Bauen

Die drei Forschungshäuser in Bad Aibling, die im Rahmen des Projekts der Forschungsgruppe „Einfach bauen“ an der Technischen Universität München gebaut wurden. (Foto: Sebastian Schels/PK Odessa)

05.08.2022

Konzentration auf das Wesentliche

Fachgespräch im Bayerischen Landtag zur Einführung eines „Gebäudetyp E“, einer Initiative der Bayerischen Architektenkammer

Neben hohen Bodenpreisen, Kostensteigerungen bei Roh- und Baustoffen sowie galoppierenden Energiepreisen sorgt vor allem ein enges Korsett an gesetzlichen und privatrechtlichen Anforderungen für hohe Baukosten. Um auch künftig bezahlbaren und qualitätvollen Wohnraum schaffen zu können, sind alle am Bau Beteiligten gefordert, Vorschläge zu entwickeln. Die Bayerische Architektenkammer hat dazu die Initiative „Gebäudetyp E“ – E wie einfach beziehungsweise experimentell – entwickelt, die auch bei der Politik auf durchaus fruchtbaren Boden stößt. 

Zur Einführung eines Gebäudetyp E hat der Vorsitzende des Ausschusses für Wohnen, Bau und Verkehr, Sebastian Körber (FDP), zu einem öffentlichen Fachgespräch mit Expertinnen und Experten und anschließender Aussprache in den Bayerischen Landtag eingeladen.

Planen und Bauen sind nach den Worten der Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, Lydia Haack, gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Die gesteckten Ziele im Wohnungsbau lassen sich ihrer Ansicht nach nur durch eine konzertierte Vorgehensweise aller Beteiligten (Auftraggeber, Planer, Bauausführende) erreichen. Daher müsse den planerischen Rahmenbedingungen mehr Bedeutung beigemessen werden, um das Bauen wieder bewältigbar und erschwinglich zu gestalten. Derzeit verschärfe sich die Lage jedoch zusehends. Als Beispiel nannte sie die regulatorischen Vorgaben, um die aus Klimaschutzgründen notwendige Energiewende schnellstmöglich voranzubringen. Dies betreffe insbesondere Bestandsbauten, auf die ein erheblicher Teil der CO2-Emissionen zurückfallen. „Sowohl in Hinblick auf die angestrebten Klimaziele als auch zur Steigerung der Innovationskraft ist hier ein Umdenken dringend erforderlich“, erklärte Haack.

Fast alle zu beachtenden Normen sind nach den Worten der Kammerpräsidentin privatrechtlicher Natur und werden als sogenannte Regeln der Technik zum Standard. Ihre Einhaltung ist damit Voraussetzung für ein mangelfreies Bauwerk, ohne beispielsweise aus Gründen der Bauwerkssicherheit zwingend erforderlich zu sein. Über die Jahrzehnte habe sich so ein Regelwerk aus DIN-Normen, Richtlinien und Labels etabliert, das großenteils nicht der Qualitätssicherung des Bauens dient, sondern im Gegenteil eher ein Hemmnis darstellt, urteilt Haack. Mittlerweile werde so vor allem der Absatz von Produkten und Systemen der Baustoffindustrie gefördert.

Aufgrund der kritischen wirtschaftlichen Situation können Bauherren und Planende derzeit nicht die erforderlichen Prioritäten setzen, um unter anderem auch neue Wege in Bezug auf das klimaneutrale Bauen zu beschreiten, denn die „anerkannten Regeln der Technik“ sind rechtlich bindend. Eingespart werden könne nur noch an der Qualität des Bauwerks, zum Beispiel bei der Wahl der Materialien oder unter nachhaltigen räumlichen und gestalterischen Aspekten. „Ergebnis ist mittlerweile eine Neubauroutine, die eine qualitätsarme Gleichförmigkeit bei gleichzeitiger Einhaltung von Standards aufweist. Ein Zustand, der jeglicher Innovationskraft abträglich ist“, bedauert die Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer.

