Bauen

Dachausbau Black Pearl von Flatz Architects. (Foto: Ausstellung)

09.11.2012

Junge Ideen gesucht

Expertengespräch über die Förderung von Nachwuchs-Architekten in Wien und München

Architektur von Gabu Heindl sagt „Ja“ und „Nein“: „Ja“ zur Gestaltung öffentlicher Bauten. „Nein“ zu chauvinistischer, rassischer oder diskriminierender Architektur, zu ausbeuterischen Projektanträgen, suburbanisierenden Einfamilienhäusern oder Spekulationsobjekten. Die Österreicherin baut Kindergärten und dekonstruiert mal ebenso spielerisch ein Gebäude, indem sie in einer Art Kunstaktion dessen Putzfassade stellenweise bis zum Ziegelmauerwerk abschlägt. Den blanken, jeglicher Witterung ausgesetzten Wandstücken werden temporär neue Fluchtlinien und Routen von Zwangsarbeitern einbeschrieben. So rechnet sie auf ihre Art ab mit dem historisch belasteten Brückenkopfgebäude in Linz, das Zeugnis ablegt von den Gräueltaten nationalsozialistischer Vergangenheit.
Welches Potenzial schlummert beim Architektennachwuchs? Geben junge Architekten Denkanstöße für die Zukunft? Ist die Zukunft einer Stadt überhaupt planbar? Bedarf Architektur der Förderung? Warum werden Wettbewerbe ausgelobt? Wieso schaut München nach Wien, wenn es um hochwertige Architektur geht? Gibt es zwischen den beiden Metropolen Gemeinsamkeiten? Müssen junge Talente von Seiten der Bauherrn unterstützt werden? Ist ein Architekt noch jung, wenn für die meisten anderen Menschen die Midlife-Crisis anbricht? Und was ist „Yo.V.A.“?
Fragen über Fragen. Dass für deren Beantwortung eine einstündige Podiumsdiskussion bei weitem nicht ausreicht, versteht sich von selbst. Das hat jüngst das Expertengespräch zum Thema „Infusion oder Gießkanne? Förderung junger Architekten in Wien und München“ gezeigt. Paritätisch besetzt war die Runde des Architekturclubs der Bayerischen Architektenkammer mit jeweils zwei Münchner und Wiener Architekten, die in unterschiedlichen Funktionsbereichen tätig sind. Den Abend moderierte der Architekt und Stadtplaner Peter Scheller. Der gebürtige Wasserburger und selbst Förderpreisträger für Architektur der Landeshauptstadt München 2011 ist Gründungsmitglied der PAM, einer Architektengruppe, die sich der Architekturvermittlung verschrieben hat. Scheller selbst übersetzt PAM, ansässig in Paris, Amsterdam und München, scherzhaft als „positive Architekturmafia“.

