Bauen

Die generalsanierte Neue Nationalgalerie auf dem Berliner Kulturforum. (Foto: Ursula Wiegand)

15.07.2021

Die Ikone der klassischen Moderne

Die Neue Nationalgalerie in Berlin wurde sechs Jahre lang generalsaniert

Nach mehr als sechsjähriger Schließung zwecks Generalsanierung erstrahlt nun Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie auf dem Berliner Kulturforum erneut in voller Schönheit. Am 15. September 1968 wurde dieser wegweisende Stahlskelettbau mit den ungewöhnlich großen Fenstern eröffnet und bald zur Ikone der klassischen Moderne.

Stahl und Glas, Quadrat und Rechteck waren die Markenzeichen dieses Ausnahmekönners, der als Zeichner von Steinornamenten begonnen und Architektur gar nicht studiert hatte. Seine Kenntnisse erwarb sich Mies van der Rohe nach eigenen Worten durch die Mitarbeit in Architekturbüros sowie durch einige Fachbücher. Den eigenen Weg fand er nach dem Motto „weniger ist mehr“. Seine Bauten sollten durch klare Formen überzeugen, nicht durch Schmuckelemente. Nach dieser Devise entwarf er den deutschen Pavillon für die Weltausstellung 1929 in Barcelona.

Wie überzeugend ihm die Konzentration auf das Wesentliche gelang, beweist nach der Entfernung der Baugerüste nun auch wieder die Neue Nationalgalerie. Schon von jenseits der breiten Potsdamer Straße sind dank der übergroßen Scheiben sogar die Gebäude hinter der Neuen Nationalgalerie deutlich zu erkennen. Die gibt sich also nicht als Solitär, sondern bindet aufgrund ihrer Fensterfronten und auch draußen beim Blick von der Terrasse das Umfeld mit ein – die Matthäuskirche, ein Stüler-Bau von 1845, Hans Scharouns Philharmonie von 1963 und seine 1978 fertiggestellte Staatsbibliothek gegenüber. Nach der Wende füllten die Stararchitekten Helmut Jahn, Hans Kollhoff und Renzo Piano die Umgebung mit modernen Bauten.

Die großen Glasscheiben kommen aus China

Gut geputzt, denken wohl einige Betrachter angesichts dieser glasklaren Fenster. Das hätte nicht ausgereicht. Die 3,43 x 5,40 Meter messenden Scheiben mussten aufgrund von Schäden ersetzt werden. Gefertigt wurden sie in China von der Firma NorthGlass in der Stadt Tianjin, dem weltweit einzigen Betrieb, der solch große Scheiben in der erforderlichen Qualität herstellen konnte.

Für die stählernen Fensterrahmen mussten sich die Sanierer vor Ort etwas einfallen lassen, um deren Reaktion auf Temperaturschwankungen und die dadurch bedingten Scheibenbrüche künftig zu verhindern.
Das an allen vier Seiten auskragende und 1200 Tonnen schwere Stahldach, das nur auf acht schlanken Stahlträgern außerhalb des Gebäudes ruht, musste nicht abgehoben werden. Wie eh und je scheint es trotz seines enormen Gewichts über dem Bau zu schweben, ein Effekt, den Mies nach dem genauen Studium der Zeichnungen mit einigen baulichen Tricks erreichte.

Das berichtete sein Enkel Dirk Lohan, der in Mies van der Rohes Chicagoer Büro das Bauprojekt Neue Nationalgalerie betreute. Mies, der letzte Bauhaus-Direktor, war 1938 in die USA emigriert und seit 1944 amerikanischer Staatsbürger, flog aber während der Bauphase zweimal nach Berlin. Einmal zur Grundsteinlegung sowie am 12. April 1967, zusammen mit Dirk Lohan, zur Dachaufsetzung und dem folgenden Richtfest.

Die Anhebung dieses riesigen Daches war in ihrer Art eine Weltpremiere und es ist wahr, dass sich Mies während des Hebevorgangs daruntergewagt hat. Heinz Oeter von der Firma Krupp-Druckenmüller und verantwortlich für das Stahldach, hat dazu damals Fotos gemacht. Insgesamt neun Stunden hat dieses Anheben gedauert. Auch Dirk Lohan erinnert sich noch genau: „Als das Dach auf einer Höhe von rund drei Metern über dem Boden schwebte, war Mies nicht davon abzubringen, unter das Dach zu gehen.“ Sein Vertrauen, dass alles bestens funktionieren würde, muss riesengroß gewesen sein. Zur Eröffnung konnte der schon Schwerkranke nicht mehr anreisen.

