Bauen

Die sanierten Fassaden von Schloss Neuschwanstein. (Foto: Pfeil)

11.10.2013

Geflicktes Märchenschloss

Fassadensanierung mit statischer Sicherung von Schloss Neuschwanstein

Schloss Neuschwanstein, das Märchenschloss König Ludwig II. und Symbol für bayerische Lebensart, wurde von 1869 bis 1886 erbaut, es wurde allerdings nie vollständig fertiggestellt. Da der König viel zu früh verstarb, konnten bedeutende Teile der Schlossanlage nicht mehr realisiert werden. Vor allem der Bergfried als höchster Turm des Schlosses, der immerhin das Gegengewicht zum Palas ausbilden sollte, aber auch die im Westen des Schlosses vorgelagerten terrassenartigen Anlagen des so genannten Bärenzwingers und auch der Innenausbau mancher Räume des Schlosses wurden nicht zu Ende geführt. Diese blieben, wie auch bei Schloss Herrenchiemsee, in ihrem Rohbauzustand. Nach dem Tod des Königs wurden zwar noch einige Baumaßnahmen weitergeführt, wie zum Beispiel die Kemenate an der Südseite der Schlossanlage, aber letztlich blieb das Schloss unvollendet.
Dem Erscheinungsbild des Märchenschlosses hat dies – zumindest für den Nichtwissenden – aber kaum geschadet, denn zu schön ist die traumhaft vor der Kulisse der Ammergauer Alpen gelegene Schlossanlage.
Bereits im Todesjahr des Königs, 1886, wurde das Schloss für den öffentlichen Besucherverkehr freigegeben. Seitdem haben mehr als 60 Millionen Menschen das Schloss besucht.
127 Jahre nach seiner Fertigstellung ist Schloss Neuschwanstein heute wieder in einem ausgezeichneten Zustand. Vor Beginn der über zehn Jahre andauernden Sanierungsarbeiten war das Schadensbild allerdings erheblich, denn seit seiner Erbauung wurden nur wenige Ausbesserungen vorgenommen. Es waren denn auch nicht nur optische Beeinträchtigungen, wie Verschmutzungen oder der Moosbefall an den Fassaden, sondern es handelte sich um sehr konkrete Schäden, die vor allem der extremen klimatischen Situation im voralpinen Bereich und der herausgehobenen Lage des Schlosses auf einem Berg zuzurechnen waren.
Vor allem war es die Zersetzung des Fugenmörtels zwischen den Natursteinquadern und der Zerfall dessen ausgewaschener Reste, die eindringendem Regenwasser keinen Widerstand mehr leisten konnten und eine schleichende Durchfeuchtung der Fassaden verursachten. Die in dieser alpinen Lage lange anhaltenden Frostperioden führten durch Volumenvergrößerung der gefrierenden Feuchtigkeit im Mauerwerk zu Absprengungen, Rissebildungen und Verschiebungen von Fassadensteinen, bis hin zum Versagen des statischen Mauerverbunds in besonders geschädigten Bereichen. Verstärkt wurde dieser klimabedingte Effekt durch Samenanflug von Gräsern, Sträuchern und Bäumen in die erodierten und dadurch offenliegenden Mauerwerksfugen. Das Wurzelwerk der Pflanzen entwickelte immense Kräfte, Steine lösten sich bereits aus den Mauern. Die seit der Erbauungszeit des Schlosses in den Fassaden verbliebenen, aufquellenden Holzkeile und rostig gewordenen Eisenarmierungen taten ein Übriges, das Schadensbild zu verstärken.