Über den eigenen
Tellerrand schauen


Manchmal tut es gut, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Die Wiener haben es vorgemacht. Sie sind in München vielfach präsent: Schelle verweist in diesem Zusammenhang auf das Österreichische Büro Ortner & Ortner, das das derzeit entstehende Neubaugebiet Freiham im Westen von München plant und das innerstädtische Rodenstockareal mit luxuriösen Wohnungen bebaut.
Österreich hat vor einigen Jahren auf Initiative der Wiener Stadtverwaltung die „Wiener Architekturdeklaration“ veröffentlicht, zu deren Leitlinien Qualität im Planen und Bauen, Transparenz der Verfahren und Diskussionsbereitschaft zählen, erklärte der Leiter der Magistratsabteilung 19 Architektur und Stadtgestaltung der Stadt Wien, Franz Kobermaier. In diesem Zusammenhang wurde „Yo.V.A. – Young Viennese Architects“ initiiert, eine Ausstellungs- und Publikationsreihe zur Förderung junger Wiener Architekten. Derzeit sind sie mit ihrer dritten Neuauflage zu Gast im Haus der Architektur der Bayerischen Architektenkammer in der Waisenhausstraße 4. Ein Dutzend Architekturbüros zeigen auf Stellwänden ihre Projekte der Öffentlichkeit. Mit Fotos, Plänen, erklärenden Texten wird ein bunter Querschnitt der jungen aktiven Wiener Architekturszene evident.
Eingebettet in pittoresk ländlicher Umgebung agiert das Büro „Sputnic“ des Architekten Norbert Steiner. Seine Kapelle am Tiroler Walchsee ist ein begehbarer Betonturm, der durch einen einzigen Sehschlitz am Knickpunkt einen nur begrenzten Ausblick auf die Moorlandschaft am Fuß des Turms gewährt.
Nicht weniger vor Kreativität vibrierend kommt auch das Wiener Büro Studiogruber daher mit einem Entwicklungsplan für einen Wohninselarchipel, indem eine Vielzahl klaustrophobisch umschlossener Zellen das Umland von Wien verdichten. Der dafür verantwortlich zeichnende Architekt Stefan Gruber nennt es: „Akupunktur Urbanismus“.
Überhaupt hat Architektur in Wien immer schon eine Rolle gespielt, so Senatsrat Franz Kobermaier, Kurator der Ausstellung. Erinnert sei hier nur an die berühmten Architekten der Jahrhundertwende: Adolf Loos, Otto Wagner und Josef Hoffmann. In den letzten Jahren ist in Wien eine offene, innovative, junge Architekturszene entstanden. Nicht zuletzt auch dank der Stadt, die den Architekturschaffenden mit Projekten, Ideen und Konzepten eine Plattform geschaffen hat. Lieferant Wiener Spezialitäten der Baukunst ist Martin Flatz.
Sowohl in der Ausstellung, als auch als Diskussionsteilnehmer vertreten, sprach sich der selbstständige Architekt und Anhänger des ökonomischen Pragmatismus gegen die Förderung junger Architekten aus. Sein Credo: Die Zeit ist der Stoff, aus dem die Architektur gemacht ist. An Ideenreichtum fehlt es dem ehemaligen Schützling des Wiener Büros Coop Himmelb(l)au in keinster Weise. Seine Terrasse für den Dachausbau „Black Pearl“ seiner eigenen Wohnung gleicht einem Schiffsdeck und ein Fenster erinnert an ein Flugzeugcockpit.

Experimentelle Solitärbauten


Erinnert sei in diesem Zusammenhang an Münchens experimentellste Solitärbauten wie den Neubau der Akademie der Bildenden Künste und die BMW-Welt, hinter denen der Wiener Wolf D. Prix steht. Er ist Mitbegründer von Coop Himmelb(l)au und einer der einflussreichsten Architekten unserer Zeit mit unübersehbarer Vorbildfunktion für die Nachwuchsgeneration.
Susanne Ritter, Leiterin der Hauptabteilung 2 Stadtplanung im Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt, lobte die Ausstellung und stellte in punkto Nachwuchsförderung Parallelen zu München fest. „Förderung der jungen Büros geschieht direkt wie indirekt über Wettbewerbe.“ Die Bereitschaft steige auch auf Seiten privater Investoren verstärkt auf Wettbewerbe zu setzten, um gute kreative Lösungen zu erzielen. „Viele Wege führen nach Rom – wir brauchen ein breites Spektrum“, sagte die Expertin und plädierte für die Vielfalt der Möglichkeiten, um Baukultur und gute Architektur zu fördern.
Franz-Josef Balmert, Leiter der Hauptabteilung Hochbau im Münchner Baureferat, begleitet als starker Bauherr junge Architekten. Er setzt auf nachhaltiges Bauen und will jungen Architekten eine Chance geben mit kleineren Projekten, wie beispielsweise dem Bauaufvon Kindergärten, um sich in der Branche zu bewähren.
Fazit: München und Wien eint mehr als nur eine Städtefreundschaft. Beide Metropolen mit prognostizierter enormer Wachstumsperspektive benötigen hochwertige Architektur, die der wertvollen historischen Substanz gerecht werden muss. Die Überzeugung, dass dafür auch junge Ideen gebraucht werden, welche es zu fördern gilt, sind sich die städtischen Baubeauftragten über die Landesgrenzen hinweg einig. (Angelika Irgens-Defregger) (Das Themengebäude für die EXPO 2012 in Yeosu in Südkorea von Soma-Architecture, Wien. - Foto: Ausstellung)

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