Bauen

31.10.2014

Bauen wie vor 100 Jahren

Münchner wollen weg von der "Schuhschachtel"-Architektur

Ein schmales Haus mit Satteldach. Nur 4,80 Meter breit – so breit, wie eine BMW 5er Limousine lang ist. Dass das Haus, in dem der Architekturkritiker Gerhard Matzig wohnt, so schmal geraten ist, liegt am Grundstück selbst, das genauso viel hergegeben hat, wie der Geldbeutel des Hausherrn. Matzig ist Zeitungsredakteur und wohnt seit fünf Jahren in dem von dem renommierten Architekten Andreas Meck entworfenen schwarzen Hybridhaus aus Holz und Beton. Als einziger Nachteil erweist sich für den bekennenden Urbanisten Matzig lediglich die Lage seines Einfamilienwohnhauses am Stadtrand in Waldtrudering – ein Ort, den nach eigenen Angaben Matzig bis dahin noch gar nicht kannte.
„Sage mir wie Du wohnst und ich sage dir, wer du bist“ – mit dieser Selbstentblößungsshow, bei der im übrigen auffällt, dass Architekten lieber in historischen Altbauten wohnen als in Neubauten, begann der sehr persönliche und auch nicht weniger amüsante Einstieg in die Podiumsdiskussion zum Thema „Wer hat denn das da hingestellt? Streiten über Wohnungsbau und Stadtgestalt“. Die vier Podiumsteilnehmers waren sich einig, dass es bei heutiger Architektur für den Bereich Wohnen berechtigte Gründe zur Unzufriedenheit gibt. Beklagt wurden gesichtslose, stereotype Bauten, vorsprungslose, glatte Fassaden, fehlende Raumbildung, und zu wenig Farbe im Stadtbild.
Was läuft schief im zeitgenössischen Wohnhausbau? Und warum triumphiert die „Schuhschachtel“-Ästhetik mit optimierten Abstandsflächen, Wärmedämmungsverbundsystemen, Flachdächern, inversen Grundrissen mit Wohnzimmern weg von der Straße und Klos neben der Eingangstür? Und warum hinkt ausgerechnet München Städten, wie beispielsweise Hamburg, weit hinterher, wenn es um qualitativ hochwertiges Wohnen innerhalb der Stadt geht? „Lasst uns bauen, wie vor 100 Jahren“, forderte ausgerechnet der langjährige Verteidiger der Moderne Matzig. „Wohnungsbau ist kein Innovationsträger“, sagte der Kritiker, der in seinem Studium nie ein Wohnhaus, dafür aber eine Nekropole und einen Flugzeugträger entworfen hat.
Mitunter fehle es auch an der mangelnden Ausbildung in Sachen Ästhetik. Die Mehrheit bevorzugt die Altbauten der Gründerzeit in belebten, attraktiven Stadtvierteln wie Haidhausen, Lehel oder Schwabing. Die wünschenswerte Urbanität und Harmonie im Stadtbild, geschaffen von Münchner Architekten der 1920er Jahre, ist in der Nachfolge bis heute unerreicht geblieben. Damals lautete die Zauberformel: Schaffung neutraler großer Räume.

Handwerklich solide gebaut


Einer der Protagonisten war die Baufirma Heilmann und Littmann, deren Bauten in mannigfaltiger Einheit und handwerklich so solide gebaut wurden, dass diese heute noch hoch im Kurs stehen. Die Neubauten in Riem, am Arnulfpark, auf der Theresienhöhe werden dagegen als Trauerspiele missglückter Architektur und verspielte Chance der Reurbanisierung beklagt. Ebenso zum Ärgernis zählt die nicht erfolgte Realisierung des zukunftsweisenden Projekts „Werkbundsiedlung“.
„Woher kommt die Moderne überhaupt?“ Diese Frage stellte Johannes Ernst vom Büro „steidle architekten“ und lieferte gleich die Antwort: „In den Anfängen sei die Moderne eine stadtfeindliche Bewegung gewesen.“ Die Bauobjekte wurden erstmals auf die grüne Wiese gesetzt. Ernst erinnerte an den rapiden Bevölkerungsanstieg im München der Gründerzeit. Von 1850 (100 000 Einwohner) bis 1900 habe sich die Bevölkerungszahl verfünffacht, was innerhalb der barocken Stadt zur Aufstockung der Gebäude von drei auf sieben Stockwerke führte.
Ina Laux vom Büro Laux Architekten wies auf die „Ressource Raum“ hin, die in München knapp geworden ist, sodass es gilt, „das Maximale an Geschossfläche herauszuholen“. Ihr Architektenselbstverständnis lautet: „Aus den Spielräumen, die wir haben, müssen wir das Maximale herausholen.“ Beim Projekt am Luitpoldpark mit 380 Wohneinheiten hat sie aus der Not eine Tugend gemacht. Weil die Verschlankung der Konstruktion – dünne Wände erhöhen die Flächenausbeute insbesondere bei Großprojekten – keinen Platz für Sonnenschutz ermöglichte, wurden statt Rollos französische Fensterläden angebracht. Mit dem „Ergebnis dieses ausgetüftelten Optimierungsprozesses“ wurde das Gebäude gestalterisch aufgewertet.
Zum Podium gehörte auch Peter Müller von der Bayerischen Hausbau. Er vertrat die Bauherrenseite und appellierte an die Zunft der Architekten, mehr zu wagen. Er wünschte sich mehr Kreativität beim Bauen, gelegentlich auch mehr Reibung zwischen Architekten und Bauträgern. Kundenorientiert forderte er: „Wohnungen müssen maßgeschneidert werden, damit sie bezahlbar sind.“
(Angelika Irgens-Defregger)

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