Beruf & Karriere

Suchtbelastete Mitarbeiter fehlen 16 Mal häufiger als ihre Kollegen und erbringen 25 Prozent weniger Arbeitsleistung. (Foto: dpa/Marijan Murat)

26.07.2019

"Betriebliche Alkoholverbote sind ein starkes Signal"

Suchtberater Christian Kreuzer über Alkohol am Arbeitsplatz, wie Mitarbeiter und Chefs reagieren sollten und welche Präventionsprogramme es gibt

In der Mittagspause ein Helles. Oder zwei. Das gehört für viele zum Arbeitsalltag. Wo die Grenze im Büro überschritten ist, erklärt Caritas-Suchtberater Christian Kreuzer von der Fachambulanz für Suchtprobleme der Caritas in Regensburg. Und ob der Firmenbesuch auf dem Oktoberfest eine gute Idee ist. Auch Medikamente und illegale Drogen sind in Unternehmen ein Problem.

BSZ: Herr Kreuzer, ein Whiskey im Büro – das war früher normal. Heute auch noch?
Christian Kreuzer: Das lässt sich nicht ausschließen. Jedoch ist im Großen und Ganzen eine kontinuierliche Veränderung hin zu deutlich mehr Bewusstheit im Umgang mit Alkohol am Arbeitsplatz zu beobachten. Viele Betriebe haben offizielle Regeln, die den Alkoholkonsum aus dem Arbeitsleben verbannen, immer mehr Betriebe setzen Alkoholbeschränkungen oder -verbote im Alltag konsequent um. Aber trotzdem suchen immer wieder Betriebe die Kooperation mit uns, weil eben etwas passiert ist. Konkret kann das der Suizid eines Mitarbeiters sein, von dessen Alkoholmissbrauch alle wussten, oder ein Brand nach einer Feier in einem abgelegenen Gebäudeteil.

BSZ: Was sehen Sie als Ursache für diesen Wandel?
Kreuzer: Das vielfach höhere Tempo und eine geringere Fehlertoleranz lassen Alkohol-Missbraucher schneller auffallen als früher. Vielleicht dringt es allmählich auch ins allgemeine Bewusstsein, dass Suchtprobleme lösbar sind. Und dass es unterhalb einer „großen“ Lösung auch schon einen Wert hat, wenn ein Betroffener zum Beispiel ein Jahr lang abstinent lebt, damit gut lebt und arbeitet, und bei einem Rückfall sich von dieser Erfahrung zum neuen Durchstarten ermutigen lässt. Und es erscheint zunehmend plausibel, Suchtprobleme unter die chronischen Erkrankungen einzuordnen, bei denen es gewöhnlich keine Heilung gibt und man sich um ein möglichst beschwerdefreies Leben bemüht.

BSZ: Für viele gehört ein Bier zum Mittagessen einfach dazu.

Kreuzer: Bier und Essen, das gehört für viele sicher immer noch zusammen. Allerdings ist dieses Denken in der nächsten Generation schon viel weniger verbreitet – die Brauer merken es am Umsatz. Man trinkt anderes und in anderen Zusammenhängen, weniger zur Ernährung, mehr zum Feiern. Mit diesem Stil-Wandel ist der Alkoholverbrauch unter jüngeren Menschen leicht rückläufig.

BSZ: Von welchen Drogen außer Alkohol sprechen wir noch?
Kreuzer: Sehr klar ist nach allen verfügbaren Zahlen: Alkohol ist nach wie vor die Nummer eins der suchtgefährlichen Stoffe in unserer Gesellschaft, übertroffen lediglich von Nikotin. Darauf folgt die Gruppe der Medikamente mit Suchtpotenzial, eine weitgehend unsichtbare und trotzdem gut belegte Problematik. Weit dahinter die Gruppe der illegalen Drogen und die der pathologischen Glücksspieler.

BSZ: Wie viele Betroffene gibt es?

Kreuzer: Deutscher Hauptstelle für Suchtfragen sind zwischen 1,4 und 1,9 Millionen Deutsche sogenannte Missbraucher und weitere 1,0 bis 1,5 Millionen Alkoholabhängige. Weitere 1,2 bis 1,5 Millionen Menschen sind von Tranquilizern und Schlafmitteln, 300 000 bis 400 000 Menschen von anderen Arzneimitteln abhängig. Die Zahl abhängiger Konsumenten im Bereich illegaler Drogen wird zwischen 250 000 bis 450 000 geschätzt.

BSZ: Welcher Schaden entsteht dadurch Krankenkassen und Wirtschaft?

Kreuzer: Häufig wird geschätzt, dass suchtbelastete Mitarbeiter 16 Mal häufigere Fehlzeiten haben, nur rund 75 Prozent der Arbeitsleistung erbringen, 2,5 Mal so häufig krank geschrieben und 3,5 Mal häufiger bei Arbeitsunfällen beteiligt sind. Bei 15 bis 30 Prozent der Arbeitsunfälle spielt Alkohol eine Rolle. Generell sind in den letzten Jahren Mitarbeiter für ihren Dienstherren beziehungsweise Arbeitgeber aber wertvoller geworden, gemessen an den Bemühungen zur Mitarbeitergewinnung und -pflege, etwa Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements.

