Beruf & Karriere

Karte mit Folgen: Das Champions-League-Halbfinalspiel AS Monaco gegen FC Chelsea. (Fotos: dpa/Nick Potts, Ecovis)

03.05.2019

„Fehler sind eine Chance für Firmen“

Fußball-Schiedsrichter Urs Meier über Fehlentscheidungen, den richtigen Umgang damit und was das für Unternehmen bedeutet

Unternehmer müssen ständig Entscheidungen fällen. Als ehemaliger FIFA-Schiedsrichter weiß Urs Meier, welche Konsequenzen Fehlentscheidungen nach sich ziehen können. Wie Chefs damit souverän umgehen, erklärt er im Interview.

BSZ: Herr Meier, im Endspiel der letzten Fußball-WM hatte Schiedsrichter Néstor Pitana seine Entscheidung aufgrund des Videobeweises revidiert. Schließlich gab er anstatt des Abstoßes für das Handspiel einen Elfmeter. Konnten Sie mitfühlen?
Urs Meier: Ja, natürlich. Ich wusste auch, dass er den Elfmeter geben würde, wenn er es so anschaut. Das Fernsehbild zeigt ein absichtliches Handspiel, was es meiner Meinung nach nicht war. Auch Pitana hatte ja erst anders entschieden.

BSZ: Was macht der Videobeweis mit der Autorität des Schiedsrichters?
Meier: Der Videobeweis hat einen entscheidenden Schwachpunkt: Auf dem Bildschirm sieht man die eigentliche Absicht der Spieler nicht. Die kann man nur spüren, wenn man selbst auf dem Spielfeld steht. Somit entzieht der Videobeweis dem Schiedsrichter die Legitimation. Die Spieler wissen das natürlich auch.

BSZ: Néstor Pitana braucht sich in Kroatien wohl nicht mehr blicken zu lassen. Sie selbst wurden ja schon mal von sieben rumänischen Hexen verwünscht – ganz zu schweigen von der englischen Regenbogen-Presse, die über Sie herfiel, als Sie bei der Fußball-EM 2004 in Portugal den Engländern ein Tor aberkannten. Nach Spaß klingt das nicht. Haben Entscheidungen Nebenwirkungen?
Meier: Ja, allerdings, der Druck ist enorm, den muss man schon aushalten. Doch genau den liebte ich. Die rumänischen Hexen konnten mir übrigens nichts anhaben, weil ich einfach nicht abergläubisch bin.

BSZ: Unternehmer treffen täglich Entscheidungen. Zum Teil stehen sie unter extremem Druck. Woher weiß man, dass man dennoch das Richtige macht?
Meier: Wenn man in der Materie drin ist, sich fachlich gut auskennt und seinen Rucksack mit Erfahrungen gefüllt hat, dann trifft man auch die richtige Entscheidung. Viele wollen aus ihren Entscheidungen ihre Gefühle heraushalten. Sie denken, dass sie so überzeugender sind und besser handeln. Aber Entscheidungen lassen sich niemals ohne Gefühle fällen. Die Dinge sind immer vielschichtiger. Und zudem ist der Bauch, also das Gefühl, schneller. Der Kopf ist einfach zu langsam.

BSZ: Eine falsche Entscheidung in einem Unternehmen kann dazu führen, dass es mit dem Betrieb wirtschaftlich bergab geht und gute Mitarbeiter kündigen. Wie kommt man mit den Konsequenzen zurecht?

Meier: Das ist natürlich nicht leicht. Aber letztlich muss man sich hinstellen und zu seinen Entscheidungen stehen. Verantwortung übernehmen. Denn aus damaliger Sicht und aufgrund der damaligen Rahmenbedingungen schien die Entscheidung richtig.

BSZ: Manche Entscheidungen sind auch für andere hart oder schmerzhaft – das kann auch mal gegen das eigene Gewissen sein. Wie geht man damit um?

Meier: Es ist immer wichtig, dass das Gegenüber Mitgefühl spürt und dass man sich eine Entscheidung nicht leicht macht. Wichtig ist, dass man dann Menschlichkeit zeigt und sich mit der persönlichen Situation seines Gegenübers auseinandersetzt. Wer das nicht mehr kann, der hat ein riesiges Problem, weil er seine Werte verloren hat.

BSZ: Wer sich engagiert, macht Fehler. Aber wie kann man als Führungskraft eine Fehlentscheidung rückgängig machen, ohne dabei seine Autorität einzubüßen?
Meier: Nur wegen einer Fehlentscheidung verliert man seine Autorität nicht. Gut ist allerdings, wenn man seinen Mitarbeitern mit der kompletten Wahrheit gegenübertritt und sie nicht scheibchenweise mitteilt. Wer in die Opferrolle schlüpft und die schlechte Welt oder die Gesellschaft vorschiebt, wird allerdings unglaubwürdig.

BSZ: Viele Unternehmen greifen in Krisensituationen auf das Wissen von Beratern zurück.
Meier: Das ist ja grundsätzlich nicht schlecht. Wer aber dann nur die Berater für die Misere verantwortlich macht, steht einfach nicht zu seinen Fehlentscheidungen. So nimmt man sich die Autorität und ist nicht mehr glaubwürdig. Ich finde eine solche Vorgehensweise feige. Ich habe es immer so gehalten: Ich muss das Spiel leiten und führen, weil ich der Chef bin – auch wenn es mal nicht so gut läuft.

BSZ: Wenn der Chef eine Entscheidung trifft, halten sich alle daran. Wenn der Teamleiter etwas anweist, ist die Geschwindigkeit bei der Umsetzung geringer.
Meier: Häufig sind in so einem Fall die Aufgaben nicht klar verteilt und die Zuständigkeiten nicht klar definiert. Das ist aber auch die Aufgabe eines Chefs. Zum Beispiel heißen die früheren Linienrichter heute Assistenten und sie haben mehr Kompetenzen. Sie zeigen Fouls im Strafraum an. Die Spieler wissen das. Inzwischen kommt es an den Seiten zu den größten Fehlentscheidungen, weil die Aufgaben nicht klar verteilt sind. Meine Assistenten wussten immer, dass ich entscheide. Es sei denn, ich war noch in der anderen Hälfte des Spielfelds. Dann übernahmen sie.

BSZ: Gibt es eine fußballerische Entscheidung, die Sie bereuen?
Meier: Im Champions-League-Halbfinalspiel AS Monaco gegen FC Chelsea bin ich auf die schauspielerische Leistung eines FC-Chelsea-Spielers hereingefallen. Ich habe dem Spieler des AS Monaco mit einer roten Karte die Karriere versaut, denn der AS Monaco kam ins Finale – ohne ihn.

BSZ: Haben Fehlentscheidungen auch etwas Positives?
Meier: Klar, man wird dadurch besser. Eigentlich sollte man sich bei seinen Fehlentscheidungen bedanken, dass man sie machen durfte. Auch Mitarbeiter sollten Fehler machen dürfen. Das ist wichtig. Wenn sie aus ihren Fehlern lernen, werden sie besser. Das ist eine Chance für das ganze Unternehmen. (Interview: Gudrun Bergdolt, Ecovis)

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