Wirtschaft

Das BMW-Werk im Dingolfing ist nur ein Beleg für die boomende Wirtschaft in Niederbayern. (Foto: dpa)

23.06.2017

„Wunden der Vergangenheit sind noch nicht verheilt“

Regierungspräsident Rainer Haselbeck sieht im Dreiländereck große Herausforderungen für Niederbayern

Die ersten sechs Monate seiner Amtszeit in Landshut sind vorbei und Niederbayerns Regierungspräsident Rainer Haselbeck geht bereits voller Engagement den Pflichten in seinem florierenden Heimatbezirk nach. Der in Vilsbiburg geborene Jurist war 13 Jahre lang einer der engsten Mitarbeiter von Edmund Stoiber und ist jetzt mit 47 Jahren der jüngste Regierungspräsident Bayerns. Kann er sich nun in seinem Traumjob auf einer „gmahten Wiesn“ ausruhen? Er sagt „Nein!“ und weist auf neue Aufgaben hin. Im Dreiländereck Niederbayerns mit Oberösterreich und Südböhmen sieht er noch weitere Entwicklungschancen.

Europas geringste Erwerbslosenquote


„Niederbayern steht derzeit wirtschaftlich so gut da wie noch nie in seiner Geschichte!“ schwärmt Rainer Haselbeck: „Erst kürzlich hat die EU-Kommission mitgeteilt: Die Region mit der geringsten Erwerbslosenquote in ganz Europa ist Niederbayern. Wir sind darin sozusagen Europameister! Das ist eine großartige Ausgangsposition.“ In den ersten, sehr arbeitsintensiven Monaten war er viel unterwegs, um Land und Leute noch besser kennenzulernen. Haselbeck: „Jede Begegnung mit Politikern, Unternehmern, Verbandsvertretern oder Bürgern bringt einen weiter. Unglaublich, wie viele sich mit Herzblut für unsere niederbayerische Heimat einsetzen!“

In seinem großen, kühlen Büro hinter den Mauern eines ehemaligen Landshuter Dominikaner-Klosters wirkt der schlanke und relativ junge „Neue“ in der Regierung von Niederbayern eher voll ungebremstem Tatendrang als in „präsidialer Würde“. Er hat ja auch deutlich mehr Ziele als nur den bisherigen Erfolg der sogenannten „Aufstiegsregion Niederbayern“ zu verwalten. Dabei richtet er seinen Blick auch auf die Grenzregionen: „Die dort errichteten Hochschulen und Technologie Campi haben auch für die ‚Aufholregion Bayerischer Wald’ den Durchbruch gebracht. Diese Erfolgsgeschichte geht jetzt weiter mit neuen Außenstellen von Hochschulen. Es gibt aber noch genug Herausforderungen für die Zukunft.“

Infrastruktur ausbauen


Das reicht vom weiteren Ausbau der Autobahnen und Bahnverbindungen über den zunehmenden Fachkräftemangel für eine boomende Wirtschaft bis zur Integration anerkannter Asylbewerber in den Arbeitsmarkt. Niederbayern war bundesweit Vorbild für die Erstaufnahme von Flüchtlingen. Jetzt ist aber dringend Wohnungsbau erforderlich – nicht nur für Migranten mit längerem Bleiberecht, sondern auch für viele Einheimische. „Preisgünstige Wohnungen fehlen nicht nur in Groß-städten“, sagt Haselbeck: „Auch in Städten und Gemeinden Niederbayerns suchen einkommensschwache Haushalte moderne, aber bezahlbare Mietwohnungen. Wir wollen daher den Bau solcher Wohnungen in den Kommunen flott vorantreiben.“

Deshalb wirbt der Regierungspräsident dafür, das speziell auf den örtlichen Bedarf zugeschnittene „Kommunale Wohnraumförderprogramm“ aus dem „Wohnungspakt Bayern“ mehr zu nutzen: „Wo es möglich ist, versuchen wir dabei auch Leerstand in den Ortsmitten zu beseitigen.“ Die ersten damit geförderten Projekte sind bereits fertig. Die kommunalen Antragsteller können für Bau, Umbau oder Modernisierung von Wohnungen einen Zuschuss in Höhe von 30 Prozent erhalten. Haselbeck: „In Niederbayern stehen dafür heuer fünf Millionen Euro zur Verfügung und weitere zehn Millionen für zinsgünstige Darlehen. Da eröffnet sich für Kommunen die Chance, nicht nur bezahlbaren Mietwohnraum zu schaffen, sondern mit hoher staatlicher Unterstützung auch dauerhafte Vermögenswerte zu generieren.“

