Bauen

Seit Herbst letzten Jahres ist Hans Reichhart Staatsminister für Wohnen, Bau und Verkehr. (Foto: STMB)

10.05.2019

"Wir sind das Gestaltungsministerium"

Bayerns Bauminister Hans Reichhart (CSU) über seine Ziele, die Arbeit der Bauverwaltung und Wege aus der Wohnungsnot

BSZ Herr Reichhart, hatten Sie mit Ihrer Berufung zum neuen bayerischen Bauminister gerechnet, obwohl Sie nach der Landtagswahl letzten Jahres Ihr Landtagsmandat verloren hatten?
Hans Reichhart Ich hatte nicht damit gerechnet. Es war für mich sehr, sehr überraschend, denn ich hatte mir gerade Gedanken über mein weiteres berufliches Leben gemacht.

BSZ Ist es in Ihren Augen sinnvoll und zweckmäßig, statt der Obersten Baubehörde (OBB) ein eigenes Ministerium für Wohnen, Bau und Verkehr zu schaffen?
Reichhart Ich finde es gut, dass man den kompletten Bereich Bau und Verkehr in einem Haus gebündelt hat. Mobilität und Wohnungsbau für alle, das sind die Themen der Zeit. Und die Tatsache, dass aus der Obersten Baubehörde jetzt ein eigenes Ministerium geworden ist und diese wichtigen Themen nicht mehr im Windschatten des Innenministeriums segeln, das wertet unser Haus enorm auf.

BSZ Was sind Ihre vorrangigen Ziele als neuer Bauminister?
Reichhart Wir müssen uns viele Lebenslagen anschauen. Das eine ist der ganze Bereich der Mobilität. Mobilität verändert sich, es kommen neue Mobilitätsarten hinzu, wie zum Beispiel E-Scooter, andere wachsen von der Bedeutung her, wie beispielsweise der Radverkehr. Bei der Automobilität stellt sich die Herausforderung, wie sieht künftig die Antriebsart aus, womit fahre ich in Zukunft? Im Bereich des ÖPNV und SPNV ist ebenfalls viel Musik drin, mir geht es um eine bessere Vernetzung. Mobilität der Zukunft bedeutet nicht, dass wir einzelne Verkehrswege isoliert betrachten, sondern Mischformen haben werden.

BSZ Das war jetzt der Bereich Mobilität. Wie sieht es mit dem Bereich Wohnen und Bauen aus?
Reichhart Ich setze mich gerade mit vielen Akteuren der Baubranche zusammen, vom Maurer vor Ort bis zum Bauindustrieverband, mit der Architektenkammer oder auch der Ingenieurekammer-Bau. Ich höre mir an, was man in Bayern machen könnte, um besser und schneller zu bauen. Welche Akzente brauchen wir im Bund, was müssen wir über den Bundesrat beziehungsweise die Bundesregierung verändern? Wie kann man auch das Baugenehmigungsverfahren bei den Genehmigungsbehörden beschleunigen, beispielsweise über Digitalisierung und viele andere Wege. Auch beim klassischen Straßen- und Hochbau schauen wir, wo wir Synergieeffekte erreichen können. Wo lässt sich etwas bündeln, zusammenfassen und/oder Ressourcen möglichst effektiv einsetzen. Das sind Dinge, die mich momentan beschäftigen und auch wirklich spannend sind.

