Bauen

Die Kirche San Giovanni Battista mit dem runden, schräg gestellten Glasdach im Bergdorf Mogno. (Foto: Ursula Wiegand)

12.07.2019

Architektur ist rational

Die Bauten von Stararchitekt Mario Botta prägen das Tessin

Mehr als 100 Gebäude aller Art hat der 76-jährige Mario Botta in seinen 51 Berufsjahren als freier Architekt ent- worfen. Die meisten wurden in der Schweiz und Italien realisiert, einige in Deutschland, andere in den USA, Japan, China, Indien und Südkorea. Die wichtigsten „Trendsetter“ stehen jedoch im heimatlichen Tessin. 

Im Dorf Genestrerio wurde Mario Botta am 1. April 1943 geboren. In der Nähe, im Städtchen Mendrisio, wohnt der Stararchitekt mit seiner Familie heute. Vor rund sechs Jahren hat er auch sein Büro nach Mendrisio verlegt, in das von ihm konzipierte Gebäude-Ensemble Fuoriporta. Vorgesehen war der Umzug schon länger, „doch die Aufträge der Kunden hatten immer Vorrang“, erzählt er. „Schließlich hat mich meine Frau motiviert, mein eigenes Büro zu planen“, erklärt er. Zu seinen Mitarbeitern gehören auch seine drei Kinder, die ebenfalls Architektur studiert haben.

In der rechten Hand hält Botta, der in seiner Jugend eine Lehre als Hochbauzeichner absolviert und dann in Venedig Architektur studiert hat, einen roten Bleistift. Er zeichnet sogar beim Interview, beantwortet die Fragen jedoch voll konzentriert. Lächelnd spricht er vom „pace de labore“, vom Frieden beim Arbeiten. Er zeichne gerade einen Vorgarten für das Büro, erklärt er. Hinter ihm an der Wand hängen die Entwürfe für ein Stadion, das sich der Eishockey-Club Ambri-Piotta nach seinen Plänen errichten lässt. Weitere Aufträge kommen aus der Ferne. Mit 76 ist bei Botta noch nicht Schluss.

Beim Gang durch den Bürotrakt zieht er plötzlich einige Zettel mit Skizzen aus der Hemdtasche. Welcher ist sein eigener Arbeitsplatz, um das Angedeutete zu Papier zu bringen? „Ich habe 24 Arbeitsplätze“, lacht Botta. Er gehe immer von Platz zu Platz, um zu überprüfen, ob die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seine Ideen richtig umsetzen.

Schon seit 1998 freuen sich Mendrisios’ Einwohner über Bottas Piazzale alla Valle, ihr Einkaufszentrum und Treffpunkt, erbaut aus rotem Backstein. Der war jahrelang sein Markenzeichen, ebenso Naturstein und Beton. Botta, der generell streng geometrisch arbeitet, hat diese Piazzale jedoch durch eine schwungvolle Treppe und runde Säulen aufgelockert.

Ganz rund ist nun Bottas neues Teatro dell’architettura, das Architektur, bildende Kunst, Tanz und Performance zusammenführt. Im Erdgeschoss lief bis 7. Juli die zweite Ausstellung. Im Untergeschoss gibt es ein Auditorium und Arbeitsräume für Studenten. 750 Studierende aus 40 Ländern nutzen die Chance, von Botta – 1996 Mitbegründer der Akademie für Architektur – und weiteren hochkarätigen Professoren ausgebildet zu werden.

Nicht immer ist Botta vor Ort, muss er sich doch auch um seine neuen Projekte kümmern. Dazu gehören der Campus für eine Universität in China und eine Kathedrale in Südkoreas Hauptstadt Seoul. Die Baufortschritte verfolgt er stets genau. „Es ist schön, einen Bau wachsen zu sehen. Das bringt besondere Emotionen“, sagt er. Doch wie entwickelt er seine Ideen? „Der Anfang ist stets ein Abenteuer, denn der enthält potenziell schon alles“, formuliert Botta. Das hat er von Le Corbusier gelernt. Beim Blick auf den Standort und sein Umfeld wüsste er sofort, welcher Bau dorthin passt. „Mein Bleistift ist auch parat für ein Projekt in Deutschland“, fügt er schmunzelnd an.

Essen in der Steinblume

Diesbezüglich hat die Bundesrepublik Nachholbedarf. Immerhin hat sich die Firma Benkert in Königsberg/Bayern nach Bottas Plänen 1997/1998 zwei schicke Büro- und Fabrikationsgebäude errichten lassen. Dortmund ist stolz auf die von ihm 1999 konzipierte Stadt- und Landesbibliothek. Schon seit 1983 ist Botta Ehrenmitglied des Bundes Deutscher Architekten.