Die aktuelle Sanierung hat man einem heutigen Stararchitekten anvertraut, dem Briten David Chipperfield und seinem Berliner Team. Hatte er doch bereits bei der Rettung des Neuen Museums überzeugt. Illusionen machte er sich jedoch nicht. „Wir müssen bescheiden sein, nicht radikal, dieser Bau verzeiht keine Fehler“, betonte Chipperfield schon 2014. „So viel Mies wie möglich“ wolle er erhalten, versprach er bei Sanierungsbeginn, und das klang etwas beunruhigend. Wer 2018, zum 50. Geburtstag des Baus, eine Führung durch die völlig zugerüstete Neue Nationalgalerie erlebt hatte, bekam jedoch einige Zweifel.

Vor allem Betonschäden mussten behoben werden

Doch bei der Entkernung der Neuen Nationalgalerie ist sein großer Respekt für Mies noch gewachsen und auch sein Erstaunen darüber, was in den 1960er-Jahren mit damaligen Materialien und ohne die heutige Technik bei der Errichtung dieses anspruchsvollen Bauwerks geleistet wurde. Vor allem mussten Betonschäden behoben werden.

Jetzt begeistert die lichtdurchflutete große Halle sofort. Sie wirkt frischer als vorher, ansonsten aber unverändert. Genau so hatte es Chipperfield beabsichtigt. Hinzugefügt wurde, was den heutigen Anforderungen an ein Museum entspricht; so gibt es jetzt eine Rampe für Rollstuhlfahrer und einen gut hinter der Garderobe versteckten Fahrstuhl.

Ansonsten galt es Schäden zu beseitigen und Vorhandenes aufzuarbeiten. Mies sollte Mies bleiben. Was bei Gesamtkosten von 140 Millionen Euro getan wurde und werden musste, ist in dem Heftchen Rundgang in der Neuen aufgelistet: 35 000 Bauteile wurden demontiert, mit Identifikationsmarken versehen, in Demontagepläne eingetragen, in einer Datenbank verwaltet, eingelagert und schließlich remontiert. 14 000 Natursteine wurden gereinigt, restauriert und ersetzt. Auch 11 000 Moduldeckenplatten hat man rekonstruiert und 2400 der erhaltenen Leuchten auf LED umgerüstet. Die Versorgungsschächte für Klimatechnik, Elektrik und Regenfallrohre verbergen sich nun hinter den raumhohen Wänden aus dunkelgrünem Tinos-Marmor.

Darüber hinaus wurden die Vorhänge ebenso nachgewebt wie der große, leicht bläuliche Teppich im Untergeschoss, auch Treppenhalle genannt. Über den gab es Diskussionen, doch seine Befürworter erlangten die Mehrheit. Immerhin dämpft er die Schritte der Besucher*innen, die von Bild zu Bild gehen, das hatte schon Mies bedacht. Erwähnt sind in dem Heft auch die 200 neuen Glasscheiben aus China. Schließlich mussten 4600 Tonnen ungefährliche Abbruchstoffe und 580 Tonnen gefährliche Abfälle entsorgt werden.

Nach diesen Vorbereitungen begannen im April 2016 die eigentlichen Bau- und Sanierungsarbeiten. Klimatisierung und Brandschutz waren ein Thema. Im Untergeschoss wird der bisherige Platz für die Kunstdepots nun für eine Garderobe und den Museumsshop genutzt. Die Kunstwerke finden nun in einem Erweiterungsbau unter der Terrasse ihren Platz.

Überhaupt nicht zu dem von Mies gepflegten Minimalismus passen die verschnörkelten Lampen. Und schon gar nicht zu geraden Fluren mit ihren gläsernen, gestaffelten Türsystemen in ihrer lichten Geradlinigkeit.

Ein schlichterer Ausgang dieser Art führt in den von Mies angelegten Skulpturengarten mit Wasserbecken und Grünpflanzen, ein Refugium der Besinnlichkeit. Mit einer Ausstellung des amerikanischen Malers und Bildhauers Alexander Calder wird die Neue Nationalgalerie im August wieder eröffnet. Passend wäre vielleicht der 17. August, der Todestag von Mies van der Rohe. (Ursula Wiegand)

 

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