Aus Sicht der Architektenkammer bedarf es daher dringend einer „Diät“, um sich vom „Speckmantel“ aus Normen und Richtlinien zu befreien, forderte Haack. Wie sich aus den Erfahrungen verschiedener Baukostensenkungskommissionen und der unmittelbaren Tätigkeit in Normungsausschüssen gezeigt habe, stelle sich beim Nach- beziehungsweise Feinjustieren von Normen keine nachhaltige Wirksamkeit ein. Im Gegenteil, es komme zu einen Jo-Jo-Effekt. Einer Hydra gleich entsteht laut Haack mit jeder Korrektur einer Norm eine Vielzahl weiterer Richtlinien, die mit der Zeit – aus welchen Gründen auch immer – zum Stand der Technik werden und damit aufgrund ihrer Einklagbarkeit Rechtsverbindlichkeit entfalten. Mittlerweile ist man bei über 3000 zu beachtenden Normen angelangt.

Mittels des neu einzuführenden Gebäudetyp E sollen all jene Versuche experimentell möglich werden, die dazu beitragen, nachhaltige Gebäude möglichst kostengünstig zu bauen, erklärte die Kammerpräsidentin. Der Gebäudetyp E ermöglicht es, im Rahmen der Nomenklatur der Gebäudeklassen Projekte einfach, aber trotzdem sicher ausführen zu können.

Für Gebäude des Typ E soll verbindlich nur der Text der Bayerischen Bauordnung (BayBO) gelten. Auf Ebene des BGB müsste eine Öffnungsklausel eingeführt werden, die es den Vertragsparteien ermöglicht, befreit von den allgemein anerkannten Regeln der Technik zu planen und zu bauen, fordert Haack. Diese flankierende zivilrechtliche Absicherung auf Bundesebene sei entscheidend, damit Unternehmer*innen und Bauherren individualvertraglich eine entsprechende Beschaffenheitsvereinbarung – losgelöst von den allgemeinen Regeln der Technik – eingehen können.

Fachkundige Bauherren und Planende sollten die Chance erhalten, sich selbst auf die für notwendig erachteten Standards zu verständigen. Selbstverständlich müssten die in der Bauordnung verankerten Schutzziele (Standsicherheit, Brandschutz, gesunde Lebensverhältnisse und Umweltschutz) weiter gelten.

Fachkundige Bauherren hätten mit Einführung des Gebäudetyp E auf Ebene der Landesbauordnung die Freiheit, selbstbestimmt die notwendigen Abwägungsprozesse mit ihren Architekt*innen zu gestalten. Architekten und Ingenieure aller Fachrichtungen wären im Gegenzug in der Lage, durch planerische Innovationen einen entscheidenden Beitrag zu leisten, um zu erschwinglicherem Wohnraum für die Bürgerinnen und Bürger zu kommen. Der Gebäudetyp E könnte daher, so Haack, ein wirkungsvoller Beitrag auf dem Weg sein, die erforderlichen Wohnungsbauziele ohne Abstriche bei der Nachhaltigkeit zu erreichen.

Bei Normen und Vorschriften gibt es auch nach den Worten von Norbert Gebbeken, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, ein riesiges Einsparpotenzial. Das Abweichen vom Stand der Technik birgt seiner Ansicht nach jedoch Haftungsfragen, selbst dann, wenn Bauwillige (vertraglich) zugestimmt haben. Planerinnen und Planer bräuchten in jedem Fall Rechtssicherheit. Einfach, kostengünstig, nachhaltig und qualitätvoll Bauen benötigt Kreativität und Innovationen, betonte Gebbeken. Diese müssen schnell in die Praxis umgesetzt werden. Dafür bedürfe es weiterer Elemente, als die Zustimmung im Einzelfall. Die öffentliche Hand sollte mit Pilotprojekten vorangehen und beispielgebend sein. Eine Gebäudeklasse E kann helfen, Möglichkeiten deutlich zu machen und den Bauwilligen die Philosophie zu veranschaulichen.