BSZ Was würden Sie sich vom Bund besonders wünschen, was in Bezug auf den Bau von dort kommen soll?
Reichhart Im Koalitionsvertrag auf Bundesebene sind zum Beispiel steuerliche Fragen vereinbart, die eigentlich angepackt werden müssen. Bauland mobilisieren durch steuerliche Vergünstigungen etwa bei der Herausnahme eines Grundstücks aus dem landwirtschaftlichen Betriebsvermögen. Hier sollte nicht gleich der Spitzensteuersatz greifen, wenn ein Grundstück herausgenommen wird. Wenn ein Landwirt sagt, ich investiere das Geld wieder in den sozialen Wohnungsbau, dann sollte er das im Betriebsvermögen behalten, ohne dass sich verdeckte Gewinne ergeben. So könnten wir Anreize schaffen. Ein anderer Punkt: Wenn ich das gesamte Aufstockungspotenzial auf Bestandsgebäuden in Deutschland nutzen würde, dort wo es möglich wäre, dann hätten wir das Potenzial von 1,1 Millionen zusätzlichen Wohnungen, ohne dass ein Quadratzentimeter Fläche mehr verbraucht wird. Diesbezüglich haben wir eine Bundesratsinitiative gestartet, diese wird aber leider von zahlreichen anderen Bundesländern blockiert.

BSZ Gibt es noch weitere Vorhaben, die blockiert werden?
Reichhart Ja. Beispielsweise gibt es aktuell einen Beschluss des Bundestags, der im Bundesrat hängt, mit dem Inhalt einer Sonderabschreibung für den Mietwohnungsbau.

BSZ Wie sieht es mit steuerlichen Anreizen für Sanierungsmaßnahmen aus?
Reichhart Natürlich müssen wir auch die Sanierung anpacken. Nicht nur um Wohnungen zu schaffen und die Wohnqualität zu steigern, sondern auch aus Umweltschutzgründen. Da ich ein Freund von Anreizen und Fördermöglichkeiten bin, sehe ich hierin ein gigantisches Potenzial. Wenn man das mobilisieren könnte, wäre enorm viel für die Umwelt gewonnen.

BSZ Wie stehen Sie zu der Überlegung von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, die 100-Meter-Marke für Hochhäuser zu reißen?
Reichhart Ich finde es richtig und gut, denn wenn man die Herausforderung Wohnen wirklich angehen will, muss man auch über neue Wege nachdenken.

BSZ Welche Höhe könnten Sie sich vorstellen?
Reichhart Das muss am Schluss je nach Ort und Gebiet angepasst sein. Man muss sich anschauen, welches Gebiet entwickelt werden soll und welche Höhe passend ist. Ich bin gegen pauschale Festlegung. Es geht um den Einzelfall. Was ist dort möglich, was macht die Nachbarschaft mit und wie kann ich das Stadtbild gestalten?

BSZ Worin sehen Sie die Rolle beziehungsweise Aufgabe Ihres Hauses?
Reichhart Wir sind das Ministerium, mit dem jeder Bürger Bayerns tagtäglich zu tun hat. Ob es um die eigenen vier Wände geht oder um den Weg zur Schule, zur Arbeit oder zurück zur Familie. Im Auto, im Zug, in der Seilbahn oder auf dem Fahrradsattel. Wir sind ganz stark am Lebenspuls und daher macht es auch Spaß, das gestalten zu können.

BSZ Arbeiten Sie mit den anderen Ministerien auch sehr intensiv zusammen?
Reichhart Natürlich, da dort auch enormer Erfahrungsschatz zur Verfügung steht. Wir nehmen alle mit, nicht nur die anderen Ministerien, sondern auch die Parteien im Landtag, die Verbände. Der Glaube, dass wir am Schluss allein die Weisheit mit Löffeln gegessen haben und alle anderen nichts können, ist nicht meine Denke. Wir sind angewiesen auf den Input, den wir von außen bekommen, den wir dann natürlich sortieren müssen. Aber das ist doch das Schöne, dafür sind wir da. Und ein paar unkonventionelle Ideen finde ich auch nicht schlecht. Wir kommen doch sonst nicht weiter. Ich brauche Leute, die quer denken, die sich überlegen, was könnte man Neues, was anders machen. Wenn sich dann neue technische Möglichkeiten ergeben, gibt es doch nichts Schöneres, als das mitzumachen, und dafür brauchen wir den Input von außen.

