Beruf & Karriere

Über sein Kommunikationswissenschaftsstudium in München zum Sprachprofiler: Patrick Rottler (26) aus Passau. (Foto: BSZ)

22.01.2021

"Wir blicken in die Abgründe der menschlichen Psyche"

Sprachprofiler Patrick Rottler über Erpresserbriefe, gefälschte Testamente und die Gründe dafür, warum seine Branche zu den Profiteuren der Corona-Krise zählt

„Echte Verbrechen und menschliche Schicksale“: Der Münchner Patrick Rottler (26) überführt Verfasser von Drohbriefen mithilfe von forensischer Textanalyse. Was klingt wie eine True-Crime-Serie ist ein echter Beruf, mit dem sich in Pandemie-Zeiten viel Geld verdienen lässt.

BSZ: Herr Rottler, welche bekannten Fälle gehen auf Ihr Konto?
Patrick Rottler: Unser Job ist mit Verschwiegenheit verbunden, im Idealfall kommen unsere Fälle nicht an die Öffentlichkeit. Bei schweren Straftaten, wie zum Beispiel einer Lebensmittelvergiftung, ermitteln die forensischen Linguisten am Bundeskriminalamt (BKA). Unsere Auftraggeber sind zu 80 Prozent Unternehmen, die sich bei Verleumdungen und internen Angelegenheiten nicht das BKA oder die Staatsanwaltschaft ins Haus holen wollen.

BSZ: Wirkt sich die Corona-Pandemie auf ihre Arbeit aus?
Rottler: Ja, vor allem zu Beginn der Krise lagen uns einige gefälschte Behördenbriefe mit Zahlungsaufforderungen vor. In einem besonders kuriosen Fall behauptete der Absender eines Drohbriefs, er habe mit einer Corona-Infektion das Briefpapier angehustet und abgeleckt. Das hat dazu geführt, dass der Empfänger in Quarantäne musste. Ich befürchte, wenn die wirtschaftlichen Folgen der Krise sichtbar und Arbeitsplätze abgebaut werden, kommen auch wieder vermehrt Fälle auf uns zu.

BSZ:
Wie kommen Sie von einem anonymen Brief zum Täter?
Rottler: Wir untersuchen sechs Sprachebenen, die getrennt voneinander bewertet werden. Das beginnt bei der einfachen Wortwahl und geht bis tief hinein in die Grammatik von Haupt- und Nebensätzen. Jede Abweichung vom Standard-Deutsch kann helfen, den Täter am Ende zu überführen. Gibt es noch keine verdächtigen Personen, wird zunächst ein Täterprofil erstellt. Ist der Schreiber eher ein Mann oder eine Frau, wie alt könnte er aufgrund seiner Ausdrucksweise sein, welchen Bildungshintergrund könnte er haben?

Gewohntes Muster

BSZ: Aber Grammatik, Rechtschreibung oder Wortwahl lassen sich doch absichtlich verändern.
Rottler: Die wenigsten schaffen es, das bei einem längeren Text durchzuhalten. Irgendwann fallen sie wieder in ihr gewohntes Muster zurück. Der Klassiker ist es, einen Migrationshintergrund vorzutäuschen. Aber spätestens, wenn es um die Forderung geht, wird das Deutsch dann plötzlich wieder besser: Der Täter oder die Täterin will ja verstanden werden.

BSZ: Apropos Täterin: Stimmt es, dass Frauen fiesere Drohnachrichten schreiben?
Rottler: Es ist wissenschaftlich umstritten, ob es einen Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Sprache gibt. Trotzdem gibt es Indizien dafür, ob ein Mann oder eine Frau geschrieben haben könnte. Drohbriefschreiberinnen formulieren härter, gehen verbal mehr zur Sache. Bei Fällen, bei denen Frauen andere Frauen angreifen, sind die Beleidigungen oft auch auf die Optik bezogen. Da geht es um Aussehen, Brüste und Schönheitsoperationen.

BSZ: Bis Sie Ihr Gutachten erstellt haben, dauert es 30 bis 40 Stunden. Was kostet das?
Rottler: Wir rechnen nach Stunden ab. Die Höhe hängt natürlich vom Aufwand ab, liegt aber in der Regel zwischen 3000 Euro und, in Ausnahmefällen, 20.000 Euro.

