Bauen

Das Bürgerhaus aus dem Jahr 1322. (Foto: Bergmann)

29.10.2010

Gotischer Baukasten

Im Freilandmuseum Bad Windsheim wurde ein Bürgerhaus aus dem Jahr 1322 wieder aufgebaut

Man sieht das kleine Haus aus Eichstätt und staunt. Gotisches Fachwerk will nicht zum Gemeinplatz der „barocken Bischofsstadt“ passen, als die sich der Ort vermarktet. Angeblich soll ja die mittelalterliche Stadt dem Brand von 1634 zum Opfer gefallen sein. Außerdem hätte man bei einem Haus aus der Altmühlregion das charakteristische, flach gedeckte Kalkplattendach erwartet statt eines steilen Satteldachs von beeindruckender Größe.
Konrad Bedal, der Leiter des Fränkischen Freilandmuseums, rückt anhand des translozierten Gebäudes die Geschichte zurecht: Tatsächlich bewahrte die Stadt eine beachtliche Zahl mittelalterlicher Fachwerkhäuser. Man hatte sie später lediglich verputzt oder umgebaut. Abbrüche erfolgten in der Regel erst in unserer Zeit. Außerdem ist für Eichstätt charakteristisch ein Nebeneinander von Steildach und Legschieferdach. Zudem ist das neu aufgestellte Fachwerkhaus Beleg dafür, dass Eichstätt im fränkischen Kulturkreis liegt, trotz Zugehörigkeit zu Oberbayern seit 1972. Denn in den Nachbarstädten Ingolstadt, Neuburg oder Regensburg blieb der Skelettbau die Ausnahme.
Die Bedeutung des Hauses betonte schon 1924 der Kunstinventarband durch eine gezeichnete Ansicht und die ausführliche Beschreibung: „Sehr malerisches kleines Haus an der Westecke der Winkelwirtsgasse. Es schmiegt sich mit etwa quadratischem, verschobenem Grundriss in die Ecke des dortigen Häuserblocks. Die Ecke des Erdgeschosses ist abgeschrägt. Das Obergeschoss geht in einen stumpfen Winkel über. Die Vorkragung wird durch einen Spreizbalken getragen. Das Obergeschoss kragt an der Südseite in der Flucht der Fenstersohlen abermals auf zwei Achsen vor. Der Eingang hat rundbogiges gefastes Gewände.“
Jetzt stellte sich jedoch noch heraus, dass das Haus seiner Zeit bautechnisch weit voraus war: „Stockwerkbau“ ohne geschossübergreifendes Fachwerk kennt man eigentlich erst aus dem 15. Jahrhundert. Trotzdem erfolgte im Sommer 1983 der Abriss des wertvollen Kulturdenkmals. Als der Dachstuhl und das Obergeschoss schon in Schutt lagen, informierten Privatleute das Freilandmuseum. So konnten immerhin noch alle Holzteile gerettet werden.
Die äußere Gestalt entspricht nun dem Zustand von 1322. Bauliche Details wie Fensterformen und Wandgestaltung sind dagegen rein hypothetisch. Weil die Originaldecke der guten Stube im Obergeschoss beim Abbruch verloren ging, entschloss man sich, in das translozierte Haus eine reich geschnitzte gotische Balkendecke einzubauen, die ebenfalls aus einem denkmalgeschützten Eichstätter Haus in der Westenstraße stammt, das im Herbst 1989 der Spitzhacke zum Opfer gefallen war.
Pikanterweise handelte es sich dabei wahrscheinlich um das Geburtshaus von Willibald Pirckheimer. Der berühmte Humanist und Freund Albrecht Dürers genießt allerdings in seiner Geburtsstadt ohnehin keinerlei Aufmerksamkeit.
Die Rettung der einzigartigen Decke gelang damals einem aufmerksamen Privatmann unter abenteuerlichen Umständen. Angesichts der architekturhistorischen und kulturgeschichtlichen Bedeutung der beiden Abrisshäuser stellt sich die Frage nach der Rolle der Denkmalpflege. Denn ohne den Einsatz der Privatleute wären die Gebäude spurlos verschwunden. Offenbar fühlte man sich im Landesamt für Denkmalpflege nicht einmal zuständig für die Bergung und Rettung wenigstens der wichtigsten Gebäudeteile, obwohl das der Laie doch für die Aufgabe der Behörde halten möchte. Und was taugt das hoch gelobte bayerische Denkmalschutzgesetz aus dem Jahr 1973 in der Praxis, wenn es den Abriss derartig wertvoller Baudenkmale nicht verhindern kann?
Durch die Translozierung ins Fränkische Freilandmuseum Bad Windsheim bleiben die Häuser immerhin dem kulturhistorischen Gedächtnis erhalten. Aber nach einem Abriss ist das nur die zweitschlechteste Lösung. Denn aus dem stadträumlichen Kontext und der lokalen Geschichte sind sie für immer verschwunden.
(Rudolf Maria Bergmann)

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