Um nachhaltige Gebäude einfach und bezahlbar zu bauen, schlug Architekt und Stadtplaner Florian Dilg vor, bei der technischen Ausrüstung selbst Ziele festlegen zu können. Es sollte erlaubt sein, die Normen zu verlassen. Als Beispiele nannte Dilg hohe Schallschutzanforderungen, die zu einem Mehr an Materialverbrauch führten. Das sei nicht nur Geldverschwendung, sondern ziehe auch steigende CO2-Emissionen nach sich.

Nach Dilgs Ansicht macht die Kennzeichnung mit dem Typ „E“ den Verbraucherinnen und Verbrauchern deutlich, dass es sich um Gebäude mit reduzierter Einhaltung von Normen handelt. Der Vorteil sei die „Freiheit für Innovation und umweltbewusstes Bauen“. Nach Dilgs Ansicht „entstehen durch die Gebäudeklasse E keine Unsicherheiten, da das bestehende System nicht verändert wird. Es wird eine neuer Planungsweg hinzugefügt, der in einen neuen Raum von Möglichkeiten führt.“

Im Rahmen des Forschungsprojekts „Einfach Bauen“ ist es Florian Nagler, Architekt und Professor an der Technischen Universität München (TUM), und seinem Team gelungen, einen Weg aufzuzeigen, wie Bauen heute alternativ einfacher gedacht und umgesetzt werden kann. Dabei handelt es sich um den Bau von drei Forschungshäusern in Bad Aibling.

„Entgegen unserer Annahme, ist uns dies sogar im Rahmen der geltenden Vorschriften – soweit sie uns bekannt sind – gelungen“, freute sich Nagler. Allerdings sei dies eben nur im Rahmen des Forschungsprojekts möglich gewesen. Im „normalen“ Baugeschehen, so Nagler, wäre ein solches richtungsweisendes Bauvorhaben ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. „Wir benötigen aber dringend mehr solche Projekte, die über den Tellerrand hinausblicken. Es muss auch ohne Forschungsprojekt möglich sein, neue Wege zu erkunden und Innovationen voranzutreiben.“ Dies sei sowohl im Hinblick auf die angestrebten Klimaziele, als auch auf die Innovationskraft des Standorts Deutschland unbedingt erforderlich. Die Vielzahl der sich teilweise sogar widersprechenden Vorschriften sei hierbei völlig kontraproduktiv, bremse jede Initiative aus und führe zu ängstlicher Verunsicherung bei allen Beteiligten.

Allerdings hält Nagler die Vorstellung, dass man alle in Deutschland und der Europäischen Union geltenden Bauvorschriften einer Überprüfung und Entschlackung unterziehen könnte, für weltfremd.

„Der Vorschlag des Gebäudetyps/einer Gebäudeklasse E durchschlägt jedoch den gordischen Knoten und eröffnet mit einem Schlag völlig neue Perspektiven und Möglichkeiten“, so der Wissenschaftler. E könne stehen für: einfach, energiebewusst, experimentell, aber auch für empathisch und enthusiastisch. „Wenn wir wirklich eine Chance haben wollen, das anspruchsvolle Ziel, das wir uns als Gesellschaft gesetzt haben, den Energieverbrauch – vor allem auch im Bauwesen – signifikant zu reduzieren, erreichen wollen, bedarf es dringend dieses Gebäudetyps/dieser Gebäudeklasse E. Sie wird bei Planern, Bauherren und Firmen die Energie und Begeisterung freisetzen, die dringend erforderlich ist, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.“

Dass bezahlbares Wohnen zu einer gewaltigen Herausforderung geworden ist, betonte auch Reinhard Zingler, Berater des Fachausschusses Technik des Verbands bayerischer Wohnungsunternehmen (VdW Bayern). „Das Problem ist die Fülle der anerkannten Regeln der Technik.“ In diesem Regelungsdickicht und in der komplexen Technisierung sieht er den Grund für das Ausbremsen der bayerischen Wohnungswirtschaft.