BSZ: Wo ist die Grenze beim Alkohol während der Arbeitszeit überschritten?
Kreuzer: Ein schöner Spruch aus der Selbsthilfe lautet: „Wenn Alkohol ein Problem macht, ist Alkohol das Problem.“ Soll heißen, wenn jemand am Arbeitsplatz wegen einer Fahne oder wegen seines alkoholbedingten Verhaltens auffällt, sollte er sich um seinen Alkoholkonsum kümmern beziehungsweise darauf angesprochen werden.

BSZ: Wie sollte man dann reagieren?
Kreuzer: Wenn ich mir zutraue, eine womöglich unangenehme Reaktion zu ertragen und/oder wenn ich in der Verantwortung stehe: klar und unmissverständlich, jedoch ohne Vorwurf. Zum Beispiel: „Ich rieche bei Ihnen Alkohol“, „Du reagierst in letzter Zeit oft heftig und für mich nicht nachvollziehbar, geht es dir nicht gut?“, „Ich höre, dass über dich geredet wird, Thema dabei ist der Alkohol“.

BSZ: Viele werden wohl zu Beginn nicht einsichtig sein.

Kreuzer: Ja, erfahrungsgemäß reagieren Betroffene nicht gleich im erwünschten Sinn oder höchstens im Sinn einer Anpassung: „Ich muss jetzt vorsichtig sein.“ Was zunächst wie eine Lösung aussieht, entpuppt sich manchmal als ein vorübergehendes Sich-Zusammenreißen. In Schulungen von Vorgesetzten stimmen wir darauf ein, dass sich eine tragfähige Veränderungsmotivation beim Betroffenen meist allmählich entwickelt. Konsequente Begleitung bei seiner großen Aufgabe hilft gewöhnlich. Wir empfehlen, sich als Vorgesetzter oder als sogenannte Umfeldperson nicht im Einzelgänger-Modus zu betätigen, weil es sonst umso leichter zu Täuschungen oder unangemessenen emotionalen Reaktionen kommt.

BSZ: Und wenn es dann mit der Firma aufs Oktoberfest geht?

Kreuzer: Der Betroffene muss selbst entscheiden, ob er sich das zumuten möchte. Im Fall einer Behandlung oder Rehabilitation werden derartige Situationen geübt. Empfohlen wird im allgemeinen Klarheit: die wichtigen Personen informieren, dass ich keinen Alkohol mehr trinke. Eindeutigkeit und Konsequenz dieser Art helfen am ehesten, dass die Umgebung sich an meine Abstinenz gewöhnt und in mir neue, stabile Gewohnheiten wachsen. Mancher Abstinente verzichtet auf den Wiesn-Besuch, weil er das Risiko nicht eingehen will oder auch, weil ihm diese Art der Freizeitgestaltung nicht mehr gefällt.

BSZ: Nach der Abmahnung beziehungsweise Entlassung werden die Betroffenen wohl noch mehr trinken. Ist das nicht ein Teufelskreis?

Kreuzer: Das habe ich tatsächlich so erlebt. Solange die Gewohnheit bestimmend ist, sich unter Belastung mit Alkohol zu helfen, ist das auch zu erwarten. Es gibt übrigens meist keinen „guten Moment“ für eine Abmahnung. Und im Sinn der Klarheit wäre Abwarten ungünstig.

BSZ: Ist ein komplettes Alkoholverbot in Unternehmen eine Lösung?
Kreuzer: Ja, das kann ein Arbeitgeber in einer Vereinbarung mit dem Betriebsrat festlegen. Generelle Alkoholverbote innerhalb der Arbeitszeit sind möglich und werden zunehmend vereinbart. Ein starkes Signal mit der Chance, dass AlkoholMissbraucher künftig früher auffallen. Und damit ein starker präventiver Schritt. Manchmal erreichbar über Zwischenschritte im Lauf mehrerer Jahre.

BSZ: Welche Präventionsprogramme gibt es für Unternehmen?
Kreuzer: Eingebettet am besten in den größeren Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements gibt es bewährte Konzepte für Prävention von Suchtproblemen und für den Umgang mit auffälligen Mitarbeitern. Im Kern steht die Idee: Vorgesetzte befähigen, das Thema wahrzunehmen und angemessen anzusprechen – Betroffene an ihre arbeitsvertraglichen Pflichten erinnern, wenn nötig mit Unterstützung aus dem Unternehmen und in Abstimmung mit dem externen Suchthilfe-System. Eine wertvolle Unterstützung bietet der Einsatz von fortgebildeten eigenen Mitarbeitern, welche Vorgesetzte beraten und betroffene Kollegen begleiten. Nebenbei: Eine entsprechende Weiterbildung für betriebliche Suchtberater bietet die Regensburger Caritas ab Beginn 2020 wieder an.
(Interview: David Lohmann)

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