Bauen

Die Vinothek des Weinguts Stein ist mit senkrechten Eichenholzlamellen verkleidet. (Foto: Weingut Stein)

24.06.2011

Schicke Häuser rund um den Rebensaft

Zeitgenössische Weinarchitektur in Franken

Deutsche Weingüter waren lange Zeit holzvertäfelte, dunkle Probierstuben. Inzwischen setzt man auf zeitgenössische Architektur. Das beweist die Anbauregion Franken beispielhaft.
Ein fränkischer Winzer mit Namen Sauer wurde gerade vom Fallstaff, dem wichtigsten Weinmagazin in Österreich, zum „Winzer des Jahres 2011“ gekürt. Außerdem war er bei der „Wine & Spirit Competition“ in London 2004 der „beste Weißweinproduzent“ weltweit. Es ist die höchste Auszeichnung, die die internationale Weinwelt zu vergeben hat.
Dass so jemand wie Horst Sauer seine edlen Tropfen nicht im dunklen Keller reifen lässt und sein Endprodukt wie Schmuck in Vitrinen inszeniert, ist irgendwie nachvollziehbar. Sauers Juwelen heißen Silvaner, aber auch Riesling, weißer und roter Burgunder und Müller-Thurgau. Seine Besonderheit: der Blaue Silvaner, der selbst im Silvaner-Anbaugebiet Franken selten ist. Aus ihm keltert er einen seiner besten Weine. Ihn gibt es nur in sehr kleinen Mengen.
Die Franken bauen nun schon seit mehr als 1000 Jahren Wein ein. Und wer böse ist, könnte jetzt sagen: Seit 980 Jahren tun sie das in den gleichen dunklen und feuchten Gemäuern. Seit dem späten Mittelalter sind es Fachwerkanwesen. Die alte Generation findet es immer noch sehr schön, bei einem Viertele in diesen schummrigen Probierstuben zu sitzen, die auch tagsüber die Erleuchtung durch Glühbirnen brauchen, damit der Gast überhaupt erkennt, was er da nun im Glas hat. Und wo die Plastiktrauben-Deko an den Wänden mit den Jahren ähnlich viel Staub ansetzt wie deren Besitzer Körpermasse.
Das hat sich mit Winzern wie Horst Sauer seit einigen Jahren gewaltig geändert. Der 56-jährige Franke ist in dieser alten Winzerwelt aufgewachsen. Seit er vier Jahre ist und selbstständig gehen kann, steht er am Hang, der seiner Familie gehört. Unten windet sich der Main kurvenreich zu einer Schleife. Sein 350-Seelen-Dorf Escherndorf steht eingeklemmt zwischen Berg und Main, genauso eingeklemmt ist auch sein Hof in der Straße, die so lustig heißt wie die markante bauchige Weinflasche der Region: Bocksbeutel.
Nun, in der Bocksbeutelstraße 4 steht Sauers Hof und der schaut ganz anders aus, als all die geraniengeröteten Häuser ringsherum. Sauers Weingut, das zwecks Enge in die Höhe baut, ist eine architektonische Ausnahme-Erscheinung im Ort: Hell, modern, zeitgenössisch. Sauer sagt: „Ich wollte von Anfang an ein Weingut bauen, in dem ich mich selbst wohlfühle: mit modern reduzierter Architektur, innen wie außen.“ Damit hat er dem Frankenwein ein modernes Gesicht verpasst.
Er hat sich die Lage am Hang zunutze gemacht und viele Nächte mit den Architekten Dold & Versbach aus Giebelstadt sowie Jutta Staudt aus Mainstockheim, die sich um die Innenarchitektur kümmerte, zusammengesessen und ausgeklügelt, wie sie mit dem Platzproblem umgehen. Die Lösung stellt Altes auf den Kopf: Oben, im dritten Stock, werden die Trauben vom Weinberg angeliefert, im zweiten Stock befindet sich der Weinkeller, im ersten das Lager und im Erdgeschoss befindet sich der Verkaufsraum sowie seine Schatzkammer mit Raritäten.
Frankreich und das kalifornische Napa Valley läuteten in den 1980er Jahren den Aufbruch in ein neues Zeitalter der Weinarchitektur ein: In einer Ausstellung im Centre Pompidou in Paris unter dem Titel „Chateau Bordeaux“ (1988) wurde erstmals thematisiert, dass die kulturelle Vermittlung des Weins maßgeblich auch über Architektur erfolgt. Und die Kalifornier starteten eine riesige PR-Offensive, mit der Absicht, ihren Wein mithilfe von spektakulären Bauten besser an den Mann und die Frau zu bringen. Die zentrale Botschaft hieß: Wein ist nicht Alkohol, Wein ist Kultur. Erstmals gab es Führungen, Verkostungen und Gastronomie beim Winzer. Heute würde man sagen: Weinkauf wird zum Erlebnis.

