Bauen

Das futuristische Gebilde über dem rechteckig-kantigen Backstein-Komplex. (Foto: Günter Schenk)

09.08.2019

Aus Alt mach Neu

Wie aus Antwerpens einstiger Hafen-Feuerwache eine Touristenattraktion wurde

Von weitem sieht es aus, als sei ein Raumschiff beim Landeanflug auf einem der ältesten Häuser Antwerpens im Hafengebiet notgelandet. Auf der einstigen Feuerwache, die seit Jahren unter Denkmalschutz steht. Näher betrachtet aber entpuppt sich der spektakuläre Bau von der Länge eines Containerschiffs über dem rechteckig-kantigen Backstein-Komplex als ein futuristisches Gebilde mit meist glitzernden Fassaden, hinter denen ein Großteil der Mitarbeiter der Hafenverwaltung ihr neues Zuhause gefunden haben.

Glaubt man den Touristikern, könnte der Neubau im Norden der Stadt, der im Moment nur nach einem viertelstündigen Fußmarsch vom Museum aan de Stroom (MAS) zu erreichen ist, schon bald zu einer der wichtigsten Adressen der Stadt werden: zum neuen architektonischen Juwel in dem vom Diamantenhandel geprägten Antwerpen. Schon bald soll eine Straßenbahn interessierte Besucher bis vor die Türen des Hauses bringen, die passenden Gleise liegen schon.

Zaha Hadid-Bau


Mit dem Bau hat die weltweit renommierte, irakstämmige Stararchitektin Zaha Hadid Maßstäbe gesetzt, deren Büro zur Zeit dem zweitgrößten Terminal des neuen Flughafens in Peking und dem neuen WM-Stadion in Katar, das wegen der Temperaturen im Wüstenstaat komplett klimatisiert ist, letzten Schliff verleiht. Und wie fast immer bei ihren Bauten polarisiert die kurz vor der Vollendung des Hafenhauses verstorbene Architektin die Gemeinde der Bauformer. Während die einen klagen, das Neue erdrücke das Alte, preisen andere eine gelungene Symbiose. „Als könnte die Zukunft die Vergangenheit im Tigersprung überwältigen, erscheint der Bestand zur bloßen Fußnote degradiert“, urteilte etwa die Neue Züricher Zeitung.

Ganz anders sah man das auf einer der weltweit größten Immobilienmessen, der MIPIM (Marché International des Professionnels de l’Immobilier) in Cannes, wo man das Hafenhaus im Vorjahr als weltweit „bestes renoviertes Gebäude“ auszeichnete.

Für die von der Queen geadelte Architektin war die Architektur nur Teil ihrer Sicht aufs Leben. So wie die Medizin den Menschen zunehmend als komplexes, in familiäre und gesellschaftliche Zusammenhänge eingebundenes Individuum im Auge hat, verschmolzen auch in ihrer Betrachtungsweise Landschaft und soziale Komponenten in einer Form, die Architektur erst ausmacht. Deshalb auch kam der Auftrag zum Bau des Hafenhauses für Zaha Hadid nicht überraschend.

In Antwerpen, dessen Einwohner ab dem nächstem Jahrzehnt mehrheitlich der Migrantengeneration entstammen werden, stieß der Wettbewerbsvorschlag der arabischstämmigen Frau auf große Zustimmung – auch wenn sich die im ersten Entwurf veranschlagten Kosten am Ende auf 64 Millionen Euro verdoppelten.
Streng waren die Auflagen, welche die Denkmalschützer an den Erweiterungsbau stellten. So durfte die einst im hanseatischen Stil geschaffene Feuerwache durch den Neubau nicht zugestellt werden, sollte die Sicht auf den Altbau von allen Seiten frei bleiben. Auch musste es möglich sein, den Erweiterungsbau eines Tages ohne Probleme für die alte Feuerwache wieder verschwinden zu lassen.

Zaha Hadid löste die Aufgabe, indem sie im nach oben offenen Innenhof des Altbaus kräftige Pfeiler setzte, auf die sie ihren Neubau pflanzte. So entstanden neben den 6600 Quadratmetern Bürolandschaft in den unteren Geschossen weitere 6200 Quadratmeter in den neuen, von riesigen Glasflächen überzogenen Obergeschossen. Aufzüge verbinden die beiden Teile, neun Stockwerke, die gegensätzlicher nicht sein könnten.

Klar und kantig präsentiert sich der alte Bau, transparent und fließend der neue. „Wir haben 1900 Fenster“, sagt Nadine Marissen, eine der Gastgeberinnen der Hafenbehörde, die Besucher gern durch das Gebäude führt. Stolz ist sie auf die klimatechnische Bilanz des Hafenhauses. So sorgt ein Bohrloch-Energiespeicher für Heizung und Kühlung. Wasserfreie Urinale und Bewegungsmelder minimieren den Wasserverbrauch. Und ein ausgeklügeltes System errechnet automatisch, wenn das Tageslicht in den Büros nicht mehr ausreicht und zusätzliche Lichtquellen ihre Arbeit aufnehmen.

„Architektur“, hat Zaha Hadid einmal gesagt, „folgt nicht modischen, politischen oder wirtschaftlichen Zyklen – sie folgt der Logik von Innovationszyklen, die durch soziale und technologische Entwicklungen hervorgerufen werden. Die heutige Gesellschaft steht nicht still und ihre Gebäude müssen sich mit neuen Lebensmustern entwickeln, um den Bedürfnissen ihrer Nutzer gerecht zu werden.“ So hat man die Autoabstellplätze unter die Erde verlegt, zudem fast 200 Fahrradparkplätze und mehr als zwei Dutzend Ladeplätze für Elektroautos ausgewiesen. Eine neue Straßenbahnstation ist in Vorbereitung und seit neuestem hält auch ein Wasserbus am Kai gegenüber, sodass immer mehr Mitarbeiter jetzt auch auf dem Wasserweg zur Arbeit kommen.

Viele mussten sich an die neuen Arbeitsbedingungen erst gewöhnen, an die neuen Großraumbüros und Konferenzzonen, vor denen Sitzpolster zur Kaffeepause laden – und an die ganz in weiß gehaltene Kantine mit ihrem Blick auf Europas zweitgrößten Hafen.

Hadids Hafenhaus ist der weithin sichtbare Beweis, dass unser Leben heute mehr Bewegung als Statik ausmacht. So betrachtet ist ihre Architektur auch Ausdruck der Komplexität und Dynamik unseres Alltags. Ein Spiegelbild des 21. Jahrhunderts und ein architektonisches Prachtstück, das – wie gesagt – problemlos wieder verschwinden kann, wenn es die Denkmalschützer bis dahin nicht ebenso fest in ihr Herz geschlossen haben wie schon die alte Feuerwache, die jetzt die Postmoderne krönt. (Günter Schenk)

(Die Kantine und die Pfeilerkonstruktion sowie die Verbindung zwischen Alt und Neu - Fotos: Günter Schenk)

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