BSZ Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit Ihres Hauses mit der Bayerischen Architektenkammer und der Ingenieurekammer-Bau?
Reichhart Wir stehen mit allen in engem Austausch. Daran liegt mir viel. Ich habe für die Anliegen der Kammern ein offenes Ohr. Die Architekten hätten beispielsweise gern, dass ihr Studium anders gestaltet wird. Da sind wir gerade im Gespräch mit dem Wissenschaftsministerium.

BSZ Wie muss sich das Bauministerium Ihrer Ansicht nach in Zukunft positionieren – strukturell und inhaltlich?
Reichhart Wir haben eine gute Struktur und schlagkräftige Organisation. Wir vernetzen viel und tauschen uns regelmäßig und intensiv aus. Bei uns arbeiten die Mitarbeiter interdisziplinär.

BSZ Herr Reichhart, Sie sind jetzt gut ein halbes Jahr im Amt. Wie sieht Ihre erste Zwischenbilanz aus?
Reichhart Wir können wirklich gestalten und vor allem, was mich so freut ist, dass die Mitarbeiter mit einer großen Begeisterung dabei sind. Jeder will etwas anpacken, bringt Ideen ein. Wir sind das Gestaltungsministerium.

BSZ Welche Funktion hat für Sie die staatliche Bauverwaltung?
Reichhart Eine ganz, ganz wichtige, denn sie gibt die Standards vor. Die staatliche Bauverwaltung blickt auf eine große Historie zurück. Sie arbeitet auch extrem effizient. Hier ist enormes Wissen vorhanden und alle Beteiligten machen eine tolle Arbeit. Meiner Ansicht nach gehört die Bauverwaltung auch zu den bürgerfreundlichsten Verwaltungen. Vor allem, wenn man sich ansieht, wie gut der Kontakt zu den Kommunen, zu den Bürgermeistern, den Gemeinderäten gepflegt wird. Wir betreuen maßgeschneiderte Projekte von der Burgsanierung bis zur hochmodernen Forschungseinrichtung auf dem Unicampus. So etwas gibt es wirklich nur bei der Staatsbauverwaltung.

BSZ Was bedeutet für Sie Baukultur?
Reichhart Einerseits setzen wir Maßstäbe und Akzente, was technische Möglichkeiten anbelangt, andererseits gehört aber auch die Ästhetik dazu, das ist dann die Baukultur, die ebenfalls einen wichtigen Stellenwert einnimmt. Baukultur ist epochenprägend. Die Baukultur profitiert von den Werken der Staatsbauverwaltung. Jedes Jahrzehnt beziehungsweise jede Phase des Freistaats bringt neue baukulturelle Denkmäler hervor. Das geht ganz, ganz weit zurück, gilt aber auch für die neuere Zeit. Wir bauen ja nicht für kurzfristige Geschichten.

BSZ München zählt zu den teuersten deutschen Städten, was das Wohnen anbelangt. Auch kleinere Städte ziehen nach. Wie hoch ist der aktuelle Wohnraumbedarf in Bayern und wieso wird nur ein kleiner Teil davon gedeckt?
Reichhart Im letzten Jahr wurden mehr als 73 000 Baugenehmigungen in Bayern erteilt. Das heißt, wir sind bei den Baugenehmigungen mehr als im Soll. Wir hatten uns 70 000 vorgenommen. Das Wichtige ist, dass dann auch gebaut wird. Ich halte deshalb die Debatten über Enteignungen für reines Gift. Man muss sich da auch einmal die finanzielle Dimension anschauen, das ginge doch in die Milliarden für Entschädigungszahlungen. Wo soll denn dieses Geld herkommen? Durch dieses Geld würde keine einzige zusätzliche Wohnung geschaffen. Dieses Geld gehört in den sozialen Wohnungsbau investiert. Ich muss doch schauen, wie man Wohnraum schaffen kann. Ich bin der festen Überzeugung, wir bekommen die ganze Herausforderung nur dann in den Griff, wenn wir mehr Angebot an Wohnraum der Nachfrage gegenüberstellen.
Wir müssen aber auch über den Tellerrand hinausblicken. München endet ja nicht an der Stadtgrenze, sondern die Metropolregion geht weit darüber hinaus. Zum Teil ist man ja von auswärts schneller in der Landeshauptstadt, als wenn man in München von A nach B will. So müssen wir das auch sehen und darauf unser Handeln abstellen. Daher ist es gut, dass in meinem Haus auch der Verkehr angesiedelt ist, denn diesbezüglich sind verkehrliche Lösungen gefragt. Moderne Stadtentwicklungspolitik muss so verstanden werden, dass wir nicht sagen, wir fokussieren uns nur auf einen engen Bereich. Wir müssen viel, viel weiter darüber hinaus denken.

