Bauen

Das Kastell Weißenburg. Der moderne Tornachbau gilt heute als problematisch. (Foto: Bergmann)

31.05.2013

Bodendenkmäler wachsen nicht nach wie Kartoffeln

Eine Tagung in Ansbach ging dem Thema „Welterbe Limes und Tourismus“ nach

Goldgräberstimmung erfasste 2005 gleichzeitig vier Bundesländer, 20 Landkreise und 150 Kommunen. Der Limes, der einst auf 550 Kilometern zwischen Rhein und Donau eine Grenze der römischen Welt anzeigte, erhielt von der UNESCO als Teilabschnitt der „Grenzen des Römischen Reiches“ den begehrten Titel Weltkulturerbe. Doch das Bodendenkmal erwies sich bis heute nicht als der erhoffte Bodenschatz, trotz „Deutscher Limes-Straße“, diverser Limes-Rad- und Wanderwege und unzähliger Angebote im Internet.
Was Art und Umfang der Vermarktung betrifft, gehen die Vorstellungen von Tourismusindustrie und Denkmalpflegern auseinander. Grund genug für den Limesbeauftragten des Bezirks Mittelfranken, dem Thema „Welterbe Limes und Tourismus“ eine Tagung zu widmen, zu der Edgar Weinlich Referenten unterschiedlicher Sparten einlud. Zuständig für den mittelfränkischen Limesabschnitt von etwa 70 Kilometern Länge mit 109 nachgewiesenen und vermuteten Wachturm-Standorten und zehn Kastellen samt ihren Lagerdörfern, betreut und berät er 21 Gemeinden in den Landkreisen Ansbach und Weißenburg-Gunzenhausen.

Falsche
Erwartungen


Dabei geht es vor allem um einen Ausgleich zwischen Wissenschaft und Tourismus. Der Vermittlung des Welterbes aus einer Hand und in einem Guss steht schon entgegen, dass alle mitreden wollen, jeder eigene Vorstellungen hat und niemand Kompetenzen abgeben möchte. Missverständnisse über den Limes und die Welterbe-Auszeichnung im Allgemeinen führen dabei oft zu falschen Erwartungen. Schon auf der Landkarte, so Weinlich, suggeriert der Limes ein Bild, das sich in der Landschaft nicht nachvollziehen lässt, weil er größtenteils nicht mehr sichtbar ist.
Thomas Schmitt vom Geographischen Institut der Universität Erlangen betonte deshalb, dass es der UNESCO bei der Vergabe des Welterbe-Titels nicht um die so genannte touristische Wertschöpfung geht. Im Gegenteil kommt der Begriff Tourismus in der seit 1972 von 189 Staaten ratifizierten Welterbekonvention der UNESCO nur einmal vor (Art. 11,4) und ist eindeutig negativ besetzt. Allerdings werfen Kritiker der UNESCO vor, mit einer inflationären Vergabepraxis vor allem Vermarktungswünsche zu bedienen. Immerhin werden sich die Absolventen der Studiengänge für Kultur- und Touristikmanager darüber freuen. Das Bodendenkmal Limes bleibt für sie allerdings eine harte Nuss, obwohl die breite Schutzzone mit Grenzanlagen, Türmen und Kastellen insgesamt 250 Quadratkilometer einnimmt.
So bot Volker Letzner, Prodekan der Fakultät für Tourismus an der Hochschule München wenig Konkretes. Er hält touristische Attraktionen generell für nicht planbar; das Vermarktungspotenzial des Limes bewertete er sehr verhalten: Vielleicht eine „Limes-Card“ oder „Limes-Pilgern“, Seminare zum Thema „Grenze“ oder als Highlight die Beteiligung von Touristen an Ausgrabungen.
Dem widersprach Jürgen Obmann, der als Limeskoordinator am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege den 158 Kilometer langen bayerischen Limesabschnitt zwischen Main und Donau betreut. Er wies darauf hin, dass „Bodendenkmäler nicht nachwachsen wie Kartoffeln“. Gleichzeitig räumte er mit populären Irrtümern auf und zeigte Auswüchse des „History-Marketing“, das auf diffuses Halbwissen statt auf solide Geschichtskenntnisse setzt.
Dabei spielen die vielen Nachbauten eine wichtige Rolle. Sie gelten allerdings nach heutigem Stand der Wissenschaft als spekulative bis fragwürdige Interpretationen, die eher Auskunft über den jeweiligen Forschungsstand geben, als dass sie Ursprungsbauten abbilden. Selbst die nachgebauten Limestürme unterscheiden sich erheblich. Allein in Bayern gibt es 23 Voll- und Teilnachbauten von Wachttürmen, fünf Nachbauten von Kastellen und mindestens 25 von Palisaden und Mauern. Deshalb wird es nach dem Willen der Denkmalpfleger keine weiteren Nachbauten geben.
Indirekt bestätigte diese Haltung Martin Müller. Er leitet den 1975 eröffneten Archäologischen Park Xanten, wo man die Gratwanderung zwischen Wissenschaft und Freizeitpark versucht. Die ursprüngliche Praxis, Bodendenkmäler mit kompletten „Rekonstruktionen“ zu überbauen, hat man mittlerweile wieder aufgegeben: Auch diese Gebäude entsprechen nicht den römischen Originalen, aber sie haben die Ausgrabungen in einen Endzustand überführt, der sie für spätere Forschungen wertlos macht.

Verlust von
Originalsubstanz


Heute versucht man Strukturen und Dimensionen eher abstrakt darzustellen, ohne dabei Denkmäler anzutasten. Trotzdem lassen sich bei einer touristischen Vermarktung Verluste römischer Originalsubstanz nicht vermeiden, wenn etwa zur Modernisierung der Infrastruktur Leitungen frostfrei verlegt werden müssen. Obwohl der Park ganz unterschiedliche Besucher anspricht, gründet sein wirtschaftlicher Erfolg allein auf der wissenschaftlichen Basis der Vermittlungsarbeit, das betonte Müller ausdrücklich.
Dieser Umstand dürfte all jenen nicht schmecken, die unter dem Label „römisch“ so ziemlich alles zu vermarkten suchen. Dabei ist dann offenbar kein Niveau so tief, dass es sich nicht noch unterbieten ließe. Nachdenklich stimmen sollte, was Susanne Mauer von der Welterbekoordination Regensburg berichtete: Seit der Auszeichnung der Domstadt im Jahr 2006 haben sich trotz Touristikmanagement die Übernachtungszahlen nicht wesentlich erhöht.
(Rudolf Maria Bergmann)

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