Leben in Bayern

Treibt von der Kasse aus seine Späßchen, um die Leute in die Hexenschaukel zu bewegen: Bernhard Schiedeck. (Foto: BSZ)

12.08.2022

Zwischen Tradition und Moderne

Die Hexenschaukel ist eines der ältesten Fahrgeschäfte Bayerns – auch beim am heutigen Freitag beginnenden Gäubodenfest verzückt sie die Gäste

Es ist das wohl traditionsreichste Fahrgeschäft Bayerns: die Hexenschaukel. 1894 begeisterte die Attraktion erstmals die Gäste des Oktoberfests. Seit diesem Freitag ist sie erneut fester Bestandteil des gerade beginnenden Gäubodenfests in Straubing. Das zweitgrößte Volksfest im Freitstaat beherbergt in seinem historischen Teil allerlei Sehenswertes wie eine historische Kartbahn. Doch es ist nicht zuletzt die vom Niederbayern Bernhard Schiedeck betriebene Schaukel, die Alt und Jung bis heute begeistert.

Die Welt steht Kopf für diejenigen, die sich in die Hexenschaukel trauen. Und die Hexenschaukel ist es wiederum, die Bernhard Schiedeck den Kopf verdreht hat. Vor fast zwei Jahrzehnten lernte der heute 39-Jährige aus Kirchroth im Landkreis Straubing-Bogen das historische Fahrgeschäft, das mit seinen 128 Jahren schon eine betagte Dame ist, kennen. Der Niederbayer wurde erst Mitarbeiter, Jahre später Geschäftsführer. Heute ist er Mitbesitzer.

Bei jedem Gäubodenfest und jeder Wiesn schlüpft der Realschullehrer in seine historischen Klamotten und verschaukelt als Rekommandeur solang die Volksfestbesucher*innen, bis sie endlich ihre Eintrittskarte lösen. Und auch im Inneren werden sie verschaukelt. Denn was sich anfühlt wie Überschlag, ist gar keiner. Auch, wenn das eigentlich jeder weiß: Wer in der Hexenschaukel sitzt, der glaubt es nicht mehr.

Der Hexenschaukel gebührt die einmalige Ehre, das mit Abstand älteste Fahrgeschäft auf der Münchner Wiesn zu sein. 1894 stand sie erstmalig auf dem Oktoberfest. Bayernweit dürfte es womöglich ebenfalls das älteste oder zumindest traditionsreichste Fahrfgeschäft sein. Auf dem Straubinger Gäubodenfest gehört das Objekt des Staunens zu den beliebtesten Fahrgeschäften, wenngleich es dort erst seit zehn Jahren die Besucher*innen verzückt. Auf den Rummelplätzen der Welt dürfte es abgesehen einmal vom legendären, ebenfalls auf der Wiesn beheimateten Schichtl wohl nicht allzu viele Attraktionen geben, die auf eine so lange Tradition zurückblicken können. Beim Gäubodenfest in diesem Jahr steht die Schaukel wenig verwunderlich im historischen Bereich, gegenüber dem Festzelt Greindl.

Künstlicher Finger

Wenn Schiedeck nun in seinem Kassenhäuschen vor der Hexenschaukel sitzt, dann kommt ihm rein gar nichts aus. Neben ihm ragt ein acht Jahrzehnte alter großer künstlicher Finger mit blutrotem Nagel aus dem Kassenhäuschen heraus. Das Horrorutensil stammt aus einem Antiquitätenladen. Schiedeck selbst trägt während der Schicht ein weißes Hemd, schwarze Weste und eine graue Ballonmütze.

Sein Blick ist wach, seine scharfe Zunge füttert das auf den Einlass wartende Publikum. Der 39-Jährige sitzt nicht einfach nur da und verkauft die Eintrittskarten. Er arbeitet als sogenannter Rekommandeur. Das Wort oder vielmehr die Berufsbezeichnung ist vom französischen Wort „recommender“ abgeleitet, was übersetzt „empfehlen“ heißt. Schiedeck aber „empfiehlt“ den Leuten nicht nur, eine Fahrkarte zu lösen. Er legt es ihnen schon sehr deutlich nahe. Denn zum historischen Fahrgeschäft Hexenschaukel gehört für ihn eines dazu: Dass der Rekommandeur die vorbeigehenden Volksfestbesucherinnen und -besucher derbleckt.