In und um Mendrisio genießt Botta die recht sanft geformte Landschaft, nimmt aber nicht die Natur zum Vorbild. „Natur ist organisch, Architektur ist rational“, stellt er klar. Seine Entwürfe seien eher vom Licht und der Geschichte des Orts geprägt, sie stünden für Dialog und Konfrontation mit der Natur. Das beweist Bottas „Steinblume“ (Fiore di pietra), ein im April 2017 eröffnetes Bergrestaurant mit inkludiertem Kongresszentrum auf dem 1700 Meter hohen Monte Generoso. Als Junge ist Botta in Sommernächten mit Freunden oft hinaufgestiegen, in 40 Minuten macht das nun die Zahnradbahn.

Trotz der Hülle aus grauem Granit, belebt durch raue und polierte Streifen, scheint die „Steinblume“ eher den Dialog mit der Natur zu pflegen. Die kantigen konkaven Türme lassen den Bau wie eine sich öffnende Blüte wirken. Und wie intensiv nehmen die Fenster das Blau des Himmels auf.

Am liebsten, und das schon seit mehr als 30 Jahren, plant Botta „sakrale Räume“, also nicht nur Kirchen. Auch die Cymbalista Synagoge in Tel Aviv und eine Moschee in Yinchuan, VR China, hat er entworfen. „In solche Bauten kommen die Menschen zum Beten und Singen, wollen in ihnen auch Stille und Zuflucht finden“, betont er. Genau das ist Botta 1996 mit der Kapelle „Santa Maria degli Angeli“ auf dem Berg Tamaro exemplarisch gelungen.

Das Leben ist ein Risiko, vermittelt diese außergewöhnliche Kirche. Deutlich neigt sich der Grashang, auf dem der rotbraune Porphyrbau steht. Wer oben auf der Rampe zum Kreuz läuft, geht Richtung Unendlichkeit und könnte fast die Berge gegenüber berühren. Doch zwischen der Kapelle und den Gipfeln lauert der Abgrund. Auf der Glocke sind drei Namen eingraviert: Egidio Cattaneo, Mario Botta, Enzo Cucchi. Cattaneo, ein reicher Unternehmer, hatte diese Kapelle zur Erinnerung an seine verstorbene Frau Mariangela nach Bottas Entwurf errichten lassen. Der Künstler Enzo Cucchi gestaltete sie aus.

Treppen führen hinunter in den Kirchenraum, erhellt durch seitliche Fenster, die von 22 Bildtafeln begleitet werden. Das intensiv blaugrundige Fresko in der Apsis zeigt zwei geöffnete Hände. Vielleicht sollen sie die Seelen aller Verstorbenen auffangen.

Eine weitere, aber völlig andere von Botta entworfene Kirche entstand fast zur gleichen Zeit: San Giovanni Battista (Johannes der Täufer) im Bergdorf Mogno. Nach einer Fahrt durchs Maggiatal und dann in Serpentinen bergan leuchtet der grau-weiß gestreifte Bau mit dem schräg gestellten kreisrunden Glasdach den Besuchern entgegen. Ein spektakuläres Gotteshaus als Ersatz für die 1986 von einer Lawine zerstörte Kirche aus dem Jahr 1636.

Kreisrundes Glasdach

Die Bewohner wollten einen originalgetreuen Wiederaufbau, das aber lehnte Botta ab. „Erst 1992 konnte er seinen Entwurf verwirklichen, 1996 war die Tat vollbracht. Ein mit Gras bedeckter Wall schützt nun die Kirche vor weiteren Lawinen“, erklärt Experte Urs von der Crone. Beim Näherkommen offenbart sie die ihr innewohnende Meisterschaft. „Der Grundriss ist eine Elipse, etwas Unvollkommenes. Bis zum Dach verwandelt sie sich in einen Kreis, ins Vollkommene“, sagt von der Crone. Drinnen faszinieren die Übergänge von Rechtecken zu Rundungen und die kühnen Verstrebungen. Doch die verwitterten Häuser drumherum stehen leer. Der historische Getreidetrockner (La Tórba da Mugn) von 1651, der 1974 restauriert wurde, wird schon lange nicht mehr benutzt. Die Bewohner haben das Dorf verlassen. Umso eindringlicher wirkt Bottas helles Gotteshaus. Paare kommen nach Mogno und auch auf den Berg Tamaro, um in diesen beiden Botta-Kirchen nach Voranmeldung zu heiraten. (Ursula Wiegand)

(Das Bergrestaurant Steinblume und die Kapelle Santa Maria degli Angeli auf dem Berg Tamaro; Mario Botta im Büro und das Theater der Architektur in Mendrisio - Fotos: Ursula Wieganbd)

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