Ausschreibung und Vergabe

Um eine Bauvergabe entzündete sich Streit. (Foto: dpa)

09.09.2018

Wer Unterlagen anfordert, muss Zeit einräumen

Vergabekammer Südbayern musste entscheiden, ob eine Frist von sechs Tagen ausreicht

In einer Entscheidung vor der Vergabekammer Südbayern ging es unter anderem um die Frage, ob für das Anfordern vorbehaltener Unterlagen eine Frist von 6 Tagen genügt. Weiter bezog die Kammer dazu Stellung, unter welchen Umständen ein Vergabeverfahren aus „anderen schwerwiegenden Gründen“ aufgehoben werden darf, wenn die im Vergabeverfahren abgegebenen Angebote deutlich über der vor Ausschreibung vorgenommenen Kostenschätzung der Vergabestelle liegen.

Im zugrunde liegenden Sachverhalt schrieb der Auftraggeber in der Aufforderung zur Angebotsabgabe (Formblatt 211) für einen Bauauftrag unter anderem vor, dass das Formblatt 235 „Verzeichnis der Leistungen/Kapazitäten anderer Unternehmen“ mit dem Angebot einzureichen ist. Nachdem die Antragstellerin ihr Angebot abgegeben hatte, forderte der Auftraggeber von ihr binnen sechs Tagen unter anderem die Aufgliederung der Einheitspreise (Formblatt 223), die Benennung vorgesehener Unterauftragnehmer sowie Verpflichtungserklärungen anderer Unternehmen (Formblatt 236). Die Anforderung dieser Unterlagen hatte er sich bereits in der Aufforderung zur Angebotsabgabe vorbehalten. Der Auftraggeber schloss das Angebot auch deswegen aus, weil die Antragstellerin nicht innerhalb der von ihm gesetzten Frist von sechs Tagen eine vollständige Aufgliederung der Einheitspreise vorgelegt habe und hob in der anschließend das Verfahren gemäß § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A auf, weil die Ausschreibung zu keinem wirtschaftlich akzeptablen Ergebnis geführt habe.

Unzureichend ausgefüllt


Nach Ansicht der Vergabekammer war der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin rechtswidrig. Insbesondere habe es nicht gemäß § 16 EU Nr. 4 VOB/A wegen des zwar fristgerecht übermittelten aber unzureichend ausgefüllten Formblatts 223 „Aufgliederung der Einheitspreise“ ausgeschlossen werden dürfen.

Nach § 16 EU Nr. 4 VOB/A seien Angebote auszuschließen, bei denen der Bieter Erklärungen oder Nachweise, deren Vorlage sich der öffentliche Auftraggeber vorbehalten habe, auf Anforderung nicht innerhalb einer angemessenen, nach dem Kalender bestimmten Frist vorgelegt habe.
In der Aufforderung zur Angebotsabgabe habe sich der Auftraggeber vorbehalten, das Formblatt 223 „Aufgliederung der Einheitspreise“ auf gesondertes Verlangen ausgefüllt einreichen zu lassen und habe dieses nach Angebotsabgabe unter Fristsetzung binnen sechs Tagen bei der Antragstellerin angefordert.

Das rechtzeitig vorgelegte Formblatt 223 sei zwar – so die Vergabekammer – unzureichend ausgefüllt worden. Die Antragstellerin habe darin bezüglich der Nachunternehmerleistungen die Kosten bei der jeweiligen Position in die Spalte „Sonstige“ eingetragen, ohne die geforderte Aufgliederung der Nachunternehmerleistungen in Zeitansatz, in Stunden, Löhne, Stoffe, Geräte und Sonstiges vorzunehmen. Dies entspreche nicht den Vorgaben zur Ausfüllung des Formblatts, nach denen bei allen Teilleistungen die Einheitspreise auch hinsichtlich dieser Detailangaben anzugeben seien, unabhängig davon, ob sie der Auftragnehmer oder ein Nachunternehmer erbringe.