Modern mit farbigem
Licht inszenierte Keller


Stararchitekten integrierten kalifornische Weingüter in die Landschaft und schufen unglaubliche Gebäude, die beides sind: funktional und ansehnlich zugleich. Spanien, Österreich und die Schweiz kopierten die US-Idee. Ein berühmtes Beispiel ist bis heute das Weinhotel im spanischen Rioja, erbaut von Frank O. Gehry. Der Architekt löste einen regelrechten Bau-Boom in Spanien aus. Längst ist vom „Rioja-Effekt“ die Rede, wenn es um Weinarchitektur geht.
Die Österreicher verdanken ihr Umdenken dem wenig rühmlichen Glykolwein-Skandal, der die dortigen Winzer in den 1980ern bis ins Mark getroffen hatte. Ein Innovationsschub und hohe Qualitätsstandards – auch nach außen sichtbar durch anspruchsvolle Bauten – waren nach der Panscherei zwangsläufig die Folge. Ohne den Skandal gäbe es den gläsernen Kubus im burgenländischen Weingut Hillinger oder das niederösterreichische Weinzentrum Loisium nicht, da sind sich alle einig. Beide sind inzwischen Ausflugsziele von Touristen und Weininteressierten aus aller Welt. Weinarchitektur wird zur Marke. Was viele nicht wissen: auch hierzulande.
Inzwischen haben deutsche Winzer ihre Plastiktrauben-Deko in den Probierstuben entsorgt und ihre Holzvertäfelung gleich dazu. Haben Keller modern mit farbigem Licht inszeniert sowie Neubauten aus Stahl, Glas und Beton gebaut. Zum Wein spielen sie die passende Musik, mal klassisch, mal modern. Die Flaschen werden wie Raritäten in edlen Vitrinen präsentiert. Etliche Winzer haben sich gleich auch die Etiketten von Künstlern neu gestalten lassen. Schaut edel aus – und rückt Qualitätsweine ins rechte Licht.
Dabei hatten Winzer wie Rainer Müller, der im fränkischen Volkach das Weingut Max Müller führt, vor dem Umbau Bauchschmerzen: „Kommen unsere Stammkunden mit der modernen Architektur zurecht?“, „Fühlen wir uns dann noch wohl?“, „Denkt die Kundschaft, wir wollen damit nur die Preise erhöhen?“ Solche Fragen und Sorgen beschäftigten den Weinbauern viele Nächte lang. Dennoch haben er, seine Frau Moni und die drei Kinder den Sprung gewagt, 130 000 Euro in den Umbau gesteckt, sie haben das Architektenbüro Jäcklein aus Volkach entrümpeln und entkernen lassen und gemerkt, es funktioniert. Die Kundschaft gibt ihnen positive Resonanz, erzählt Müller, dessen Traditionsweingut aus dem Jahr 1690 stammt. Und von der Architektenkammer Rheinland-Pfalz bekamen sie mit dem Architekturpreis Wein 2010 auch offiziell Lob zugesprochen.
Michael Coridaß, Geschäftsführer der Architektenkammer Rheinland-Pfalz, ist gelernter Volkswirt und kann qua Ausbildung schlüssig erklären, warum sich gute Architektur für den Winzer heute mehr denn je rechnet: In Franken gibt es 300 reine Weindörfer, 1000 Dörfer haben mit Weinanbau zu tun. In der Region stehen 160 Millionen Euro Umsatz im Weingeschäft 1,6 Milliarden im Weintourismus gegenüber. Pro Euro Weinumsatz sind also zehn Euro Tourismus möglich. Daher ging Coridaß Anfang der Jahrtausendwende offensiv auf Winzer zu und versuchte sie davon zu überzeugen, dass Betriebe, die ästhetisch und zeitgenössisch bauen, auch mehr Umsatz machen.
Die Österreicher haben dazu eine Grundlagenstudie gemacht, die den hübschen Titel „Architektur macht Gäste“ trägt. Im Jahr 2007 ist der Preis für Architektur und Wein ausgelobt worden, bisher wurde er zweimal verliehen, zuletzt 2010. „Es reicht längst nicht mehr, gute Weine zu produzieren“, sagt Coridaß. „Auch die Architektur muss stimmen.“ Nach dem Prinzip: Außergewöhnliche Weine brauchen außergewöhnliche Bauten.
Coridaß spricht dabei gern vom „Neidfaktor“. „Wenn der Nachbar plötzlich umbaut oder ein neues Gebäude hinstellt, zieht der andere Nachbar irgendwann nach“, weiß Coridaß inzwischen aus Erfahrung. „Er könnte ja zu viel Kundschaft abziehen.“ Wettbewerb, auch architektonischer, belebt somit das Weingeschäft.
Weingüter werden, das zeigt der Trend, immer mehr zu Pilgerorten des Genusses, nicht nur weil die Qualität des Weines stimmt, auch die Präsentation überzeugt: mit mehr Raum für Präsentationen in neuen Häusern. Oft ist es die junge Generation, sind es die Kinder und Enkel der Weinbauern, die den Modernisierungsdruck spüren und Mut aufbringen, in traditionelle Orte moderne Solitäre der Architektur zu platzieren.
Das beste Beispiel hierfür ist Ludwig Knoll. Knoll betreibt die Traditionslage Weingut im Stein in Würzburg. Es lässt sich sicher kaum einen weintrinkenden Franken finden, der dieses berühmte Weingut nicht kennt. Knoll führt den Betrieb, der seit fünf Generationen in Familienbesitz ist, seitdem er ihn mit 18 Jahren von seinem Vater übernahm. Seine Frau Sandra steht ihm tatkräftig zur Seite. Sie ermutigte ihn auch in seinem Plan, eines der auffälligsten Weingebäude im Lande zu errichten. Denn die exponierte Hügellage mit Blick auf die Altstadt Würzburg, Residenz und Weinhänge ist einmalig schön.
Knolls Betrieb arbeitet rein ökologisch, seine Spitzenweine tragen die Namen seiner Kinder. Kein Wunder also, dass hier die Liebe im Detail steckt, auch im baulichen. Das moderne Gästehaus mit dem Kelterhaus, das dem Besucher beim Hochlaufen als Erstes ins Auge springt, ist komplett mit Muschelkalk verleidet – ein Mineral, das vor Jahrmillionen in Franken entstanden ist und bis heute den Geschmack des Weins prägt.