Statische Probleme


Für die umfassende Sanierung der Fassaden war als erster Schritt ein exaktes Aufmaß mit genauer Lokalisierung der Schäden erforderlich. Mittels digitaler Vermessungstechnik wurden genaueste Pläne angefertigt, die eine dreidimensionale Betrachtung des Schlosses zuließen. Die Schadenserfassung erfolgte steingenau, mittels der Verknüpfung zu einer Datenbank, über welche die Schadens- und Maßnahmenkartierung, die Mengenermittlung und die Abrechnung der Restaurierungsmaßnahmen erfolgen konnte. Damit wurde ein exakter und verlässlicher Workflow sichergestellt. Das Ergebnis war ein über den gesamten Fassadenbereich von rund 14 000 Quadratmetern Fassadenfläche gespanntes verzerrungsfreies Orthophoto, aus dem schnellstens Grundrisse und Schnitte entwickelt werden konnten.
Neben dem Schadensbild an den Fassaden waren auch erhebliche statische Probleme zu lösen. Die Mauern des Schlosses bestehen aus einem kraftschlüssigen Verbund von Ziegeln im Kern und vorgesetztem Naturstein. Diese Konstruktion zeichnet sich zwar durch hohe Druckresistenz, aber nur schwache Aufnahmefähigkeit von Horizontalkräften aus. Horizontale Zugkräfte treten zum Beispiel bei auskragenden und exponierten Bauteilen auf, wie bei den seitlich an der östlichen Giebelfassade des Palas angebrachten Eck-Erkern, oder bei überhängenden Bauteilen, wie beispielsweise der Turmplattform am Viereckturm.
Das Schloss ist in dieser Beziehung mit einer Sandburg vergleichbar. Diese kann in feuchtem Zustand Kräfte aufnehmen, die während des Trocknungsprozesses nicht mehr bewältigt werden, da der innere Kräfteverbund der Konstruktion verloren geht. Passiert dies, dann versagt die Statik und die Sandburg stürzt ein. Deutlich wurde dieser Effekt bei Schloss Neuschwanstein bei den seitlich an der Ostfassade des Palas angefügten Eck-Erkern.
Über die vielen Jahre seit der Erbauungszeit konnten die auftretenden Horizontalkräfte vom Mauerwerksverbund nicht mehr vollständig aufgenommen werden, was zum Auseinanderdriften dieser exponierten Bauteile führte. Wäre der kraftschlüssige Verbund in der Fassade, der Horizontalkräfte aufnehmen kann, nicht wieder hergestellt worden, wären diese Bauteile über kurz oder lang abgestürzt.
Diesem Schadensbild des „langsamen Auseinanderdriftens“ wurde durch Einbringen von Stahl-Zugseilen entgegengewirkt, die wie ein Gummiband wirken und Horizontalkräfte aufnehmen können. So wurde an der Innenseite der Ostfassade des Palas eine solche Zugseilkonstruktion eingebracht, die über die gesamte Fassadenbreite beide seitlich angebrachten Eck-Erker statisch zusammenführt und wieder in die Fassadenkonstruktion einbindet. Das weitere Auseinanderdriften wurde so verhindert und auch die Schäden an den inneren Wandoberflächen des Sängersaals mit seinen Wandmalerei, die durch die Horizontalverschiebungen bereits aufgetreten waren, konnten so wirksam aufgehalten werden.
Beim Viereckturm wurde ebenfalls mit einer solchen Zugseilkonstruktion im Turminneren das Auseinanderdriften der Turmplattform am Übergang des Rundturmaufsatzes auf den quadratischen Turmschaft erfolgreich verhindert.
Dieses „Zusammenbinden“ von Bauteilen klingt sehr simpel und pragmatisch und ist es auch, wenn man erst einmal die kritischen Stellen und die richtigen Gegenmaßnahmen gefunden hat. An vielen weiteren exponierten Stellen im Fassadenbereich wurden solche Zugseilkonstruktionen eingesetzt. Heute ist das Schloss langfristig statisch gesichert.
Die Sanierung der Fassaden begann 2001 und wurde in mehreren Bauabschnitten durchgeführt. Begonnen wurde mit den Fassaden entlang der inneren Schlosshöfe, anschließend wurden die Nordfassaden von Ritterhaus, Viereckturm und Verbindungsbau instandgesetzt. Danach sollten die West- und die Nordfassaden des Palas folgen. 2007 wurden aber im Rahmen einer Begehung durch geschulte „Industriekletterer“ erhebliche Rissbildungen und Verschiebungen im Mauerverband der zur Pöllartschlucht gelegenen Sockelzone der Kemenate festgestellt, weshalb die Instandsetzung dieser südseitigen Fassaden der Kemenate und des Palas vorgezogen wurde.

Hohlräume fotografiert


Die Südfassaden der Kemenate und des Palas wurden im Herbst 2008 eingerüstet. Als erster Schritt erfolgte eine eingehende Sichtprüfung der Schäden. Danach wurden an besonders geschädigten Bereichen Bohrkerne mit einem Durchmesser von zehn Zentimetern und einer Tiefe von bis zu 3,5 Metern gezogen. Mit einem Videoendos-kop konnten schwer zugängliche Hohlräume fotografiert und die Ursachen für die statischen Probleme lokalisiert werden. Auch hier war es der mürbe gewordene und vielfach ausgespülte Fugenmörtel, der zu den Schäden führte.
Das Eigengewicht der Natursteinquader und die Oberflächenspannungen des Steinmaterials führten bei den extremen Witterungseinflüssen mit hohen Temperaturschwankungen dazu, dass sich teilweise die Steine aus ihrem Gefüge lösten. Fugenbreiten von fünf bis 60 Millimetern mussten freigeräumt und kraftschlüssig wieder verschlossen werden. Dazu wurden die statisch gestörten Bereiche durch „lineare Auflager“, bestehend aus Faser-Zement-Keilen, die in die Mauerwerksfugen eingebracht wurden, ertüchtigt. Über 6000 dieser rund 30 Zentimeter langen, konisch zulaufenden Faserzement-Keile, die kurz vor dem endgültigen Abbinden bis zum Erreichen ihrer Mindestdruckfestigkeit noch einmal nachverdichtet wurden, verhindern dauerhaft ein erneutes Ausbrechen einzelner Fassadenteile. Der statische Verbund der Fassade ist somit wieder sichergestellt. (Mathias Pfeil) (Insgesamt wurden etwa 9000 Quadratmeter Fassadenfläche überarbeitet - Fotos: Pfeil)

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