Bauen

Rund 35 Millionen Euro wurden in das Geothermieprokjekt investiert. (Foto: Geovol)

05.08.2011

In Rekordzeit zur Energiewende

Unterföhring heizt jetzt mit Geothermie

Rekordverdächtig: In nur 378 Tagen nach der ersten Bohrung hieß es bei der Geovol in Unterföhring „Wasser marsch“. Das war das Startsignal für ein neues Zeitalter der Wärmeversorgung in der Mediengemeinde im Münchner Norden. Seit Anfang Dezember 2009 werden private, gewerbliche und kommunale Immobilien im Versorgungsgebiet der Geovol Unterföhring GmbH mit der umweltfreundlichen und regenerativen Erdwärme beheizt.
„Von Pleiten, Pech und Pannen blieben wir verschont. Im Gegenteil, alle unsere Erwartungen wurden übertroffen“, freut sich Peter Lohr, Geschäftsführer der Geovol. Die 100-prozentige Tochtergesellschaft der Gemeinde Unterföhring ist verantwortlich für die Gewinnung und Versorgung der 9200 Einwohner zählenden Kommune mit Erdwärme. Fast könne man von einem Projekt der Superlative sprechen, so Lohr. „Unser Mut und die Energie, die wir in das Projekt gesteckt haben, sind belohnt worden“, betont auch Bürgermeister Franz Schwarz erfreut, der zugleich als Aufsichtsratsvorsitzender der Geovol Unterföhring GmbH fungiert. Nicht nur die Prognose von 80 Grad Celsius und 35 Liter Schüttmenge pro Sekunde wurde deutlich übertroffen. Nach Feststellung der Fündigkeit Anfang 2009 stand fest: Das aus 2500 Meter Tiefe beförderte Wasser ist 86 Grad Celsius warm, mehr als 50 Liter können pro Sekunde gefördert werden.
Ebenso sei die Strategie des sehr engen Zeitplans aufgegangen. Die Entscheidung, mit dem Bau des Fernwärmenetzes bereits vor der Feststellung der Fündigkeit zu beginnen, war sicherlich nicht ganz ohne Risiko. Allerdings hatten sich die Verantwortlichen entsprechend abgesichert. „Wir wollten uns nicht nur auf theoretische Berechnungen verlassen. Deshalb haben wir uns als erstes Geothermieprojekt in Bayern eine eigene Seismikuntersuchung geleistet“, erklärt der Geovol-Manager.
Mit dieser Untersuchung wurde eine „Landkarte des Erdinneren“ erstellt. Der Vorteil: Somit konnte sehr genau geortet werden, wo sich Schichten befinden, die besonders viel heißes Wasser führen. Dadurch war eine zielgenaue Bohrung möglich und das Risiko der Nichtfündigkeit sehr gering. Auch die Entscheidung für den Bau der Energiezentrale wurde noch vor der Feststellung der Fündigkeit gefällt.
Während am Etzweg das neue Domizil für Technik und Verwaltung fertiggestellt wurde, lief bereits die Installierung der ersten Wärmeübergabestationen in den Häusern der zukünftigen Kunden. Denn sehr frühzeitig, bereits im Januar 2008, hatte Geovol mit der Akquise begonnen. „So konnten wir nur ein Jahr nach der ersten Bohrung bereits für die Heizperiode 2009/2010 heißes Thermalwasser liefern. Immerhin waren das bereits 130 Objekte mit insgesamt 1200 Haushalten“, sagt Lohr und fügt hinzu, „trotz des langen und sehr kalten Winters mussten wir nicht zufeuern, alles hat perfekt geklappt.“
Mittlerweile werden bereits 260 Objekte mit Erdwärme versorgt. Dazu zählen auch Großunternehmen wie zum Beispiel Swiss Re, einer der weltweit führenden Rückversicherer mit insgesamt 600 Mitarbeitern. Selbstverständlich sind bereits zahlreiche kommunale Gebäude wie das Rathaus, Kindergärten, die Schule, das Bürgerhaus und Sportstätten angeschlossen.
Schon lange bevor die Geothermie in Bayern so boomte wie heute, lagen dem Unterföhringer Gemeinderat und Bürgermeister Franz Schwarz eine umweltfreundliche, preisstabile und von Öl und Gas unabhängige Energieversorgung am Herzen. Einstimmig beschlossen die Unterföhringer Politiker bereits 2005 die Sicherung der Bergbaurechte und beantragten die Erlaubnis zum Aufsuchen von Erdwärme. Im Mai 2007 sprach sich der Gemeinderat ohne Gegenstimmen in einem Grundsatzbeschluss für die Nutzung der Geothermie aus. Bereits vier Monate später wurde die Geovol Unterföhring GmbH gegründet. Acht Wochen danach, im November 2007, wurde der Kaufvertrag für das Bohr- und Betriebsgründstück am Etzweg unterzeichnet.

