Bauen

Ein gut 40 Seiten langes und reich bebildertes Kapitel ist dem Münchner Olympiapark gewidmet. (Foto: Friedrich H. Hettler)

08.03.2023

Demokratisches Grün

Vielschichtiger Bildband über Günther Grzimeks visionäre Landschaftsgestaltung

Klimakrise, zunehmende Urbanisierung und Flächenversiegelung: Die Bedeutung von Grün in städtischen Ballungsräumen ist unumstritten und aktueller denn je. Pflanzen reinigen die Luft, spenden Schatten, kühlen Gebäude und sind wichtig für die Biodiversität, denn auch Tiere, vor allem Insekten, profitieren von abwechslungsreich bepflanzten Parks, Plätzen und begrünten Häusern. Nicht übersehen werden sollte auch die farbpsychologische Wirkung: Grün ist nicht nur eine hübsche Farbe, sondern wirkt auch nachweislich beruhigend auf gestresste Großstädter.

Gründe genug also, sich dem Thema Grün in der Landschaftsgestaltung eingehend zu widmen. Das hat Günther Grzimek (1915 bis 1996) sein Leben lang ausführlich getan. Nach einer Gärtnerlehre und dem Studium der Gartengestaltung hat der gebürtige Kölner eine beachtliche Karriere gemacht, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Ulm mit ersten Bürogründungen und der Leitung des Garten- und Friedhofsamts begann. Hier machte er sich bereits einen Namen, indem er sich für Reformen in der Verwaltung und der Planung von Grünräumen auf kommunaler Ebene engagierte.

Professuren in Kassel und München folgten, ebenso die Aufnahme in die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung sowie in die Bayerische Akademie der Schönen Künste in München. Hinzu kam eine rege Dozententätigkeit mit viel Engagement für eine praxisorientierte und akademisch reformierte Ausbildung von Landschaftsarchitekten. Grzimek plädierte für eine breite künstlerische und naturwissenschaftliche Ausbildung, damit der „neue Typus von Grünplaner“ als „querschnittsorientierter“ und „nutzungsorientierter“ Vermittler zwischen den einzelnen Disziplinen fungieren konnte.

Vorlesungen in Philosophie und Soziologie gehörten demnach ebenso zum Pensum der Studierenden wie Fachwissen in Biologie, Ökologie, Technik, Materialkunde, Pflanzenverwendung, Fotografie, Zeichnen, Städtebau und Geschichte der Landschaftsarchitektur und -entwicklung. Natürlich setzte Grzimek seine Thesen und Gedanken auch bei seinen eigenen Projekten in die Tat um, sodass, wenig verwunderlich, ein beeindruckendes Portfolio entstand, das wiederum zu zahlreichen Auszeichnungen und Ehrungen führte. 

Eigentlich wollte der rührige Gartenarchitekt und Landschaftsgestalter gemeinsam mit dem Gestalter Otl Aicher seine Lebens- und Schaffensphasen und vor allem seine Haltung zu unterschiedlichen Themenstellungen in einer Monografie veröffentlichen. In Gedanken war das Buch wohl schon fertig, doch zu Lebzeiten Grzimeks ist es nicht mehr zustande gekommen. Gliederungsvorschläge zu diesem Projekt, einen handgezeichneten Seitenspiegel mit Vorzeichnungen für mögliche Grafiken und zwei Seiten mit Fülltext, in dem Schrifttyp und -größe schon festgelegt waren – die Rotis semi-grotesk 9,5 pt sollte es sein – , hat man erst viele Jahre später in einer bis dato ungeöffneten Schachtel in einem Archiv entdeckt.

Und noch ein weiterer Schatz lag in der Archivkiste: ein von Otl Aicher im Originalmaßstab entworfenes Buchcover. Wer sich nun das kürzlich im Hirmer Verlag erschienene Buch Grün. Günther Grzimek: Planung - Gestaltung - Programme kauft, hält das Aicher-Cover in Händen. Auch an Schrifttyp und -größe sowie Grzimeks vorgesehene Gliederung hat sich der Verlag gehalten. Derartige formale Vorgaben kann man umsetzen, hinsichtlich des Inhalts bezeichnet Herausgeberin und Autorin Regine Keller den Bildband allerdings als „Experiment“. Denn sie stand vor dem Problem, das von Grzimek geplante Buch nicht einfach fertigschreiben zu können. Vielmehr konnte sie nur imaginieren, was die Inhalte gewesen sein könnten, und die Ideen, die es in (teils abgedruckten) Artikeln, Vorträgen, Zeichnungen und Bildpassagen von Grzimek gibt, zur Grundlage machen und weiterdenken.

Entstanden ist ein vielschichtiges Buch über Leben, Denken und Arbeit eines visionären Grünplaners, dem es wichtig war, nicht nur ästhetisch gelungene Lösungen zu präsentieren, sondern vor allem den gesellschaftlichen Zweck und die technische Funktion fest im Blick zu haben. Als herausragendes und bis heute richtungsweisendes Beispiel seines Schaffens und seiner Herangehensweise gilt die Gestaltung des Olympiaparks in München.