Aus vielerlei Gründen hinkt Niederbayern bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit dem Nachbarbezirk Südböhmen im Vergleich mit der Oberpfalz und Westböhmen noch weit nach: das betrifft vor allem die Verkehrsinfrastruktur und die beiderseitige Förderung der Nachbarsprache in Schulen. Auf den Vorhalt, Niederbayern würde nachhinken, wird der sonst sehr freundliche Regierungspräsident allerdings streitbar und verweist auf viele Kleinpro-jekte, die ohne die Staatsregierungen von den Grenzbezirken selbst gestemmt werden können: „Das sehe ich anders. Denn von den 60 in der neuen Förderperiode der EU beschlossenen grenzüberschreitenden Projekten laufen allein 28 mit niederbayerischen Partnern. In konkreten Zahlen bedeutet das: Mit knapp 14,3 Millionen Euro der EU-Mittel können wir unsere Ideen gemeinsam voranbringen.“

Den Metropolregionen Paroli bieten


Allerdings ist für viele nationale Projekte oder fehlende Regierungsabkommen, vor allem bei Fragen der grenzüberschreitenden Infrastruktur, die Regierung in Landshut nicht zuständig: auch die in München nur zum Teil, so für ein fehlendes Schulabkommen speziell für Grenzlandkreise. In Berlin und München kümmern sich die Regierungen nach dem Eindruck vieler Kommunalpolitiker im Bayerwald mehr um ein gutes Verhältnis zur Regierung in Prag als um die weithin gleichen Nachbarschaftsprobleme auf beiden Seiten entlang ihrer Grenzen. Auch bayerische und tschechische Medien berichten gern über Staatsbesuche in Prag und München mit Beteuerungen guter Nachbarschaft, fragen aber nicht nach fehlenden Abkommen zum kleinen Grenzverkehr für die Wirtschaft, die Pendler und den Tourismus. Das bereitet nämlich nicht den Hauptstädtern Probleme, sondern den realen Nachbarn an der Grenze.
Niederbayern und Oberpfalz und die angrenzenden tschechischen Grenzbezirke wollen mit Ober- und Niederösterreich in der Europaregion Donau-Moldau (EDM) gemeinsam den Metropolregionen Paroli bieten, die Wettbewerbsfähigkeit des ländlichen Raumes stärken, sowie die Lebens- und Arbeitsbedingungen von über sechs Millionen Menschen verbessern, die in dieser Drei-Länder-Region leben.

Der Regierungspräsident hat insbesondere die speziellen Möglichkeiten dieser Drei-Länder-Region im Blick. Vor Kurzem habe er in Freiburg erstmals an einer Bundestagung der deutschen Regie-rungspräsidenten teilgenommen, erzählt Haselbeck: „Da wurde mir an konkreten Beispielen klar, welche Vorteile drei Nachbarländer dort haben, die auch unsere Grenzlandkreise haben könnten. Niederbayern ist der einzige Regierungsbezirk, der gemeinsame Grenzen zu einem österreichischen und zwei tschechischen Bezirken hat: Süd- und Westböhmen. Um die Chancen noch besser zu nutzen, müssen wir in unserer Europaregion gemeinsam dicke Bretter bohren.“ Er wirbt um Geduld und langen Atem: „Man muss dabei sehen, dass die schwierige Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte und die Jahrzehnte des Eisernen Vorhangs bei den Menschen tiefe Spuren hinterlassen haben. Manche Wunden aus der Vergangenheit sind eben noch nicht ganz verheilt.“

Gemeinsamer Strukturraum bietet Chancen


Mit dem noch jüngeren Be-zirkstagspräsidenten Olaf Heinrich (CSU), der in diesem Jahr den EDM-Vorsitz von der Oberpfalz übernommen hat, versteht sich Haselbeck sehr gut: „Der hat das zu seiner Sache gemacht und schiebt jetzt kräftig an. Insgesamt muss auf beiden Seiten der Grenze noch mehr in die Köpfe, welche Chancen der gemeinsame Struktur- und Kulturraum im Herzen Europas für die Menschen bietet. Wir ziehen da völlig an einem Strang.“

Vor den Chancen über die Grenze hinweg stehen noch Barrieren, auf die aus der Region immer wieder hingewiesen wird: Neben der bereits erwähnten mangelhaften Verkehrsinfrastruktur und zu wenig Grenzübergängen, fehlt beiderseits die Sprachkompetenz, und die Interessen des Bezirks Südböhmen waren bisher mehr nach Linz als in Richtung Niederbayern orientiert. Auch die Chancen im Tourismus beiderseits der schönen naturnahen Grenzberge rund um Böhmer- und Bayerwald wären noch gut ausbaufähig.