Gleichzeitig verwies Zingler auf die positiven Erfahrungen die die GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München mit dem Gebäudetyp E gemacht hat. Ziel der Projekte sei immer gewesen, Standards zu hinterfragen und einfacher sowie kostengünstiger zu bauen. Häufig gebe es beispielsweise bei Mieter*innen Probleme mit der Handhabung komplizierter Technik. Insgesamt sei es nun aber notwendig, vom Experiment in die Breite zu kommen. Jedoch bremste Zingler die Erwartungen und erklärte: „Einfaches Bauen wird zunächst experimentelles Bauen sein, mit einem wachsenden Katalog an Beispielen.“

Sowohl in den weiteren Expertenvorträgen wie auch in der anschließenden Aussprache ging es darum, wie Standards und bürokratische Hürden beim nachhaltigen Bauen reduziert, Gestaltungsmöglichkeiten für Planende und Architekt*innen flexibilisiert werden und ein Gebäudetypus E angesichts zahlreicher Haftungsfragen in der Praxis rechtssicher umgesetzt werden könnte. Dabei wurde von allen Fraktionen zum Ausdruck gebracht, dass die Einführung eines Gebäudetypus E in die Bayerische Bauordnung ein richtiger Weg dafür sein könnte, nachhaltiger und gleichzeitig einfacher zu bauen.

Den Vorschlag, die einfache Gebäudeklasse E als Standard einzuführen, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, hielt Dilg für unrealistisch. Eine solch rigorose Änderung der Bauordnung, so seine Prophezeihung, werde es so schnell nicht geben. Der Architekt plädierte vielmehr für ein Label des Typs E.

Olrik Vogel, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, empfahl zunächst ein zweigleisiges Vorgehen. Zum einen müssten Minimalstandards für Brandschutz, Standsicherheit und Schallschutz definiert werden. Dieser Schritt müsse jedoch durch eine zivilrechtliche Öffnungsklausel auf Bundesebene flankiert werden, die es fachkundigen Vertragsparteien ermögliche, abweichend von den geltenden anerkannten Regeln der Technik einen Gebäudetypus E als spezielle Beschaffenheit im Vertrag rechtssicher zu vereinbaren, erklärte der Fachanwalt.

Abschließend erklärte der Ausschussvorsitzende: „Wir haben heute viele gute Gedanken gehört, die uns überzeugt haben. Und wenn man überzeugt ist, müssen Gesetze auch geändert werden. Nach den ersten positiven Reaktionen aus allen Fraktionen bin ich zuversichtlich, dass wir den Gebäudetypus E gemeinsam auf den Weg bringen werden.“ (Friedrich H. Hettler)
 

Kommentare (1)

  1. K.-H. Tröndle am 18.08.2022
    Welchen Nutzen haben neue Gesetze und eindeutige politische Proklamtationen wenn Richter daherkommen, die das nicht respektieren, die die Zeitenwende im Baugeschehen nicht realisiert haben und jegliches Maß an Empathie vermissen lassen? Grundrechte (z.B. Art. 106 (1) BV stehen vor richterlichem Ermessen und das BauGB gebietet bereits seit 2017, daß "insbesondere die Wohnbedürfnisse von Familien mit mehreren Kindern zu berücksichtigen sind". Mir hat das VerwG die Baugenehmigung für die Erweiterung meines DG um ein 40 m² Wohnmodul zerbombt mit irriger abstandsrechtlicher Begründung obwohl direkt nebenan mehrfach entsprechende Grenzbebauung erfolgt ist. Bequemerweise hat man sich dazu im copy & paste Urteile aus den vergangenen 20 Jahren zusammengeklickt und vorgetragene Fakten ignoriert. Mit derart rückwärtsgewandten, der Zeitenwende entkoppelten Beschlüssen wird keine Zukunft gestaltet und dem Willen des Gesetzgebers nicht entsprochen, geschweige denn den Bedürfnissen einer Familie mit 3 Kleinkindern die sich jetzt eine neue Bleibe suchen muß. Sture Staatsgewalt zerstört hier einen Familenverbund von 8 Personen, ganz abgesehen vom finanziellen Schaden.
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