Nach Auffassung der Vergabekammer ist allerdings bereits die 6-Tage-Frist nicht angemessen i.S.d. § 16 EU Nr. 4 VOB/A. Wie § 15 EU Abs. 2 VOB/A zur Aufklärung sehe § 16 EU Abs. 1 Nr. 4 VOB/A vor, dass dem Bieter zur Beibringung von vorbehaltenen Erklärungen und Nachweisen (Unterlagen) eine angemessene Frist gesetzt wird. Ebenso wie bei § 15 EU Abs. 2 VOB/A genüge für das Anfordern von vorbehaltenen Unterlagen gemäß § 16 EU Abs. 1 Nr. 4 eine Frist von sechs Tagen in Anlehnung an § 16a EU Satz 2 VOB/A in der Regel nicht. § 16a EU Satz 2 VOB/A beziehe sich auf bereits in den Vergabeunterlagen geforderte Unterlagen, die dem Angebot schon bei der Abgabe beizufügen gewesen seien. Folglich müsse ein Bieter über diese Unterlagen bereits bei Angebotsabgabe verfügen. Demgegenüber könne ein Bieter bei darüber hinausgehenden Unterlagen i.S.d. § 16 EU Abs. 1 Nr. 4 VOB/A abwarten, ob er überhaupt zu deren Vorlage aufgefordert werde, was in der Regel vom Rangplatz des Angebots abhänge. Erst dann müsse er solche Unterlagen „besorgen“ und vorlegen. Sechs Tage genügten dann nicht, wenn solche Unterlagen gegebenenfalls noch beschafft werden müssten.

Kalkulation offenlegen


Die angemessene Frist müsse eine Vergabestelle immer anhand der einzelfallbezogenen Umstände ermitteln. Dies sei vorliegend unterblieben. Der Auftraggeber sei vielmehr – in Anlehnung an § 16a EU Satz 2 VOB/A – von einer zwingenden Frist von sechs Kalendertagen ausgegangen. Er habe auch nicht berücksichtigt, dass die Antragstellerin vorliegend knapp zehn Firmen hat auffordern müssen, ihrerseits ihre Kalkulation offenzulegen. Für die Nachunternehmer seien dabei weniger als sechs Tage geblieben, weil innerhalb der gesetzten Frist auch noch die Antragstellerin habe tätig werden müssen (Herantreten an die Nachunternehmer, Verarbeiten der von den Nachunternehmern gelieferten Ergebnisse). Der Auftraggeber habe zudem eine Aufgliederung aller Einheitspreise gefordert, konkret von 960 Positionen, was erheblichen Aufwand bei der Antragstellerin verursache.

In der vorliegenden atypischen Konstellation sei die nicht angemessene Fristsetzung auch zu berücksichtigen, obwohl die Antragstellerin diese nicht fristgemäß gerügt habe. Es bestehe keine Rügeverpflichtung nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB, da das für den Auftraggeber handelnde Büro von sich aus während der noch laufenden Rügefrist die Frist zur vollständigen Abgabe des Formblattes 223 verlängert habe.

Hinzu komme, dass vorliegend sehr zweifelhaft sei, ob wegen des eingereichten, zunächst unzureichend ausgefüllten Formblatts 223 überhaupt ein Ausschluss hätte erfolgen dürfen, da der Auftraggeber im vorliegenden Fall keine Preisprüfung vorgenommen und das Formblatt beim weiteren Vorgehen überhaupt keine Rolle gespielt habe.

Eintragungen im Formblatt 223 seien keine Preisangaben i.S.d. § 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, sodass § 16 EU Nr. 3 VOB/A nicht einschlägig sei. Sie würden nicht Vertragsbestandteil, weil im Vertrag nur die (Einheits-)Preise, nicht aber deren einzelne Elemente oder die Art ihres Zustandekommens vereinbart würden. Die Angaben in den Formblättern seien vielmehr ein Instrument zur Preisprüfung nach § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A. Sie verfolgten somit ausschließlich den Zweck, dem Auftraggeber zu ermöglichen, auffällig erscheinende Angebotspreise einer ersten Angemessenheitsprüfung zu unterziehen und gegebenenfalls gezielt aufzuklären. Das Formblatt 223 werde daher mit Abschluss der Angebotswertung bedeutungslos. Jedenfalls dann, wenn wie hier die Preisblätter nicht bereits (vorsorglich) mit dem Angebot vorzulegen seien, dürfe der Auftraggeber diese nicht allein deshalb anfordern, weil er sich dies vorbehalten habe oder dies in einem Vergabehandbuch oder einer Dienstanweisung vorgesehen sei. Vielmehr benötige er dafür einen Grund i.S.d. § 16d EU Abs. 1 VOB/A bzw. zumindest einen Aufklärungsbedarf, der hier zweifelhaft sei.