Bezirksheitmann Zimola aus Budweis ist erst kürzlich zurückgetreten und hat daher bei der EDM-Konferenz im Mai in Passau gefehlt. Haselbeck: „Wir sind natürlich abhängig von der jeweiligen politischen Situation im Nachbarland.“ Da geht es ihm wie Bayerns Staatsregierung mit den häufig wechselnden Regierungen in Tschechien. Südböhmen hat inzwischen eine neue „Bezirksheitfrau“, die bereits ihr Interesse an guter Zusammenarbeit nach Landshut signalisiert hat.

Chance der Zusammenarbeit entdeckt


Nach seinen ersten Erfahrungen in diesem Amt meint Haselbeck: „Gerade die jüngeren Politiker der Region auf beiden Seiten haben die Chancen der Zusammenarbeit für ländliche Räume erkannt und wollen verbliebene Barrieren überwinden. Da bin ich optimistisch. Die EDM hat zum Beispiel erst kürzlich eine neue Sprachoffensive beschlossen für ein Wahlpflichtfach jeweils mit Deutsch bzw. Tschechisch.“
Die Sprachoffensive unter EDM-Vorsitz Niederbayerns ist ja nicht die erste und kommt auch 27 Jahre nach der Grenzöffnung nicht mehr zu früh. Mehr Sprachkompetenz vom Kindergarten über alle Schularten beiderseits des Grenzgebietes wird von den Wirtschaftskammern seit Jahrzehnten ebenso konstant gefordert wie mehr Zusammenarbeit bei Berufsausbildung und Berufsanerkennung. Erst kürzlich wurden bei einem gemeinsamen Unternehmertag des „Niederbayern Forums“ in Bayerisch Eisenstein mit mehr als 150 Firmenvertretern wieder die Mängel bei der Sprachförderung beklagt. Darum hat das Präsidium der EDM, an deren Sitzungen der Regierungspräsident als Gast teilnimmt, seine tschechisch-deutsche Sprachoffensive zunächst mit Maßnahmen eingeleitet, die in den Bezirken der drei Länder selbst angeschoben werden können.

Dazu gehören etwa Stipendien von jeweils 1000 Euro für 14 Studierende aus der EDM für ein Semester Aufenthalt an einer öffentlich-rechtlichen Hochschule im Nachbarland, um Sprachkenntnisse zu vertiefen und generell das Interesse am Nachbarland zu fördern. Den Lehramtsstudenten in Tschechisch bzw. Deutsch soll ein zweiwöchiger Assistenzunterricht in einer Gastschule des Nachbarlandes angeboten werden, um ihre Kenntnisse in Didaktik und Methodik in der Fremdsprache praktisch umzusetzen; für diese Hospitanten werden jeweils 700 Euro als Stipendien vergeben. Ein Wahlpflichtfach an den Schulen können nur Politiker in der EDM bei ihren zentralistischen Ministern fordern, der Regierungspräsident kann nur Anregungen weitergeben: „Das könnte über die Sprachgrenze hinweg mittelfristig auch den Fachkräftemangel lindern.“

Spezifische Ansätze für jede Region


An Herausforderungen fehlt es dem neuen Regierungspräsidenten auf keinem Gebiet. „Aber eines muss uns quer durch alle Themenfelder klar sein“, sagt Haselbeck: „Wenn es bei uns in Niederbayern so gut bleiben soll, wie es ist, dann müssen wir weiter etwas dafür tun. Das Wohlfühlen heute sichert nicht den Wohlstand von morgen.“ Er verweist auf Niederbayerns recht unterschiedliche Regionen: „Die Zuzugsregion rund um Landshut hat natürlich andere Probleme wie die Städte im Donauraum oder der Bayerische Wald, der sich gegen den Wegzug seiner jungen Leute stemmt. Darum müssen wir in jeder Region sehr genau hinschauen und überall spezifische Ansätze entwickeln. Die Menschen müssen jedenfalls feststellen: Bei uns tut sich was!“
(Hannes Burger)

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