Und diesen Spaß nimmt Bernhard Schiedeck sehr, sehr ernst. „Man muss die Leute kitzeln, sie ein wenig packen und sie so überreden, mit der Hexenschaukel mitzufahren“, sagt er. „Wir animieren die Leute auf Boarisch, sind dabei aber nie beleidigend, nie unter der Gürtellinie – das ist die Kunst am Derblecken, eine feine Linie.“

Zwei Kollegen packen mit an

Neben Bernhard Schiedeck gibt es heuer auf dem Gäubodenfest noch zwei weitere Kollegen, die in der Hexenschaukel anpacken, als Rekommandeure und „Schaukelburschen“. Sie haben andere Berufe, nehmen extra Urlaub. Unter den beiden Ansagern gibt es durchaus einen sportlichen Ehrgeiz: Wer schafft es, den hartnäckigen Besucher zum Kunden zu machen? Welcher Spruch zieht ihn rein? Dabei ist Spontaneität am Mikrofon gefragt. Klar gibt es ein paar Standardsprüche. So preist Bernhard Schiedeck sein Fahrgeschäft immer wieder gerne als „auspapierlten Wahnsinn“ an.

Und den männlichen Part eines unentschlossenen Pärchens animiert Schiedeck recht gerne mit dem Spruch: „Fahr mit, dann g’hörts dir!“ Aber er derbleckt auch ganz spontan, was ihm gerade auffällt. „Ein bisserl frech muss man dabei schon sein“, gibt der Schausteller zu.

Die Liebesgeschichte des Kirchrothers mit der Hexenschaukel begann jedoch nicht in Straubing, nahe der Heimat, sondern auf dem Oktoberfest. 2004 machte der Niederbayer in München, wo er bis heute seit vielen Jahren lebt, seine ersten Schritte als Zivildienstleistender und lief dabei prompt Ulrich Keller über den Weg. Er war lange Zeit der alleinige Besitzer der Hexenschaukel. Vor 35 Jahren hat der studierte Theologe, der in der Trauerarbeit tätig ist, einen Ausgleich zu seinem Beruf gesucht, der naturgemäß jeden Tag schwere Kost mit sich bringt. Ein heiterer Ausgleich sollte es sein. Die Idee war geboren, Schausteller zu werden und ganz nebenbei ein Fahrgeschäft zu kaufen. Und er fand die Hexenschaukel, die perfekte Illusion.

Zwei Sinne ansprechen

Hexenschaukeln gab es früher öfter. Das Prinzip ist einfach, aber genial. Es basiert darauf, dass sich die Bank, auf der die Schaukelgäste gegenüber Platz nehmen, nur minimal bewegt, sodass eine Beschleunigung zu spüren ist, während sich Wände und Decke um die Besucher*innen herum weiterdrehen und so das Gefühl vermitteln, man würde schaukeln und sich schließlich sogar überschlagen. „Dadurch werden zwei Sinne angesprochen, der vestibuläre und der visuelle“, erklärt Bernhard Schiedeck. Er wurde von Ulrich Keller vor 18 Jahren gefragt, ob er nicht während der Wiesn in der Hexenschaukel arbeiten wolle. Und so durfte er sich auch als Rekommandeur versuchen. Es lag ihm, und inzwischen hat er seine Künste perfektioniert.

Mittlerweile ist der Pädagoge über die Position des Geschäftsführers auch als Teilhaber des 128 Jahre alten Traditionsfahrgeschäfts eingestiegen. Auf dem Straubinger Gäubodenfest hielt die Hexenschaukel aber erst zum 200. Jubiläum des Gäubodenfests im Jahr 2012 Einzug. Erstmals gab es bei dem Kultfest damals auch einen historischen Bereich – und den gibt es bis heute: Dort hat die Nostalgie das Zepter übernommen, und das Rad wird um mehr als ein Jahrhundert zurückgedreht. Eine historische Kartbahn lädt in diesem Jahr ein, schwungvolle Runden zu drehen, in manchen Jahren kann man vom Toboggan eine wilde Rutschfahrt aus unternehmen, es gibt romantisch verschnörkelte Lebkuchenherzen, und ebenso wird der Besucher seitdem auch in der Hexenschaukel durcheinandergewirbelt.

