Wirtschaft

Erlangens Oberbürgermeister Siegfried Balleis (CSU) haut auf den Tisch: Ihm reicht es, dass immer behauptet wird, das Gewerbesteueraufkommen sei extrem volatil. (Foto: Schweinfurth)

09.07.2010

Wozu sich noch ins Zeug legen?

Erlangens Oberbürgermeister will die Gewerbesteuer erhalten, weil sonst niemand mehr für neue Gewerbegebiete kämpfen würde

Busse, Straßenbahnen, U-Bahnen, Bibliotheken, Schwimmbäder, Theater, Bürgertreffs – die Aufzählung kommunaler Einrichtungen für die Bürger einer Gemeinde oder einer Stadt ließe sich noch beliebig fortsetzen. Doch alle diese Serviceleistungen müssen finanziert werden. Hierfür sorgt bisher die Gewerbesteuer. Doch diese hat neuerdings einige Feinde. Wirtschaftsverbände und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wollen ihr den Garaus machen. „Wir setzen auf das Wort von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie sagte im Mai 2009 in Bochum, dass die Gewerbesteuer nicht angetastet wird“, sagt Erlangens Oberbürgermeister Siegfried Balleis (CSU), der zugleich Präsidiumsmitglied im Bayerischen und im Deutschen Städtetag ist, der Staatszeitung. Auch er bestätigt, dass es im politischen Berlin ein offenes Geheimnis sei, dass Schäuble als der Bundesfinanzminister in die Annalen der Bundesrepublik eingehen möchte, der eine Steuerart abgeschafft hat. „Doch das darf nicht zulasten der Kommunen gehen“, mahnt Balleis. „Das Band zwischen Wirtschaft und Kommune wird zerschnitten“ Er sieht schwarz für die deutsche Wirtschaft, wenn den Kommunen die Gewerbesteuer genommen und stattdessen zur teilweisen Kompensation ein Heberecht an der Einkommensteuer eingeräumt wird. „Das Band zwischen Wirtschaft und Kommune wird dadurch zerschnitten. Denn kein Bürgermeister wird sich die teilweise persönlichen Anfeindungen der Bevölkerung mehr antun, wenn es um die Ansiedlung von Betrieben oder die Ausweisung neuer Gewerbegebiete geht“, verdeutlicht der Erlanger Oberbürgermeister. „Wieso sollte sich ein Bürgermeister noch für die Wirtschaft ins Zeug legen, wenn dabei nichts für die jeweilige Stadt oder Gemeinde herumkommt?“, fragt Balleis. Als Folge des rückläufigen Engagements der Kommunen für die Wirtschaft warnt er vor massiver Abwanderung von Unternehmen ins wirtschaftsfreundlichere Ausland.
„Wir zahlen lieber hier Gewerbesteuer, als dass wir irgendeine Steuer bezahlen, die dann zu einem Denkmalsneubau in Berlin führt“, sagt Richard Heindl, Vorstandsvorsitzender der Heitec AG aus Erlangen, der Staatszeitung. Der Chef des großen mittelständischen Systemhauses für Automatisierung und Informationstechnologie mit über 700 Mitarbeitern und einem Umsatz von rund 50 Millionen Euro im vergangenen Jahr setzt auf eine gute kommunale Infrastruktur, denn diese sei Voraussetzung, um qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu halten. Durch das Umfeld in Erlangen mit den Unternehmen Siemens und Areva könne Heitec gute Geschäfte machen. Deshalb seien die so genannten weichen Standortfaktoren besonders wichtig. Doch diese könnten seitens einer Stadtverwaltung nur betrieben werden, wenn diese auch entsprechende finanzielle Mittel habe. Darum hat Heindl mit der Gewerbesteuer kein Problem.
Ähnlich sieht das Stefan Schulz, einer der beiden Geschäftsführer von Mauss Bau aus Erlangen. Auch ihm ist es lieber, wenn die Steuern des Bauunternehmens in der Region investiert werden, als dass sie die Bundesregierung in „irgendein Autobahnprojekt in Schleswig-Holstein“ steckt.
Aus Wirtschaftskreisen kommt sogar ein Verbesserungsvorschlag für die aktuell geltenden Regeln der Gewerbesteuer. So sollen Gemeinden, auf deren Gebiet große Freiflächensolaranlagen stehen und die Landschaft verschandeln an den Einnahmen durch diese Anlagen beteiligt werden. Dazu müsste nicht – wie derzeit Usus – nur die Lohnsumme nach den einzelnen Standorten eines Unternehmens zerlegt werden, sondern auch die Einnahmen. Interessierte Kreise verbreiten die Mär
von der Volatilität
Auch die von interessierten Kreisen verbreitete Mär von der Volatilität der Gewerbesteuer ist Balleis zufolge bei näherer Betrachtung der Fakten nicht zu halten. So hat der Finanzsenat des Landes Berlin ausgerechnet, dass das bundesweite Gewerbesteueraufkommen im Zeitraum von 1995 bis 2008 um jährlich 4,7 Prozent gewachsen ist, von 21,6 Milliarden Euro im Jahr 1995 auf 41 Milliarden Euro im Jahr 2008. Allein im Freistaat Bayern wuchs das Gewerbesteueraufkommen von 870 Millionen Euro im Jahr 1970 auf 6,98 Milliarden Euro im Jahr 2008. „Die konjunkturellen Schwankungen sind wesentlich geringer, als in der Öffentlichkeit kolportiert“, erklärt der Erlanger Oberbürgermeister. Und wenn eine Kommune durch eine wirtschaftliche Schwächephase in die Bredouille komme, müsse sie sich zuerst an die eigene Nase fassen. „Denn in guten Zeiten müssen eben auch Rücklagen für schlechte Zeiten gebildet werden“, so Balleis. Darüber hinaus müsse eine Gemeinde oder eine Stadt auch auf einen gesunden Branchenmix achten. Sonst komme es zu einseitigen Abhängigkeiten. Balleis verweist noch auf eine andere Folge, wenn die Gewerbesteuer abgeschafft werden sollte. Die steuerliche Belastung der Bürger würde deutlich steigen: „Das Wahlversprechen mehr Netto vom Brutto wäre dann gebrochen.“ Denn als Ausgleich für die fehlenden Einnahmen aus der Gewerbesteuer bekämen die Kommunen ein Heberecht an der Einkommensteuer. Dann käme es zu Verwerfungen im Stadt-Umland-Verhältnis. Denn die so genannten Schlafgemeinden könnten mit niedrigeren Steuersätzen locken, weil sie die gesamte kommunale Infrastruktur einer Stadt nicht unterhalten müssen, erklärt der Erlanger Oberbürgermeister. „Allein bei uns belasten täglich 50.000 Pendler die Straßen der Stadt.“
Sollte in Berlin nicht die Einsicht reifen, dass die Gewerbesteuer überlebensnotwendig ist für die Kommunen, sei nicht auszuschließen, dass die Bürgermeister für ihre Bürger „auf die Straße gehen“. Dass die Kommunen als Basis der Demokratie in Deutschland keine Fürsprecher in der Regierungskoalition haben, liegt laut Balleis an einem Repräsentanzdefizit. So seien im Gegensatz zur CSU im Bundesvorstand von CDU und FDP die Kommunalpolitiker „extrem dünn gesät“. Auf diese Weise könne die Regierungskoalition leicht gegen die Interessen von Städten und Gemeinden agieren. (Ralph Schweinfurth)

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