Verkleidet mit senkrechten Eichenholzlamellen


Die Vinothek ist ebenso spektakulär von den Würzburger Architekten Hofmann Keicher Ring in die Landschaft gebaut, verkleidet ist sie mit senkrechten Eichenholzlamellen. Eichenholz daher, weil der Rotwein in Eichenholz gelegt wird. Und senkrecht, weil die Weinlage des Weingut im Stein sehr steil ist.
Bei Knoll hat jedes Gebäude, wie bei jeder guten Weinarchitektur, immer auch Bezüge zum Wein. Weinverkauf und Verkostung finden in einem zehn Quadratmeter großen, verglasten Kubus statt, er steht am Hang und sein Inneres ist mit feinstem Beton ausgestattet. Ein witziges Detail ist die Toilette mit schöner Aussicht im Obergeschoss: Im Besucherklo haben die Gäste freien Blick durch die verglaste Wand auf Würzburg und die Weinhänge, die ihnen zu Füßen liegen. Doch Knolls eigentlicher Liebling ist ein eiförmiges Betonfass, in dem er in den Proportionen des Goldenen Schnitts Wein ausbaut.
Dass selbst Winzer in einer Genossenschaft keine Berührungsängste mit zeitgenössischer Architektur haben, zeigt beispielhaft der fränkische Winzerort Sommerach. Die dortige Winzergenossenschaft verwandelt ihren sonnigen Parkplatz in eine Weinbar namens „Sommerbar“, hier lässt sich chillen und abhängen. Im ersten Stock des Winzerkellers hat ebenfalls das Würzburger Architekturbüro Hofmann Keicher Ring eigens eine Weinschule für Weinseminare eingerichtet. Ein richtiger Weintourismus ist im Entstehen – denn Wein ist längst zum Synonym für Genuss geworden.
Idealerweise spiegelt sich der Charakter eines Weins, einer Gegend und eines Winzers in der Architektur des Weinguts wider, sagt Müller wie schon zuvor sein Kollege Sauer, und das ist auch die Botschaft der Architekten. Sie schaffen das durch ihren regionalen Bezug. So schmecken Weintrinker nicht nur den Muschelkalk der fränkischen Böden im Glas, sie finden ihn auch auf dem Boden und in den Bauten fränkischer Weingüter. Wein und Architektur, beides soll in einem Menschen etwas auslösen. Im Idealfall ist beides geschmackvoll und macht Lust auf mehr. (Claudia Schuh)

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