Ein 36 Meter
hoher Bohrturm


Kaum war der Winter vorbei, ging es Schlag auf Schlag. Bereits im Januar 2008 legte der Gemeinderat die Preise und Kundenverträge fest. In einer ersten öffentlichen Veranstaltung wurden die Unterföhringer ausführlich über die Energiewende informiert. Im April 2008 konnte der Bohrauftrag erteilt werden. „Glückauf“, hieß es gemäß des Bergmannsgrußes kurz darauf im Juni beim Spatenstich auf dem Bohrgelände. 36 Meter ragte der Bohrturm beim Etzweg in die Höhe und entpuppte sich für viele Spaziergänger als interessantes „Ausflugsziel“. Rund achtzig Tage dauerte die Thermalbohrung, bis es am 6. Februar 2009 in 2512 Meter Tiefe hieß, „fündig“. Die zweite Bohrung war bereits erfolgreich nach 52 Tagen beendet.
Exakt mit der Fündigkeit der Thermalbohrung 2 im Mai 2009 fiel auch der Baubeginn der Energiezentrale zusammen. Architekt des Gebäudes war Klingenmeier Beratende Ingenieure, Amorbach. Die komplette Heizzentrale mit Thermalwasserkreislauf, Anlagenbau, Spitzenlastkesselanlage, Elektrotechnik sowie das gesamte Fernwärmenetz mit Übergabestationen wurde vom Ingenieurbüro KESS GmbH/Prien geplant.
Oberbayerns Regierungspräsident Christoph Hillenbrand, zu dessen Zuständigkeit das für Geothermie verantwortliche Bergamt Südbayern gehört, gratulierte Unterföhring anlässlich der Einweihung der Energiezentrale Ende Juni 2010 zu dem „zukunftsweisenden Schritt zu einer heimischen und klimafreundlichen Energiequelle, die noch dazu nachhaltig ist. Betrachten Sie die Geothermie als Geschenk“, sagte Hillenbrand, „nicht jede Region in Deutschland ist damit gesegnet.“
Landrätin Johanna Rumschöttel lobte die Unterföhringer und deren Gemeindevertreter für ihren Beitrag zur Energievision des Landkreises, die bis zum Jahr 2050 eine Reduzierung des Energieverbrauchs um 60 Prozent vorsieht und die restlichen 40 Prozent aus regenerativen Energien decken will. „Unterföhring hat Mut zum Risiko bewiesen. Dem Bürgermeister und den Gemeinderäten wurde mit dem Erfolg des Geothermieprojekts Recht gegeben für die mutige Entscheidung“, so die Landrätin.
Zum Wohle der Bevölkerung – und um nicht zum Spielball großen Energieversorger zu werden, entschieden sich die Lokalpolitiker bewusst dafür, das sich auf insgesamt 35 Millionen Euro belaufende Geothermieprojekt in kommunaler Eigenregie zu betreiben. „Wir als Kommune sind nicht auf Gewinnmaximierung fixiert. Einfluss auf die Preisgestaltung haben wir nur, wenn wir unabhängig bleiben“, begründet Bürgermeister Schwarz diesen Schritt. Das zahle sich bereits entsprechend für die Kunden aus: Nach dem Motto „Billiger statt teuer“ konnten ganz entgegen dem üblichen Trend die Preise für die Kunden zum 1. Oktober 2010 sogar um 2,83 Prozent gesenkt werden. Auch die Anschlusskosten blieben selbst beim fünften Bauabschnitt in Folge konstant.
Dank der Kredite der KfW-Mittelstandsbank, die über ihr Förderprogramm „Erneuerbare Energien – Tiefe Geothermie“ Hausanschlüsse bezuschusst, erhielten die Kunden der Bauabschnitte 2008 und 2009 sogar 1800 Euro zurück. Kombiniert mit dem 50-prozentigen Frühbucherrabatt belief sich der Preis für einen Standardhausanschluss mit 15 kW nur noch auf 1770 Euro. „Die Kunden von späteren Bauabschnitten können voraussichtlich ebenfalls davon profitieren“, davon geht Lohr aus. „Die entsprechenden Anträge haben wir seitens der Geovol bereits gestellt.“
Umso weniger nachvollziehen kann der Manager die Entscheidung, dass ausgerechnet im KfW-Programm „Erneuerbare Energien“ zum 1. April 2011 – also unmittelbar nach der Havarie in Japan – die Förderung für Wärmenetze, die aus erneuerbaren Energien gespeist werden, um 25 Prozent gekürzt wurden. „Statt 80 Euro gibt es nur noch 60 Euro je Trassenmeter. Das summiert sich durchaus“, so Lohr. Insgesamt sind bereits 16 Kilometer Fernwärmenetzleitungen verlegt. Für das Jahr 2012 werden weitere drei Kilometer hinzukommen. Denn die Nachfrage nach der Wärme aus der Tiefe in der Bevölkerung wächst stetig. Das zeigt auch die Akquise für den Bauabschnitt 2012.

