Beruf & Karriere

Lob und Likes unter den Kinderfotos ersetzen oft die fehlende Wertschätzung der Care-Arbeit. (Foto: dpa/John Locher)

25.11.2022

"Inszenierung ist wie eine Droge"

Kommunikationswissenschaftlerin Bianca Kellner-Zotz über den Medialisierungswahn, fehlenden Beifall für Care-Arbeit und die Abhängigkeit von „Likes“

BSZ: Frau Kellner-Zotz, Sie befassen sich mit der Medialisierung der Familie. Wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Bianca Kellner-Zotz: Ich habe auf dem Spielplatz mit meinen zwei Kindern häufig Mütter beobachtet, die mehr am Smartphone hingen oder Fotos für die sozialen Netzwerke gemacht haben, als mit ihren Kindern zu spielen. In der Kommunikationswissenschaft werden die Auswirkungen der massenmedialen Handlungslogik auf Politik und Wirtschaft schon länger untersucht – aber wie sie sich auf die Praktiken innerhalb der Familien auswirkt, war Neuland.

BSZ: Was haben Sie bei Ihrer Forschung herausgefunden?
Kellner-Zotz: Mir haben Hebammen von Paaren erzählt, die im Kreißsaal nach WLAN gefragt haben, um Fotos posten zu können. Mütter haben geweint, weil das erste Foto nach der Geburt wegen der schlechten Beleuchtung nichts geworden war – obwohl sie ein gesundes Baby im Arm hielten. Eltern organisieren mittlerweile sogar schon für Zweijährige aufwendige Mottopartys, um die Familie in sozialen Netzwerken entsprechend inszenieren zu können – und Aufmerksamkeit zu bekommen.

BSZ: Woher kommt dieser Drang?
Kellner-Zotz: Kinder großzuziehen, ist enorm anstrengend. Trotzdem erhalten vor allem Mütter dafür wenig Anerkennung – im Gegenteil. Sie sollen sogar möglichst schnell wieder arbeiten. Den fehlenden Beifall für die Care-Arbeit holen sie sich dann über die Likes. Wenn unter dem Foto des Kindergeburtstags andere Menschen die Feier loben, ist das die so dringend benötigte Wertschätzung. Gleichzeitig erhalten sie so die Gewissheit, alles richtig gemacht zu haben.

BSZ: Welcher Typ Mutter ist besonders betroffen?
Kellner-Zotz: Je urbaner das Milieu, desto mehr stehen Mütter unter Druck. Natürlich ist auch auf dem bayerischen Land das Smartphone ein Tor in die Welt. Aber je höher der formale Bildungsgrad, desto mehr Erwartungen werden an die Mutter herangetragen – von ihr selbst und von außen. Wer früher für eine Unternehmensberatung 80 Stunden pro Woche um die Welt gejettet ist und plötzlich nur noch stillt und Windeln wechselt, braucht mehr Bestätigung von außen als eine Hausfrau auf dem Land. Das wird sich aber wohl bald ändern, da sich die Leitbilder immer stärker angleichen.

"Wer früher für eine Unternehmensberatung 80 Stunden pro Woche um die Welt gejettet ist und plötzlich nur noch stillt und Windeln wechselt, braucht mehr Bestätigung"

BSZ: Viele Trends wie Babyshower-Partys oder Einladungen zur Enthüllung des Geschlechts kommen aus den USA. Woran liegt das?
Kellner-Zotz: Zum einen haben die Amerikaner schon sehr viel länger ein ausdifferenziertes Mediensystem inklusive werbefinanziertem Privatrundfunk, weshalb sich die Aufmerksamkeitslogik in den Medienkonzernen schon früher verfestigt hat. Zum anderen ist das US-Wirtschaftssystem stärker als bei uns auf Konkurrenz ausgelegt. Dadurch mussten Frauen schon viel früher zeigen, was sie alles Tolles machen.

BSZ: Was hat Corona mit der Inszenierung der Familie gemacht?
Kellner-Zotz: In meinen Interviews haben mir viele Menschen erzählt, dass sie endlich mal durchatmen konnten und Zeit für die Familie hatten. Das hielt aber nicht lang, vielen ging etwas ab. Also wurde das in den sozialen Netzwerken kompensiert, beispielsweise mit Fotos von der Geige spielenden Tochter. Inzwischen explodieren die Beiträge wieder. Der Nachholbedarf ist groß und setzt sich leider wie vor der Pandemie immer weiter fort.

BSZ: Warum glauben wir den inszenierten Bildern anderer, obwohl wir doch wissen, dass es dieses seifenblasenleichte Leben nicht gibt?
Kellner-Zotz: Erstens: Menschen schreiben Medien eine Glaubwürdigkeit zu. Das gilt auch für das, was unsere Mitmenschen in sozialen Medien tun, es ist ein gesellschaftlicher Kitt. Zweitens wissen wir aus Studien, dass Menschen die Vergleiche mit anderen brauchen. Es befriedigt ein Grundbedürfnis, sich mit anderen messen zu wollen. Das Problem: Jede dieser Studien kommt zu dem Schluss, dass uns zu viel Mediennutzung unglücklich macht.

BSZ: Was raten Sie Betroffenen?
Kellner-Zotz: Sie sollten sich überlegen, ob sie ihre Zeit dafür nutzen wollen, anderen beim Leben zuzuschauen, um noch besseren Content zu produzieren. Oder um etwas zu machen, was sie selbst glücklich macht. Wenn Eltern Bilder posten, weil sie es gerne tun: alles fein. Wenn sie es für den Applaus auf der Tribüne machen und davon gestresst sind, sollen sie es lieber bleiben lassen. Leider sind das die meisten.

BSZ: In Ihrem Buch „Happy Family“, das auf Ihrer Dissertation aufbaut, gibt es eine Checkliste für Eltern. Heißt das, viele merken gar nicht, dass sie dem Medialisierungswahn verfallen sind?
Kellner-Zotz: Genau das ist die Botschaft. Allerdings ist die Checkliste natürlich auch Medienlogik: Der Verlag will ein Ratgeberbuch verkaufen, also gibt es eine Liste, an die man einen Haken machen kann. Ich sehe das durchaus selbstkritisch. Aber tatsächlich merken viele nicht, wie sehr sie die Inszenierung unter Druck setzt. Ich sage dann immer: Lasst es doch! Aber vielen fällt es schwer. Dabei ist Aufmerksamkeit keine echte Belohnung, auch wenn die Medien uns das vorgaukeln wollen. Eher eine Droge mit Suchtpotenzial.
(Interview: David Lohmann)

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