Der weltbekannte Park und seine Bauten mit der futuristisch anmutenden, filigranen Zeltdachkonstruktion von Günter Behnisch und Partner sind seit 1998 als Einzeldenkmäler in die Denkmalliste des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege eingetragen; ein Antrag der Landeshauptstadt, den Ort zum Unesco-Weltkulturerbe zu machen, ist in Arbeit.

Der Park entstand auf dem Trümmerschutt des Zweiten Weltkriegs, wobei für Grzimek die Herausforderung darin bestand, für ein Massenpublikum während der Olympiade und zugleich für eine sinnvolle Nachnutzung zu planen. „Die Planung und Gestaltung des Olympiaparks in München wirken wie ein gebautes Manifest der richtungsweisenden Ausbildungsreform. Beide bestimmen die deutsche Landschaftsarchitektur bis heute“, schreibt Anette Freytag, Kunsthistorikerin und Professorin für Landschaftsarchitektur, in ihrem Beitrag.

Ein stimmiges Gesamtkonzept

Diesem ganz besonderen Projekt Grzimeks widmet Grün ein gut 40 Seiten langes und reich bebildertes Kapitel, in dem sehr ausführlich und facettenreich die Entstehung der berühmten Parklandschaft beschrieben wird. Für Grzimek und sein Team ging es ab 1968 darum, eine 280 Hektar große, weite, ebene und nahezu baumlose Fläche – das Oberwiesenfeld, ein ehemaliger militärischer Exerzierplatz und später der erste Flughafen Münchens – für die Olympischen Spiele 1972 zu gestalten. „Spiele im Grünen“ sollten es zum einen werden, um sich vom nationalsozialistischen Propagandaspektakel der Olympischen Sommerspiele in Berlin 1936 auch ideologisch abzugrenzen.

Zum anderen wollte Grzimek die Landschaft nicht nur modellieren und ein stimmiges Gesamtkonzept aus einer Hügellandschaft entwickeln, in der die transparenten Zeltdachkonstruktionen „schweben“, sondern auch einen nachhaltigen Erholungswert für die Menschen schaffen. Dafür gestaltete er mit klaren landschaftsarchitektonischen Elementen: Baum, Weg, Wiese, Rasen, Berg, See, die wie selbstverständlich harmonieren und in ihrer jeweiligen Konstellation zum Verweilen oder Spielen einladen. „Demokratisches Grün“ nannte er diese neue Form des städtischen Grüns, von dem alle Menschen und insbesondere Kinder profitieren sollten.

Die Bedürfnisse von Kindern waren Grzimek zeit seines Lebens wichtig. Das ist auch an einem weiteren Projekt aus seiner Hand zu sehen, das Ulmer Kinderspielplatzprojekt „Aktion Sandfloh“ mit grünen Spielinseln und inspirierenden Spielgeräten abseits vom Verkehr inmitten der Stadt. Zu seinem umfangreichen Portfolio zählt aber auch die Gestaltung von Friedhöfen (Weingarten und Ulm), die Grünplanung von Ulm und Darmstadt, der neue Botanische Garten Marburg oder das Landschaftskonzept des Flughafens München II.

Diese und noch weitere Projekte, die er oft in Zusammenarbeit mit namhaften Gestaltern, Künstlern und Architekten wie Otl Aicher und dessen Frau Inge Aicher-Scholl, Arnold Bode und Günter Behnisch realisierte, sind im Buch detailliert und anschaulich aufgeführt. Und doch sind diese Projekte nur eine kleine Auswahl, wie das imposante Werkverzeichnis im Anhang belegt.

Bei der Lektüre erweist sich Grün als wohltuend abwechslungsreich: Leben und Werk des ambitionierten Landschaftsgestalters erfahren eine angemessene Würdigung, aber auch Grzimeks zeitlose Thesen und Gedanken zur Stadt- und Landschaftsarchitektur finden reichlich Platz, etwa durch den Abdruck seines Vortrags in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste aus dem Jahr 1973 anlässlich einer Auszeichnung (er erhielt den Friedrich Ludwig v. Sckell-Ehrenring).

Zudem ist der Band ein informativer Streifzug durch 60 Jahre Geschichte der Landschaftsarchitektur in Deutschland von den 1930er-Jahren in Berlin bis in die 1960er-Jahre in München: Grzimek hat die ideologische Aufladung des Begriffs „Landschaft“ im Nationalsozialismus und die Epoche des deutschen Wiederaufbaus ebenso erlebt wie die Idee der autogerechten Städte und den technologischen Aufbruch der 1960er-Jahre mit der darauffolgenden Ökologiebewegung. (Monika Judä)
 

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