Kommunales

Radl-Chaos am Münchner Hauptbahnhof. (Foto: Revierfoto, dpa)

06.08.2019

Anarchie an Bahnhöfen

Wer regelmäßig mit dem Rad zum Bahnhof fährt, nimmt dafür meist ein Uralt-Exemplar, um das es nicht schade ist. Denn vielerorts gibt es zu wenige Stellplätze, an denen man die Drahtesel sicher und komfortabel anschließen kann. Das soll sich ändern

Beim Berliner Hauptbahnhof, da sind sich die Einheimischen sicher, haben die Planer die Radfahrer schlicht vergessen. Wer dort mit dem Fahrrad zum Zug fährt, muss sich den Stellplatz für sein Gefährt meist nach eigenem Gutdünken an Masten und Pollern suchen - die wenigen Abstellbügel sind stets proppevoll. Am Bahnhof von Oranienburg hingegen steht ein nagelneues Fahrradparkhaus samt Schließfächern, in denen man sogar den Akku des E-Bikes laden kann. Die Situation in den anderen Kommunen Deuschlands liegt irgendwo zwischen diesen beiden Polen - doch meist auf der unbefriedigenden Hälfte, wie Experten unisono urteilen.

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) etwa sprach vor einem Jahr nach einem bundesweiten Test von Bike+Ride-Anlagen von einer "Horrorstory". Seither gab es zwar einige Bewegung bei dem Thema, "doch unter dem Strich ist es eher desaströs was die Abstellsituation an den Bahnhöfen angeht", sagt ADFC-Sprecher René Filippek.

In München etwa stehen die Räder dicht gedrängt und ineinander verhakt in Ständern, in denen nur das Vorderrad Platz findet. Den Rahmen anschließen? Fehlanzeige. Aber da es eh viel zu wenige Ständer gibt, macht das auch keinen großen Unterschied. "Gerade viele große Bahnhöfe haben eigentlich gar keine reelle Abstellmöglichkeit. Das geht aber hin bis zum Dorfbahnhof, wo drei Abstellbügel stehen, die dann mit drei Schrotträdern belegt sind."

Dabei seien der öffentliche Personennahverkehr und das Fahrrad eigentlich natürliche Verbündete. "Aber da möchte ich dann auch wissen, dass mein Rad am Bahnhof sicher steht. Gerade Hochwertiges lässt man ungern an irgendwelchen Bauzäunen über längere Zeit stehen", betont Filippek.

Es fehlen eine Million Stellplätze

Nun könnte man einwenden: Der ADFC ist ein Lobbyverein, natürlich meckert der rum. Doch auch gänzlich unverdächtige Experten stimmen seiner Analyse zu. So sieht der Deutsche Städte- und Gemeindebund deutschlandweit einen erheblichen Mangel. "Gerade im Umland der größeren Städte, wo viele Pendlerinnen und Pendler das Fahrrad zur Bahn benutzen, ist die Nachfrage enorm", erläutert ein Sprecher. Der Ausbau der Stellplätze sei bei der Bahnreform nicht berücksichtigt worden. "Für die notwendige Verkehrswende brauchen wir jedoch nachhaltige Mobilitätsketten."

Perspektivisch schätzt der Städte- und Gemeindebund den Bedarf auf mehr als eine Million zusätzlicher Stellplätze. Da ist die Initiative bike+ride nur ein Tropfen auf den heißen Stein - der aber immerhin eine kleine Abkühlung bringen soll. Bis zu 100 000 neue Fahrradstellplätze sollen dadurch bis Ende 2022 entstehen; dann wären es deutschlandweit rund eine halbe Million. Das Bundesumweltministerium übernimmt dabei 40 Prozent der Kosten. Grundsätzlich sollen alle förderfähigen Anträge bewilligt werden.

Im ersten "Antragsfenster" Anfang des Jahres wurden zehn Anträge aus Bayern, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Hessen für 2700 neue Radabstellplätze eingereicht, wie das Ministerium der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. Zudem gingen bei der Bahn 250 Anfragen für Vor-Ort-Besichtigungen ein. Für die zweite, derzeit laufende Bewerbungsphase rechnet das Ministerium deshalb mit einer größeren Nachfrage.

Ein immer wieder zu hörendes Problem: Die Kooperation zwischen den Kommunen und der Bahn ist kompliziert. Selbst der Verkehrsminister eines großen Bundeslandes klagte vor kurzem, er bekomme bei der Bahn keinen entscheidungsfähigen Gesprächspartner ans Telefon. Das soll im Rahmen der Initiative besser werden: Die Deutsche Bahn soll helfen, geeignete Standorte zu finden sowie die Abstellanlagen zu planen und zu montieren. Wenn sich die identifizierten Flächen nicht im Eigentum der Kommunen, sondern der Bahn befinden, soll die unentgeltliche Nutzung über Muster-Gestattungsverträge geregelt werden.

Vorbild Niederlande

Was dann auf den Flächen passiert, hängt vor allem von der Finanzlage und den Prioritäten der jeweiligen Kommune ab. Als Vorbild werden von allen Seiten die Niederlande genannt, wo es eine gute Bedarfsermittlung und ein einfaches Prozedere von der Planung über die Finanzierung bis hin zum Betrieb von Fahrradabstellanlagen gibt. Resultat: Große über- und unterirdische Parkhäuser für bis zu 12 000 Fahrräder, in denen freie Plätze mit einem Wegeleitsystem angezeigt oder die Räder gar automatisiert geparkt werden.

Hinzu kommen Toiletten, Servicestationen mit Reparaturwerkstätten, Schließfächer - und sehr oft ein direkter Zugang zu den Bahnsteigen, was die Zeit zum Umsteigen minimiert. "So was ist für Fahrradfahrer natürlich ein Traum!", urteilt die Fahrradexpertin des Verkehrsbündnisses Allianz pro Schiene, Nicol Mierz.

Doch da der Bau von Fahrradstationen auf breiter Front in Deutschland derzeit eher unrealistisch ist, wünscht sie sich in einem ersten Schritt sichere, trockene und beleuchtete Abstellmöglichkeiten, "nicht im hintersten Eck auf der Bahnhofsrückseiten-Nebenstraße unter einer Brücke". Einsichtig und ohne tote Winkel sollten die Abstellflächen sein, gerne auch mit einzelnen - kostenpflichtigen - Boxen für hochwertige Räder.

Wie gut solche Möglichkeiten angenommen werden, zeigt das Projekt "Dein Radschloss" in Nordrhein-Westfalen. Für einen Euro am Tag oder 70 beziehungsweise 90 Euro im Jahr können Radler sich dort einen Stellplatz in einer Garage oder eine eigene Box mieten. Online reservierbar, öffnen sich die Türen per PIN-Code oder Chipkarte. Gerade mit Blick auf den Hype bei E-Bikes der richtige Weg, findet Mierz. "Denn wenn ich mir für viele tausend Euro ein Fahrrad kaufe, will ich, dass es etwas geschützter steht als das, das ich von der Oma geerbt habe." (Elke Richter, dpa)

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