Wachsendes Umweltbewusstsein


„Von 97 Objekten, die vom Einfamilienhaus über große Wohnanlagen bis zu Unternehmen reichen, stellten in diesem Abschnitt bereits 56 einen Antrag auf Anschluss. Optionsverträge mit eingeschlossen“, zählt Lohr auf. „Bisher pendelte das Erstanschlussergebnis um die 50 Prozent. Jetzt ist der Anteil auf 58 Prozent gestiegen. In den ursprünglichen Planungen war sogar nur mit einer Erstanschlussquote von 35 Prozent kalkuliert worden. Vielleicht liegt es an den steigenden Preisen bei Öl oder Gas oder auch an dem wachsenden Umweltbewusstsein nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima“, mutmaßt der Geschäftsführer.
Aus welchen Gründen auch immer, in jedem Fall trägt jeder Geovol-Kunde aktiv zum Umweltschutz bei. Mittelfristig werden jährlich 17 000 Tonnen CO2 vermieden. Dies entspricht rund 230 Tanklastzügen voll mit Heizöl, oder anders gerechnet: Mit dieser Energie könnte ein Mittelklasse-Pkw knapp 100 Millionen Kilometer zurücklegen. In 20 Jahren bei der Erreichung der Endausbaustufe mit rund 30 Megawatt (MW) summiert sich die CO2-Reduzierung hochgerechnet auf rund 300 000 Tonnen. Ein beachtlicher Beitrag zum Klimaschutz – den es preiswert vor der eigenen Haustür gibt. Und das Sahnehäubchen obendrauf heißt regionale Wertschöpfung: Denn mit Geothermie werden Arbeitsplätze direkt vor Ort gesichert. (Petra Keidel-Landsee)

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