Bauen

Die Front der Neuen Nationalgalerie in Berlin. (Foto: Wiegand)

05.12.2014

Chipperfield: Architekten reparieren "Skin and Bones"

Die von Mies van der Rohe entworfene Nationalgalerie in Berlin wird generalsaniert

Wer Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie in Berlin, diese Ikone der Moderne, noch ohne Gerüste und von Innen sehen will, muss sich beeilen. Der elegante Bau von 1968, sein letztes eigenständiges Meisterwerk, wird am 31. Dezember 2014 für mehrere Jahre zwecks Sanierung geschlossen. Diese Aufgabe übernimmt der britische Stararchitekt David Chipperfield mit seinem 1985 gegründeten Büro David Chipperfield Architects. In Berlin überzeugte Chipperfield bereits mit der Rekonstruktion des Neuen Museums (1997 bis 2009) für 200 Millionen Euro, vor allem, weil er die veranschlagte Bausumme um 30 Millionen unterschritt.
Mies (1886 bis 1969) wurde 1929 durch seinen Barcelona-Pavillon, geschaffen für die dortige Weltausstellung, berühmt. Dieser strenge, das Tageslicht hineinlassende Bau – von der Stadt 1986 rekonstruiert – verkörperte bereits sein Motto: „Weniger ist mehr“. Moderne Großbauten aus Stahl und Glas konnte Mies, von 1930 bis 1933 letzter Bauhausdirektor in Dessau, erst in den USA verwirklichen. 1938 emigrierte er, wurde 1944 amerikanischer Staatsbürger und eröffnete ein Büro in Chicago.
Doch Berlin, wo der junge Aachener im Büro von Peter Behrens zum Architekten mit „Schinkel-Prägung“ herangereift war, hatte ihn nicht vergessen. 1962 beauftragte ihn der West-Berliner Senat mit einem Museumsneubau auf dem von Hans Scharoun geplanten Kulturforum, gleich neben der von Friedrich August Stüler 1845 errichteten St. Matthäus Kirche. Anstatt ganz neu zu planen, passte Mies den nicht realisierten Entwurf eines Gebäudes dem neuen Projekt geschickt an und kam im September 1965 zur Grundsteinlegung nach Berlin.
Ob ihm Scharouns expressive Philharmonie, das Klangwunder von 1963, gefallen hat? Jedenfalls wird seine Neue Nationalgalerie für die Kunst des 20. Jahrhunderts zum architektonischen Kontrapunkt. Mies war auch dabei, als am 5. April 1967 das 1250 Tonnen schwere Stahldach peu à peu angehoben und auf die acht Stützen abgesenkt wurde, die außerhalb des Gebäudes stehen. Gegenüber begann Scharoun gerade mit dem Bau der Staatsbibliothek. An der Eröffnung der Neuen Nationalgalerie am 15. September 1968 konnte Mies, bereits sterbenskrank, nicht mehr teilnehmen.
Noch immer scheint es, als schwebe das schwere Dach über dem lichten Glasbau. Denn die beiden marmornen Installationsschächte in der Halle haben keine tragende Funktion, auch nicht die 144 entrindeten, 8,20 Meter hohen Fichten, die Chipperfield vorübergehend hineingestellt hat. „Sticks and Stones, an Intervention“ hat er seine bis 31. Dezember laufende Ausstellung genannt, sieht sie als Prolog der Sanierung und will sich damit vor Mies verneigen.
Wie groß die Hochachtung des bereits mit vielen Preisen und Ehren bedachten Chipperfield gegenüber Mies und der Neuen Nationalgalerie ist, wurde auf einem Symposium Ende November dieses Jahres deutlich. Er bezeichnete es als eine Ehre, diese Aufgabe übernehmen zu dürfen, sprach von Reparaturen an „skin and bones“ (Haut und Knochen).

„Dieser Bau
verzeiht keine Fehler“


Der Anstrich wird bis zur bauzeitlichen Fassung entfernt, gefolgt von der Neufassung gemäß bauzeitlichem Aufbau. Wichtig ist auch das Abdichten und Isolieren der Fenster. Aber „wir müssen bescheiden sein, nicht radikal, dieser Bau verzeiht keine Fehler“, betonte Chipperfield. Im Untergeschoss wird unter anderem die Garderobe verlegt. Ansonsten staunt der Brite, wie unglaublich gut die Ausstellungsräume dort unten seit 50 Jahren funktionieren.
Warum er eine später fast unsichtbare Arbeit übernimmt? Weil sie ihn fasziniert. „Man muss den Bau lieben“, sagt lächelnd Chipperfield. Und das ist bei ihm unverkennbar. Unverkennbar sind auch die Veränderungen im Umfeld der Neuen Nationalgalerie. Bei der Einweihung thronte sie quasi über einer Ödnis. Nun braust in der Potsdamer Straße der Verkehr. Der Potsdamer Platz – zu DDR-Zeiten eine freigeräumte Sandfläche hinter der Mauer – präsentiert sich als pulsierendes Zentrum.
Seit dem Jahr 2000 bannt dort das 26 000 Quadratmeter große Sony Center von Helmut Jahn mit dem 103 Meter hohen DB-Tower den Blick, ein glitzernder Glas-Stahlbau. Sein Dach, das sich zelt-artig über den Innenhof spannt, soll den Gipfel des Fuji symbolisieren. „Baukunst ist die räumliche Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt und der Ausdruck dafür, wie er sich darin behauptet und wie er sie zu meistern versteht“, formulierte einst Mies. Nun muss Chipperfield die Sanierung meistern und schon stehen neue, andersartige Entscheidungen an.
Am 13. November 2014 hat der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags 200 Millionen Euro für den Bau eines weiteren, dringend benötigten Museums der Moderne am Kulturforum genehmigt. Der Platz dort ist allerdings knapp. Wäre die Beinahe-Brache zwischen Philharmonie und Matthäuskirche nicht besser für ein spektakuläres Pendant zur Neuen Nationalgalerie geeignet? Die Diskussionen haben bereits begonnen. Wie dem auch sei, führende Architekten aus aller Welt werden sich um dieses Prestigeprojekt reißen. (Ursula Wiegand) (Das Sony Center am Potsdamer Platz und die Staatsbibliothek - Fotos: Wiegand)

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