BSZ Was sind Ihrer Meinung nach sinnvolle Gegenmittel, um zu verhindern, dass die Immobilienpreise in Bayern weiterhin ungebremst nach oben schießen?
Reichhart Wenn wir uns den Neubaubereich anschauen, tragen die Grundstückspreise die größte Schuld daran. Diese haben sich in manchen Teilen Bayerns innerhalb kurzer Zeit mehr als verdoppelt. Eine Möglichkeit wäre, die von mir bereits angesprochene Herausnahme von Grund und Boden aus dem landwirtschaftlichen Betriebsvermögen steuerlich zu begünstigen. Hier sehe ich großes Potenzial, um Bauland zu generieren. Ferner muss man sich auch Gedanken über die Bauweise machen.
Ich bin ein großer Freund davon, auch im staatlichen Bereich Systembau zu betreiben. Dieser ist vom Äußeren, von der Ästhetik her genauso schön, wie konventioneller Bau. Man sieht keinen Unterschied. Dadurch kann Bauen günstiger gemacht werden. Wir müssen einfach möglichst viel Angebot realisieren, das ist die effektivste Bremse bei der Explosion der Immobilienpreise und Mietkosten.

BSZ Und wie sieht es diesbezüglich auf dem Energiesektor aus?
Reichhart Wir sind strikt dagegen, dass die EnEV 2016 nochmals verschärft wird. Auf Seiten der Bauminister aller Länder besteht Konsens, dass wir über den Standard der EnEV 2016 nicht hinaus wollen. Da gibt es jetzt noch Abstimmungsbedarf mit einigen Kollegen der Umweltressorts. Auch das hat Bauen teurer gemacht. Was mir bei der ganzen Geschichte gefallen würde, wäre, das ganze Berechnungsverfahren zu vereinfachen.

BSZ Wird neu gebaut, dann häufig nur im gehobenen beziehungsweise Luxussegment. Bleiben ärmere soziale Gruppen und die Mittelschicht da nicht auf der Strecke?
Reichhart Wir haben im letzten Jahr fast schon eine Rekordzahl an gefördertem Wohnungsbau mit über 12.000 Wohnungen. Wir haben im neuen Doppelhaushalt 1,7 Milliarden Euro nur für den geförderten Wohnungsbau eingestellt. Da wird viel gemacht. Worauf man tatsächlich schauen muss ist der Bereich des nicht mehr geförderten Wohnungsbaus. Der klassische Mittelstand darf nicht unten durchfallen. Das ist auch ein Grund, warum wir das Bauen vereinfachen wollen. Man macht jetzt viel über Baukindergeld und andere Förderprojekte. Die Förderung ist das eine, diese darf aber nicht dazu führen, dass das Bauen trotzdem teurer wird.

BSZ Hat Ihnen Ihre Vorgängerin im Amt, Ilse Aigner, einen Rat mit auf den Weg gegeben – wenn ja, welchen?
Reichhart Sie hat mir gesagt, dass mich hier im Ministerium ganz, ganz viele tolle Leute erwarten, auf die man sich verlassen kann, die leistungsbereit sind. Und sie hatte Recht: Das ist nicht nur ihre Wahrnehmung, sondern auch meine. (Interview: Friedrich H. Hettler)

(Das neue Bauministerium befindet sich in München am Franz-Josef-Strauß-Rind 4 - Foto: Friedrich H. Hettler)

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