Das Angebot der Antragstellerin habe knapp 20 Prozent über der Kostenermittlung des Auftraggebers gelegen und sei vom Auftraggeber weder als unangemessen hoch noch als ungewöhnlich niedrig angesehen worden. Die Angebotsaufklärung nach § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A betreffe jedoch nur ungewöhnlich niedrige Angebote. Ob ein vergleichbares Aufklärungsinteresse auf Rechtsgrundlage des § 15 EU Abs. 1 VOB/A bestehe, wenn ein ungewöhnlich hohes Angebot vorliege, könne offen bleiben, da vorliegend gar keine Preisprüfung stattgefunden habe. Da das Formblatt 223 vorliegend somit nicht für eine Preisprüfung erforderlich gewesen sei, könne der Angebotsausschluss auch nicht mit dem anfänglich unzureichend ausgefüllten Formblatt begründet werden.

Das Angebot der Antragstellerin sei auch nicht – jedenfalls nicht ohne vorherige Aufklärung – wegen der Eintragungen im Formblatt 235 „Verzeichnis der Leistungen/Kapazitäten anderer Unternehmen“ auszuschließen.

Ein Ausschluss nach § 16 EU Nr. 4 VOB/A scheide bereits aus, da die Formblätter 235 und 236 rechtzeitig ausgefüllt vorgelegt worden seien und lediglich inhaltliche Unklarheiten aufgewiesen hätten. Angebote mit inhaltlichen Unklarheiten seien zunächst als Willenserklärungen gem. § 133, 157 BGB auszulegen und – falls die Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis führe – aufzuklären. Die Antragstellerin habe vorliegend den Hintergrund der unklaren Angaben nachvollziehbar erläutert.
Da zu jeder Position auch von einem der benannten Unternehmen eine Verpflichtungserklärung abgegeben wurde, fehlten auch keine Unterlagen. Darüber hinaus war die Aufhebungsentscheidung nach Ansicht der Vergabekammer nicht von den Aufhebungsgründen der VOB/A EU gedeckt. Die Aufhebung der Ausschreibung nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A stelle sich schon deshalb als rechtswidrig dar, weil der Auftraggeber fälschlicherweise davon ausgegangen sei, dass er das Angebot der Antragstellerin habe ausschließen müssen.

Schwerwiegende Gründe


Nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A könne ein Vergabeverfahren zwar auch aus „anderen schwerwiegenden Gründen“ aufgehoben werden, zum Beispiel wenn die vor der Ausschreibung vorgenommene Kostenschätzung der Vergabestelle aufgrund der bei ihrer Aufstellung vorliegenden und erkennbaren Daten als vertretbar erscheine und die im Vergabeverfahren abgegebenen Gebote deutlich darüber lägen. Dazu sei eine alle Umstände des Einzelfalls einbeziehende Interessenabwägung vorzunehmen. Für die Schätzung müsse die Vergabestelle Methoden wählen, die ein wirklichkeitsnahes Schätzungsergebnis ernsthaft erwarten lassen.

Die Vergabekammer weist darauf hin, dass die Gegenstände der Schätzung und der ausgeschriebenen Maßnahme deckungsgleich sein müssen. Maßgeblich dafür seien im Ausgangspunkt die Positionen des Leistungsverzeichnisses, das der konkret durchgeführten Ausschreibung zugrunde liege. Das Ergebnis der Schätzung sei verwertbar, soweit diese mit dem Leistungsverzeichnis übereinstimme.

Es sei gegebenenfalls anzupassen, soweit die der Schätzung zugrunde gelegten Preise oder Preisbemessungsfaktoren im Zeitpunkt der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens nicht mehr aktuell gewesen seien und sich nicht unerheblich verändert hätten. Nach Ansicht der Vergabekammer spreche viel dafür, dass die Kostenermittlung nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei.
(FV)

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