Das Münchner und das Straubinger Publikum unterscheiden sich durchaus, das hat der gute Beobachter Bernhard Schiedeck in den vergangenen zehn Jahren analysiert: „Den Straubinger knackt man nicht so schnell, der löst nicht so schnell eine Eintrittskarte. Aber wenn, dann hat man ihn.“ Und manchmal passiert es auch, dass die Volksfestbedienung eine Maß aus dem nahen Greindl-Zelt bringt und den Krug vor Schiedeck hinstellt mit den Worten: „Von dem Herrn da drüben. Der hat Ihnen jetzt eine Stunde im Biergarten zugehört und findet, dass Sie eine Belohnung verdient haben.“ Das freut Schiedeck dann besonders. Zwar ist er mit Alkohol im Dienst sehr zurückhaltend. Aber dass er wieder einen Straubinger geknackt hat, das ist schon schön.

Am heutigen Freitag erwacht die Schauckel, die wie eine alte Dame wirkt, aus ihrem Schönheitsschlaf. Drei Tage hatte zuvor der Aufbau des Fahrgeschäfts gedauert. Und dann noch einmal ein bisserl, bis es glänzte und blitzte. Da war ein kleiner Kratzer, da eine lockere Schraube zu beheben – alte Damen sind nicht unbedingt immer so pflegeleicht und brauchen manchmal ein etwas intensiveres Make-up.

Wie eine alte Dame

Bernhard Schiedeck und seine Kollegen machen alles mit der Hand. Normalerweise hat der Familienvater zehn Monate Pause, bis es wieder losgeht – heuer war es coronabedingt sehr viel länger. Der 39-Jährige glüht schon seit Tagen. Auch, wenn seine Sommerferien draufgehen – er macht es aus Leidenschaft, und das Schaustellerfieber steigt und steigt gerade ins Unermessliche. Morgens am Festplatz im Wohnwagen aufwachen, mit den anderen frühstücken, ein Ratsch mit den Schaustellern nebendran, die den Lehrer nach anfänglicher Skepsis immer mehr als „einen von ihnen“ ansehen – ein Lebensgefühl, das unbezahlbar ist.

Schiedeck lässt, wie er betont, die Hexenschaukel nicht wegen des schnöden Mammons schwingen. Drei Euro müssen die Kinder, 3,50 Euro die Erwachsenen auf seinen Kassentisch legen, um mitfahren zu können. Viele Fahrpreise unter fünf Euro gibt es nicht mehr, auch nicht in Straubing.

Klar müssen die laufenden Kosten gedeckt, das Personal bezahlt werden – auch bei der Hexenschaukel. Aber der Realschullehrer für Deutsch, Sport und Religion geht mit seinem Fahrgeschäft deshalb aufs Gäubodenfest und auf die Wiesn, weil er das Fest liebt  – und natürlich auch seine Schaukel.

Als er als Rekommandeur anheuerte, hat er noch studiert. „Diese Tätigkeit hat mir für den Lehrerberuf späer zurück. Und umgekehrt: Vom Schaustellerleben lässt sich auch so vieles auf das Schulleben anwenden. Gerade zieht Schiedeck mit Ehefrau und Kindern nater so viel gebracht, denn auch bei den Schülern muss man spontan und schlagfertig sein“, blickt ch Eglsee bei Brunn in die Oberpfalz. Er rückt damit wieder näher an Straubing heran und somit auch näher an die Hexenschaukel. Auch die wird bald umziehen von Oberzeitldorn in ein neues Depot in der Nähe von Straubing. Auf dem Gäubodenfest wird man sie jedes Jahr sehen, solang es den historischen Bereich gibt. Denn die Straubinger zu verschaukeln – das ist die große Leidenschaft von Bernhard Schiedeck.
(Melanie Bäumel-Schachtner)

 

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