BSZ: Profitieren Sie von der Zunahme von Hasskommentaren?
Rottler: Bedingt. Bei Hatespeech sind die Texte oft zu kurz für eine forensische Analyse, genau wie bei kleinen Fake-Rezensionen in Online-Shops. Wir brauchen so viel Text, dass wir Systematiken erkennen können. Seit dem Mord an Walter Lübcke erhalten auch insbesondere Kommunalpolitiker verstärkt Drohbriefe. Da sind wir ebenfalls zur Stelle. Auch gefälschte Testamente zu erkennen, ist für uns kein Problem.

Teil eines größeren Mosaiks

BSZ: Lagen Sie mit den Analyse Ihrer Arbeit in den letzten Jahren auch schon mal daneben?
Rottler: In über 90 Prozent der Fälle ist unsere Expertise Teil eines größeren Mosaiks. Aber natürlich kann ein Gutachten aus der forensischen Linguistik vor Gericht als Beweis dienen. Wir nehmen einen Fall nur an, wenn wir auch weiterhelfen können. Einigen Auftraggebern hilft es schon, wenn bestimmte Personen aus dem Kreis der Verdächtigen ausgeschlossen werden können, damit sie zumindest mit denen wieder vertrauensvoll zusammenarbeiten können.

BSZ: Wie wurden Sie Sprachprofiler?
Rottler: Ich habe mich schon als Kind für Detektivarbeit und als Schüler für Sprachen interessiert. Während meines Kommunikationswissenschaftsstudium in München bin ich auf das Thema Sprachforensik aufmerksam geworden. Zusammen mit einem Professor der Linguistik habe ich dann an ersten Fällen gearbeitet und so das Handwerkszeug gelernt. Den Ex-Verfassungsschützer Leo Martin kannte ich aus meinem privaten Umfeld. Mit ihm arbeite ich heute am Institut für forensische Textanalyse. Er ist für die Fallführung zuständig, ich für die Analysen.

BSZ: Mit Herrn Martin haben sie auch das Buch Die geheimen Muster der Sprache geschrieben. Seit Juli 2020 gibt es von ihnen auch einen Podcast beim Bayerischen Rundfunk. Was fasziniert die Menschen so an dem Thema?
Rottler: Crime und True Crime sind einfach ein Dauerbrenner. Das ist auch der Grund, warum es den Tatort seit 50 Jahren gibt. Das Thema erlebt zusätzlich gerade ein Revival. Menschen interessieren sich einfach für echte Verbrechen und menschliche Schicksale. Den Ansatz, anonyme Straftaten über die Auswertung von Sprachmustern zu klären, ist ein Aspekt, den man nicht so oft hört. Gerade bei Journalisten trifft das einen Nerv und wird entsprechend oft medial aufgegriffen.

Studium als Basis für einen Job

BSZ: Was empfehlen Sie Menschen, die eine ähnliche Karriere wie Sie einschlagen wollen?
Rottler: Ein Studium ist auf jeden Fall die beste Basis für den Job – idealerweise der Linguistik oder Germanistik. Einen eigenen Studiengang gibt es leider noch nicht, nur Kurse oder Zusatzangebote. Die Hochschulen in Graz und Köln befassen sich noch am stärksten wissenschaftlich mit dem Thema.

BSZ: Ist es schwierig, sich den ganzen Tag mit Hass, Neid und Bedrohungen zu beschäftigen?
Rottler: Ich habe damit kein Problem. Natürlich blickt man in die Abgründe der menschlichen Psyche und liest verstörende Texte. Aber wir befassen uns ja weniger mit dem Inhalt, mehr mit den Sprachmustern und müssen zum Glück keine Tatortfotos anschauen. Daher ist alles etwas abstrakter und weniger emotional. Wenn ich den Laptop zuklappe, kann ich schnell abschalten.

BSZ: Könnten Sie mit ihrem Wissen ein Erpresserschreiben verfassen, das sich nicht zurückverfolgen lässt, also das perfekte Verbrechen begehen?
Rottler: Ich würde die Frage gern mit Ja beantworten, aber das stimmt wahrscheinlich nicht. Am effektivsten wäre es wohl, wenn zwei Personen einen Erpresserbrief schreiben und sich abwechselnd gegenseitig redigieren. Aber zu einem perfekten Verbrechen gehört ja glücklicherweise etwas mehr – falls es das perfekte Verbrechen überhaupt gibt (lacht).
(Interview: David Lohmann)

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