuchergruppe aus Japan“, betont Marcus Appel, Geschäftsführer des Bioenergiedorfs. Das 275-Seelen-Ortschaft hat dank des Umbaus einer ehemaligen Maschinenhalle zum Biomasseheizwerk einen Selbstversorgungsgrad von 250 Prozent bei Strom und 90 Prozent bei Wärme. Für dieses Jahr stehen eine E-Tankstelle mit E-Bikes für Touristen, ein Hackschnitzellager und die Prüfung eines Windenergieprojekts auf der Agenda.
Damit derartige Projekte in möglichst vielen Gemeinden realisiert werden können, unterstützt das Amt für Ländliche Entwicklung Oberfranken die Akteure vor Ort. Amtsleiter Wolfgang Kießling präsentiert eine ganze Liste an Gemeinden, die in jüngster Zeit über Programme der Dorferneuerung Projekte zur erneuerbaren Energieerzeugung angegangen sind. So habe zum Beispiel die Ortschaft Nagel im Markt Küps (Landkreis Kronach) die Nägler Bioenergie GmbH gegründet. Sie versorgt über zwei Hackschnitzelöfen und ein rund 1,2 Kilometer umfassendes Nahwärmenetz 17 Häuser. „In Nagel sind die Menschen erfolgreich, weil sie zusammenhalten“, so Kießling. Er betont auch die große Bedeutung interkommunaler Zusammenarbeit bei der Energiewende. So hätten sich 18 Gemeinden in den Landkreisen Bayreuth und Forchheim in der Bioenergie-Region Bayreuth zusammengeschlossen. Sie wollen gemeinsam einen Kulissenplan Bioenergie erarbeiten und umsetzen.
Zusammenhalt entscheidet
Doch Kießling verweist auch auf Probleme. Nicht allenorts sei die Begeisterung und der Zusammenhalt so groß. So sei es beispielsweise der Hirschfeld eG nicht gelungen, zwei Großabnehmer ins Nahwärmenetz zu integrieren. „Ein Handwerker baut jetzt sein eigenes Hackschnitzelwerk.“ Dennoch würden die Einwohner von Hirschfeld, die mit zwei Hackschnitzelheizwerken 46 Häuser versorgen, jederzeit wieder in die Erzeugung regenerativer Energie einsteigen.
In der Diskussionsrunde des Symposiums „Energiekonzepte im ländlichen Raum“ wird deutlich, dass vor allem die Nachkriegsgeneration am meisten Probleme mit der Veränderung der Landschaft hat. „Junge Menschen und Senioren wissen, wie wichtig die Energiewende ist und sind bereit, die vermeintlichen Beeinträchtigungen durch Biomasse-, Photovoltaik- und Windkraftanlagen zu tragen“, so KEA-Geschäftsführerin Gabriele Pfeff-Schmidt. Doch gerade die Wohlstandsverwöhnten seien die Hardliner und würden sich sofort in Bürgerinitiativen gegen entsprechende Energieerzeugungsanlagen zusammenschließen, wenn in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft so ein Projekt geplant wird. Bei ihnen scheint das Verantwortungsbewusstsein für die kommenden Generationen extrem gering ausgebildet zu sein.
(Ralph Schweinfurth)

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